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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Bleiben anderwärts nur die WorIcIwu3"!Z übrig, Zufluchtsstätten des höchsten
kaum denkbaren Elends. In diesen 'Wol-KKouses, wo Wärter und Wärte¬
rinnen Hausen, die es mit dem besten Sclavenaufseher aufnehmen, werden die
unehelichen Kinder, gegen eine von der Mutter oder dem Vater, oder von
beiden zu zahlende regelmäßige Pension aufgenommen, was für arme Leute
eine schwere Last ist, eine Last, die, weil vorher gekannt, gar häufig ein
schlechter Rathgeber ist, und zum Verbrechen treibt. Das ganz ohne Hülfs¬
quellen dastehende, verlassene, verrathene Mädchen kann an die Thür des
'WorKIwukZlZ klopfen; sie wird sich ihr öffnen, aber weder guter Rath, noch
Tröstung wartet der Aermsten. Das Exclusionssystem existirt in diesen Häusern,
wie es in London, in England existirt; nur in einer anderen, mehr barbarischen
Form:'in der schlechten Behandlung. Die Jnteressirten kennen das Los, das sie
erwartet, durch die Erfahrung derjenigen, die vor ihnen die bitteren Wohlthaten
dieser harten, ächt englischen Wohlthätigkeitsanstalt angenommen haben. Ihre
Kenntniß dessen, was sie dort erwartet, bezeichnet jener Ruf, den wir nicht blos
von verlassenen Unglücklichen, sondern von rechtschaffenen, brotlos gewordenen
Arbeiterfamilien so häufig vernahmen: "lieber am Galgen, als ins 'WorKIwuse."

Eine Menge Kindermorde enspringen indessen nicht aus der Furcht vor
Schande, nicht aus der doppelten Perspective der Ausgabe, die sich vor der
Mutter, und des Elendes, die sich vor dem Kinde aufthut; bei nur zu Vielen
ist die Triebfeder Habsucht. Gierde nach Gold. In diesem Falle begegnet
man bei der gezwungenen Explication des Verbrechens nicht mehr jenem furcht¬
baren Kampf zwischen mütterlicher Zärtlichkeit und den moralischen Strafen,
welche die Gesellschaft für das gefallene Mädchen in Reserve hat, jenem Kampf,
dem die Unglückliche in der Entbindungsstunde und in momentaner Geistes¬
abwesenheit unterliegt: man findet sich plötzlich am Rande eines Abgrundes
moralischer Verderbtheit, in den man kaum, ohne von Schwindel ergriffen
zu werden, hinabzuschauen vermag. Die Triebfeder des Verbrechens nichts
als Speculation! Ja, die Eltern speculiren auf den Tod ihrer Kinder, und
wenn der Tod sich nicht ihren Wünschen gemäß einstellt, so rufen sie ihn mit
Gewalt herbei und überliefern ihm, was zu nehmen er sich sträubt. Die
großen Fabrikstädte und die Dörfer sind der gewöhnliche Schauplatz dieser
entsetzlichen Thaten. Die dabei obwaltenden Umstände sind in der Regel fol¬
gende. Unter dem Namen Burial-Clubs, oder Begräbnißkassenvereine existi-
ren, wie ja auch in Deutschland, durch ganz England auf Gegenseitigkeit
gegründete Hülfsgesellschaften, die im Princip den Zweck haben, ihren Mit¬
gliedern ein anständiges Begräbniß zu sichern. Die Zahlung geschieht analog
der in Deutschland; ein geringer Beitrag bei jedem in der Gesellschaft ein¬
tretenden Sterbefall In England läßt man ohne Weiteres Kinder als Mit¬
glieder dieser Vereine zu. Die Verworfenen lassen denn auch ihre Kinder als
Mitglieder in die Register der Clubs einschreiben, zahlen eine kurze Zeit lang


Bleiben anderwärts nur die WorIcIwu3«!Z übrig, Zufluchtsstätten des höchsten
kaum denkbaren Elends. In diesen 'Wol-KKouses, wo Wärter und Wärte¬
rinnen Hausen, die es mit dem besten Sclavenaufseher aufnehmen, werden die
unehelichen Kinder, gegen eine von der Mutter oder dem Vater, oder von
beiden zu zahlende regelmäßige Pension aufgenommen, was für arme Leute
eine schwere Last ist, eine Last, die, weil vorher gekannt, gar häufig ein
schlechter Rathgeber ist, und zum Verbrechen treibt. Das ganz ohne Hülfs¬
quellen dastehende, verlassene, verrathene Mädchen kann an die Thür des
'WorKIwukZlZ klopfen; sie wird sich ihr öffnen, aber weder guter Rath, noch
Tröstung wartet der Aermsten. Das Exclusionssystem existirt in diesen Häusern,
wie es in London, in England existirt; nur in einer anderen, mehr barbarischen
Form:'in der schlechten Behandlung. Die Jnteressirten kennen das Los, das sie
erwartet, durch die Erfahrung derjenigen, die vor ihnen die bitteren Wohlthaten
dieser harten, ächt englischen Wohlthätigkeitsanstalt angenommen haben. Ihre
Kenntniß dessen, was sie dort erwartet, bezeichnet jener Ruf, den wir nicht blos
von verlassenen Unglücklichen, sondern von rechtschaffenen, brotlos gewordenen
Arbeiterfamilien so häufig vernahmen: „lieber am Galgen, als ins 'WorKIwuse."

Eine Menge Kindermorde enspringen indessen nicht aus der Furcht vor
Schande, nicht aus der doppelten Perspective der Ausgabe, die sich vor der
Mutter, und des Elendes, die sich vor dem Kinde aufthut; bei nur zu Vielen
ist die Triebfeder Habsucht. Gierde nach Gold. In diesem Falle begegnet
man bei der gezwungenen Explication des Verbrechens nicht mehr jenem furcht¬
baren Kampf zwischen mütterlicher Zärtlichkeit und den moralischen Strafen,
welche die Gesellschaft für das gefallene Mädchen in Reserve hat, jenem Kampf,
dem die Unglückliche in der Entbindungsstunde und in momentaner Geistes¬
abwesenheit unterliegt: man findet sich plötzlich am Rande eines Abgrundes
moralischer Verderbtheit, in den man kaum, ohne von Schwindel ergriffen
zu werden, hinabzuschauen vermag. Die Triebfeder des Verbrechens nichts
als Speculation! Ja, die Eltern speculiren auf den Tod ihrer Kinder, und
wenn der Tod sich nicht ihren Wünschen gemäß einstellt, so rufen sie ihn mit
Gewalt herbei und überliefern ihm, was zu nehmen er sich sträubt. Die
großen Fabrikstädte und die Dörfer sind der gewöhnliche Schauplatz dieser
entsetzlichen Thaten. Die dabei obwaltenden Umstände sind in der Regel fol¬
gende. Unter dem Namen Burial-Clubs, oder Begräbnißkassenvereine existi-
ren, wie ja auch in Deutschland, durch ganz England auf Gegenseitigkeit
gegründete Hülfsgesellschaften, die im Princip den Zweck haben, ihren Mit¬
gliedern ein anständiges Begräbniß zu sichern. Die Zahlung geschieht analog
der in Deutschland; ein geringer Beitrag bei jedem in der Gesellschaft ein¬
tretenden Sterbefall In England läßt man ohne Weiteres Kinder als Mit¬
glieder dieser Vereine zu. Die Verworfenen lassen denn auch ihre Kinder als
Mitglieder in die Register der Clubs einschreiben, zahlen eine kurze Zeit lang


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[0286] Bleiben anderwärts nur die WorIcIwu3«!Z übrig, Zufluchtsstätten des höchsten kaum denkbaren Elends. In diesen 'Wol-KKouses, wo Wärter und Wärte¬ rinnen Hausen, die es mit dem besten Sclavenaufseher aufnehmen, werden die unehelichen Kinder, gegen eine von der Mutter oder dem Vater, oder von beiden zu zahlende regelmäßige Pension aufgenommen, was für arme Leute eine schwere Last ist, eine Last, die, weil vorher gekannt, gar häufig ein schlechter Rathgeber ist, und zum Verbrechen treibt. Das ganz ohne Hülfs¬ quellen dastehende, verlassene, verrathene Mädchen kann an die Thür des 'WorKIwukZlZ klopfen; sie wird sich ihr öffnen, aber weder guter Rath, noch Tröstung wartet der Aermsten. Das Exclusionssystem existirt in diesen Häusern, wie es in London, in England existirt; nur in einer anderen, mehr barbarischen Form:'in der schlechten Behandlung. Die Jnteressirten kennen das Los, das sie erwartet, durch die Erfahrung derjenigen, die vor ihnen die bitteren Wohlthaten dieser harten, ächt englischen Wohlthätigkeitsanstalt angenommen haben. Ihre Kenntniß dessen, was sie dort erwartet, bezeichnet jener Ruf, den wir nicht blos von verlassenen Unglücklichen, sondern von rechtschaffenen, brotlos gewordenen Arbeiterfamilien so häufig vernahmen: „lieber am Galgen, als ins 'WorKIwuse." Eine Menge Kindermorde enspringen indessen nicht aus der Furcht vor Schande, nicht aus der doppelten Perspective der Ausgabe, die sich vor der Mutter, und des Elendes, die sich vor dem Kinde aufthut; bei nur zu Vielen ist die Triebfeder Habsucht. Gierde nach Gold. In diesem Falle begegnet man bei der gezwungenen Explication des Verbrechens nicht mehr jenem furcht¬ baren Kampf zwischen mütterlicher Zärtlichkeit und den moralischen Strafen, welche die Gesellschaft für das gefallene Mädchen in Reserve hat, jenem Kampf, dem die Unglückliche in der Entbindungsstunde und in momentaner Geistes¬ abwesenheit unterliegt: man findet sich plötzlich am Rande eines Abgrundes moralischer Verderbtheit, in den man kaum, ohne von Schwindel ergriffen zu werden, hinabzuschauen vermag. Die Triebfeder des Verbrechens nichts als Speculation! Ja, die Eltern speculiren auf den Tod ihrer Kinder, und wenn der Tod sich nicht ihren Wünschen gemäß einstellt, so rufen sie ihn mit Gewalt herbei und überliefern ihm, was zu nehmen er sich sträubt. Die großen Fabrikstädte und die Dörfer sind der gewöhnliche Schauplatz dieser entsetzlichen Thaten. Die dabei obwaltenden Umstände sind in der Regel fol¬ gende. Unter dem Namen Burial-Clubs, oder Begräbnißkassenvereine existi- ren, wie ja auch in Deutschland, durch ganz England auf Gegenseitigkeit gegründete Hülfsgesellschaften, die im Princip den Zweck haben, ihren Mit¬ gliedern ein anständiges Begräbniß zu sichern. Die Zahlung geschieht analog der in Deutschland; ein geringer Beitrag bei jedem in der Gesellschaft ein¬ tretenden Sterbefall In England läßt man ohne Weiteres Kinder als Mit¬ glieder dieser Vereine zu. Die Verworfenen lassen denn auch ihre Kinder als Mitglieder in die Register der Clubs einschreiben, zahlen eine kurze Zeit lang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/286>, abgerufen am 11.02.2025.