Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Ihnen ist Bach ein Gräuel. Händel ein Zopf, Haydn großenteils auch, Jene erstere Hälfte scheidet sich mehr oder minder wieder in zwei Par¬ Ihnen ist Bach ein Gräuel. Händel ein Zopf, Haydn großenteils auch, Jene erstere Hälfte scheidet sich mehr oder minder wieder in zwei Par¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0269" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192570"/> <p xml:id="ID_1045" prev="#ID_1044"> Ihnen ist Bach ein Gräuel. Händel ein Zopf, Haydn großenteils auch,<lb/> und Mozart ein überwundener Standpunkt. Sie schwärmen für die Heroen<lb/> der Zukunft und cultiviren mit Vorliebe Tageserscheinungen des Salons. Ein<lb/> Notenheft, das ein reichverziertes und geschmackvoll illustrirtes Titelblatt und<lb/> eine recht widersinnige Ueberschrift hat. erregt schon zum Voraus ihre Be¬<lb/> geisterung. Ihr musikalisches Empfinden bewegt sich in Zephyrsäuseln,<lb/> Quellenrauschen, Frühlingsdüften. Glockenklingen. Liebesflustern, Meeres¬<lb/> brausen. Alpenglühen u. f. w.</p><lb/> <p xml:id="ID_1046" next="#ID_1047"> Jene erstere Hälfte scheidet sich mehr oder minder wieder in zwei Par¬<lb/> teien, deren eine mit den besten Erscheinungen der Zeit vorwärts geht, wäh¬<lb/> rend die andere den Blick mehr rückwärts in die Vergangenheit kehrt. Erstere<lb/> schließen ihre Studien mit Beethoven nicht ab; nach ihm kommen ja noch<lb/> Weber, Spohr, Schubert. Mendelssohn, Schumann, Brahms. Letztere, und<lb/> das ist auch hier wieder die kleinere Zahl, suchen ihre Lieblinge in den Meistern,<lb/> die vor Haydn liegen; ihnen gilt gewöhnlich I. S. Bach als die bedeutendste<lb/> und großartigste Erscheinung im Reiche der Töne. Es ist nicht gut, allzu ein¬<lb/> seitig nur gewisse Richtungen in der Kunst zu verfolgen und dem großen<lb/> Publicum wäre ein derartiges Verfahren am allerwenigsten zu empfehlen;<lb/> aber eine gewisse Berechtigung hat das schwärmerische, ost fanatische Vertiefen<lb/> Einzelner in bestimmte Kunstbranchen denn doch. Sorgfalt, Mühe und Fleiß,<lb/> die man solchen Liebhabereien opfert, kommen in ihren Resultaten doch der<lb/> Gesammtheit wieder zu Gute. Mag die profane Welt die Schatzgräber von<lb/> Profession immerhin verhöhnen, — Betrug und Aberglauben reichen sich hier ja<lb/> die Hand. — Die Schatzgräber auf den Gebieten der Literatur und Kunst<lb/> müssen uns immer ehrwürdig und achtungswerth erscheinen. Möglich, daß<lb/> ste sich einseitig in gewisse Anschauungen verrennen, daß sie sich im Werthe<lb/> des Gefundenen oft täuschen, das Entdeckte vielfach überschätzen, sehr häufig<lb/> haben sie doch wirkliche Schätze gehoben. Der Sinn für antiquarische<lb/> Forschungen liegt in der Regel in der Zeit und äußert sich zugleich in den<lb/> verschiedensten Zweigen des Wissens und der Kunst. Die Schätze unserer<lb/> alten Literatur,^bisher nur den Fachleuten zugänglich, erschließen sich jetzt auch<lb/> für das größere Publicum; wir erinnern hier nur an die Brockhaus'schen<lb/> Ausgaben der Classiker des Mittelalters und der Dichter des 16. Jahrhun¬<lb/> derts, an Goedecke's, Simrock's, Wackernagel's und Scherr's Publicationen.<lb/> Die musikalischen Bestrebungen suchen mit den literarischen gleichen Schritt zu<lb/> halten. Aus geringen Anfängen sind sie bereits recht erfreulich gediehen. Fast<lb/> gleichzeitig ist ihnen von zwei Seiten her, nachdem ernstliche kunstgeschichtliche<lb/> Forschungen vorausgegangen, äußerer Anstoß geworden. 1840 erschien K. F.<lb/> Wecker's treffliche Arbeit: Die Hausmusik in Deutschland im 16,,<lb/> 17- und 18. Jahrh,, und 1841 R. G. Kiesew edler's; Schicksale und</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0269]
Ihnen ist Bach ein Gräuel. Händel ein Zopf, Haydn großenteils auch,
und Mozart ein überwundener Standpunkt. Sie schwärmen für die Heroen
der Zukunft und cultiviren mit Vorliebe Tageserscheinungen des Salons. Ein
Notenheft, das ein reichverziertes und geschmackvoll illustrirtes Titelblatt und
eine recht widersinnige Ueberschrift hat. erregt schon zum Voraus ihre Be¬
geisterung. Ihr musikalisches Empfinden bewegt sich in Zephyrsäuseln,
Quellenrauschen, Frühlingsdüften. Glockenklingen. Liebesflustern, Meeres¬
brausen. Alpenglühen u. f. w.
Jene erstere Hälfte scheidet sich mehr oder minder wieder in zwei Par¬
teien, deren eine mit den besten Erscheinungen der Zeit vorwärts geht, wäh¬
rend die andere den Blick mehr rückwärts in die Vergangenheit kehrt. Erstere
schließen ihre Studien mit Beethoven nicht ab; nach ihm kommen ja noch
Weber, Spohr, Schubert. Mendelssohn, Schumann, Brahms. Letztere, und
das ist auch hier wieder die kleinere Zahl, suchen ihre Lieblinge in den Meistern,
die vor Haydn liegen; ihnen gilt gewöhnlich I. S. Bach als die bedeutendste
und großartigste Erscheinung im Reiche der Töne. Es ist nicht gut, allzu ein¬
seitig nur gewisse Richtungen in der Kunst zu verfolgen und dem großen
Publicum wäre ein derartiges Verfahren am allerwenigsten zu empfehlen;
aber eine gewisse Berechtigung hat das schwärmerische, ost fanatische Vertiefen
Einzelner in bestimmte Kunstbranchen denn doch. Sorgfalt, Mühe und Fleiß,
die man solchen Liebhabereien opfert, kommen in ihren Resultaten doch der
Gesammtheit wieder zu Gute. Mag die profane Welt die Schatzgräber von
Profession immerhin verhöhnen, — Betrug und Aberglauben reichen sich hier ja
die Hand. — Die Schatzgräber auf den Gebieten der Literatur und Kunst
müssen uns immer ehrwürdig und achtungswerth erscheinen. Möglich, daß
ste sich einseitig in gewisse Anschauungen verrennen, daß sie sich im Werthe
des Gefundenen oft täuschen, das Entdeckte vielfach überschätzen, sehr häufig
haben sie doch wirkliche Schätze gehoben. Der Sinn für antiquarische
Forschungen liegt in der Regel in der Zeit und äußert sich zugleich in den
verschiedensten Zweigen des Wissens und der Kunst. Die Schätze unserer
alten Literatur,^bisher nur den Fachleuten zugänglich, erschließen sich jetzt auch
für das größere Publicum; wir erinnern hier nur an die Brockhaus'schen
Ausgaben der Classiker des Mittelalters und der Dichter des 16. Jahrhun¬
derts, an Goedecke's, Simrock's, Wackernagel's und Scherr's Publicationen.
Die musikalischen Bestrebungen suchen mit den literarischen gleichen Schritt zu
halten. Aus geringen Anfängen sind sie bereits recht erfreulich gediehen. Fast
gleichzeitig ist ihnen von zwei Seiten her, nachdem ernstliche kunstgeschichtliche
Forschungen vorausgegangen, äußerer Anstoß geworden. 1840 erschien K. F.
Wecker's treffliche Arbeit: Die Hausmusik in Deutschland im 16,,
17- und 18. Jahrh,, und 1841 R. G. Kiesew edler's; Schicksale und
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