Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Sinnlos wuchs der Kleider-Luxus und die Verschwendung bei Gastereien.
Gegen diese Maßlosigkeiten bei Studenten und Professoren mußten von den
Behörden förmliche Einschränkung^ Gesetze erlassen werden. So bestimmte
das neue Mandat vom Jahre 1562 für die Universität Wittenberg: "Wenn
ein Rector, Doctor oder Licentiat für sich selbig Hochzeit hält, einen Sohn
oder eine Tochter ausgiebet, der soll Macht zu bitten haben 10 Tische
Gäste und auf einen jeden Tisch 12 Personen, daß also über 120 Personen,
ohne die Diener, nicht sollen geladen werden. NagiLtri sollen 6 Tische oben
berührter Maßen zu setzen haben!" ... Und solch eine stattliche Hochzeits¬
ausrüstung wird von den Betheiligten als eine ungebürliche Einschränkung
betrachtet, -- das Gesetz nur murrend inne gehalten oder durch allerlei List
umgangen. Rectoratsschmäuse und Promotionen geben ebenfalls die erwünsch¬
teste Veranlassung zu dem maßlosesten Schlemmen, -- und Promotionen sind
an der Tagesordnung. So findet am 24. Februar 1564 in der Universität
die Promotion von 53 Magistern statt -- und eine einzige Juristen-Promo¬
tion zieht oft nicht weniger als 7 stattliche Collationen nach sich. Die Juri¬
sten sind überhaupt bei Festlichkeiten und Lustbarkeiten die Tonangeber, und
die Juristen-Bälle berühmt -- ja berüchtigt. Häusig laden die Studiosi der
Rechtsgelahrtheit die Professoren mit ihren Frauen und Töchtern zum
Abendessen und Tanz in das "Görlitzer Haus" -- aber die sittigen Tänze,
die selbst ein Luther und Melanchthon mit Wohlgefallen ihre Söhne und
Töchter tanzen sahn, sind in wilde unsittliche Wirbeltänze ausgeartet. --
Damit hängt das unberufene Eindringen der Studenten in Hochzeitsgesell¬
schaften eng zusammen und die frivolen Neckereien der Braut -- selbst in der
Kirche. Bei allen größeren Hochzeitsgesellschaften müssen zwei Professoren
zugegen sein, um durch ihr Ansetzn zu verhindern, daß wüste Studentenhaufen
in das Hochzeitshaus dringen, die Braut und andere Jungfrauen ergreifen
und wild im "Satyr" und anderen unanständigen Tänzen herumschwingen,
sich toll und voll trinken und zuletzt gar blutige Händel anfangen.

Zwar sind den Studenten ImPeetyi'^s avium ot "tuäiorum von der
Universität verordnet, Professoren und Magister -- aber nicht all zu selten
sind diese Sitten- und Studien-Meister noch zügelloser als ihre Zöglinge.
Für ein Geldgeschenk sehn sie ihren Pflegebefohlenen bei kaum glaublichen
Ausschweifungen nur zu willig durch die Finger und -- da sie meistens selber
Wein und Bier ausschenken -- befördern sie die wüste Trunksucht der Stu¬
denten schon aus Eigennutz und saugen die Aermsten, die bei ihnen "Habi-
tation, Disciplin und Tisch" haben, nach Kräften aus. (Schluß folgt.)




Sinnlos wuchs der Kleider-Luxus und die Verschwendung bei Gastereien.
Gegen diese Maßlosigkeiten bei Studenten und Professoren mußten von den
Behörden förmliche Einschränkung^ Gesetze erlassen werden. So bestimmte
das neue Mandat vom Jahre 1562 für die Universität Wittenberg: „Wenn
ein Rector, Doctor oder Licentiat für sich selbig Hochzeit hält, einen Sohn
oder eine Tochter ausgiebet, der soll Macht zu bitten haben 10 Tische
Gäste und auf einen jeden Tisch 12 Personen, daß also über 120 Personen,
ohne die Diener, nicht sollen geladen werden. NagiLtri sollen 6 Tische oben
berührter Maßen zu setzen haben!" ... Und solch eine stattliche Hochzeits¬
ausrüstung wird von den Betheiligten als eine ungebürliche Einschränkung
betrachtet, — das Gesetz nur murrend inne gehalten oder durch allerlei List
umgangen. Rectoratsschmäuse und Promotionen geben ebenfalls die erwünsch¬
teste Veranlassung zu dem maßlosesten Schlemmen, — und Promotionen sind
an der Tagesordnung. So findet am 24. Februar 1564 in der Universität
die Promotion von 53 Magistern statt — und eine einzige Juristen-Promo¬
tion zieht oft nicht weniger als 7 stattliche Collationen nach sich. Die Juri¬
sten sind überhaupt bei Festlichkeiten und Lustbarkeiten die Tonangeber, und
die Juristen-Bälle berühmt — ja berüchtigt. Häusig laden die Studiosi der
Rechtsgelahrtheit die Professoren mit ihren Frauen und Töchtern zum
Abendessen und Tanz in das „Görlitzer Haus" — aber die sittigen Tänze,
die selbst ein Luther und Melanchthon mit Wohlgefallen ihre Söhne und
Töchter tanzen sahn, sind in wilde unsittliche Wirbeltänze ausgeartet. —
Damit hängt das unberufene Eindringen der Studenten in Hochzeitsgesell¬
schaften eng zusammen und die frivolen Neckereien der Braut — selbst in der
Kirche. Bei allen größeren Hochzeitsgesellschaften müssen zwei Professoren
zugegen sein, um durch ihr Ansetzn zu verhindern, daß wüste Studentenhaufen
in das Hochzeitshaus dringen, die Braut und andere Jungfrauen ergreifen
und wild im „Satyr" und anderen unanständigen Tänzen herumschwingen,
sich toll und voll trinken und zuletzt gar blutige Händel anfangen.

Zwar sind den Studenten ImPeetyi'^s avium ot »tuäiorum von der
Universität verordnet, Professoren und Magister — aber nicht all zu selten
sind diese Sitten- und Studien-Meister noch zügelloser als ihre Zöglinge.
Für ein Geldgeschenk sehn sie ihren Pflegebefohlenen bei kaum glaublichen
Ausschweifungen nur zu willig durch die Finger und — da sie meistens selber
Wein und Bier ausschenken — befördern sie die wüste Trunksucht der Stu¬
denten schon aus Eigennutz und saugen die Aermsten, die bei ihnen „Habi-
tation, Disciplin und Tisch" haben, nach Kräften aus. (Schluß folgt.)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192324"/>
          <p xml:id="ID_76"> Sinnlos wuchs der Kleider-Luxus und die Verschwendung bei Gastereien.<lb/>
Gegen diese Maßlosigkeiten bei Studenten und Professoren mußten von den<lb/>
Behörden förmliche Einschränkung^ Gesetze erlassen werden. So bestimmte<lb/>
das neue Mandat vom Jahre 1562 für die Universität Wittenberg: &#x201E;Wenn<lb/>
ein Rector, Doctor oder Licentiat für sich selbig Hochzeit hält, einen Sohn<lb/>
oder eine Tochter ausgiebet, der soll Macht zu bitten haben 10 Tische<lb/>
Gäste und auf einen jeden Tisch 12 Personen, daß also über 120 Personen,<lb/>
ohne die Diener, nicht sollen geladen werden. NagiLtri sollen 6 Tische oben<lb/>
berührter Maßen zu setzen haben!" ... Und solch eine stattliche Hochzeits¬<lb/>
ausrüstung wird von den Betheiligten als eine ungebürliche Einschränkung<lb/>
betrachtet, &#x2014; das Gesetz nur murrend inne gehalten oder durch allerlei List<lb/>
umgangen. Rectoratsschmäuse und Promotionen geben ebenfalls die erwünsch¬<lb/>
teste Veranlassung zu dem maßlosesten Schlemmen, &#x2014; und Promotionen sind<lb/>
an der Tagesordnung. So findet am 24. Februar 1564 in der Universität<lb/>
die Promotion von 53 Magistern statt &#x2014; und eine einzige Juristen-Promo¬<lb/>
tion zieht oft nicht weniger als 7 stattliche Collationen nach sich. Die Juri¬<lb/>
sten sind überhaupt bei Festlichkeiten und Lustbarkeiten die Tonangeber, und<lb/>
die Juristen-Bälle berühmt &#x2014; ja berüchtigt. Häusig laden die Studiosi der<lb/>
Rechtsgelahrtheit die Professoren mit ihren Frauen und Töchtern zum<lb/>
Abendessen und Tanz in das &#x201E;Görlitzer Haus" &#x2014; aber die sittigen Tänze,<lb/>
die selbst ein Luther und Melanchthon mit Wohlgefallen ihre Söhne und<lb/>
Töchter tanzen sahn, sind in wilde unsittliche Wirbeltänze ausgeartet. &#x2014;<lb/>
Damit hängt das unberufene Eindringen der Studenten in Hochzeitsgesell¬<lb/>
schaften eng zusammen und die frivolen Neckereien der Braut &#x2014; selbst in der<lb/>
Kirche. Bei allen größeren Hochzeitsgesellschaften müssen zwei Professoren<lb/>
zugegen sein, um durch ihr Ansetzn zu verhindern, daß wüste Studentenhaufen<lb/>
in das Hochzeitshaus dringen, die Braut und andere Jungfrauen ergreifen<lb/>
und wild im &#x201E;Satyr" und anderen unanständigen Tänzen herumschwingen,<lb/>
sich toll und voll trinken und zuletzt gar blutige Händel anfangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_77"> Zwar sind den Studenten ImPeetyi'^s avium ot »tuäiorum von der<lb/>
Universität verordnet, Professoren und Magister &#x2014; aber nicht all zu selten<lb/>
sind diese Sitten- und Studien-Meister noch zügelloser als ihre Zöglinge.<lb/>
Für ein Geldgeschenk sehn sie ihren Pflegebefohlenen bei kaum glaublichen<lb/>
Ausschweifungen nur zu willig durch die Finger und &#x2014; da sie meistens selber<lb/>
Wein und Bier ausschenken &#x2014; befördern sie die wüste Trunksucht der Stu¬<lb/>
denten schon aus Eigennutz und saugen die Aermsten, die bei ihnen &#x201E;Habi-<lb/>
tation, Disciplin und Tisch" haben, nach Kräften aus.   (Schluß folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] Sinnlos wuchs der Kleider-Luxus und die Verschwendung bei Gastereien. Gegen diese Maßlosigkeiten bei Studenten und Professoren mußten von den Behörden förmliche Einschränkung^ Gesetze erlassen werden. So bestimmte das neue Mandat vom Jahre 1562 für die Universität Wittenberg: „Wenn ein Rector, Doctor oder Licentiat für sich selbig Hochzeit hält, einen Sohn oder eine Tochter ausgiebet, der soll Macht zu bitten haben 10 Tische Gäste und auf einen jeden Tisch 12 Personen, daß also über 120 Personen, ohne die Diener, nicht sollen geladen werden. NagiLtri sollen 6 Tische oben berührter Maßen zu setzen haben!" ... Und solch eine stattliche Hochzeits¬ ausrüstung wird von den Betheiligten als eine ungebürliche Einschränkung betrachtet, — das Gesetz nur murrend inne gehalten oder durch allerlei List umgangen. Rectoratsschmäuse und Promotionen geben ebenfalls die erwünsch¬ teste Veranlassung zu dem maßlosesten Schlemmen, — und Promotionen sind an der Tagesordnung. So findet am 24. Februar 1564 in der Universität die Promotion von 53 Magistern statt — und eine einzige Juristen-Promo¬ tion zieht oft nicht weniger als 7 stattliche Collationen nach sich. Die Juri¬ sten sind überhaupt bei Festlichkeiten und Lustbarkeiten die Tonangeber, und die Juristen-Bälle berühmt — ja berüchtigt. Häusig laden die Studiosi der Rechtsgelahrtheit die Professoren mit ihren Frauen und Töchtern zum Abendessen und Tanz in das „Görlitzer Haus" — aber die sittigen Tänze, die selbst ein Luther und Melanchthon mit Wohlgefallen ihre Söhne und Töchter tanzen sahn, sind in wilde unsittliche Wirbeltänze ausgeartet. — Damit hängt das unberufene Eindringen der Studenten in Hochzeitsgesell¬ schaften eng zusammen und die frivolen Neckereien der Braut — selbst in der Kirche. Bei allen größeren Hochzeitsgesellschaften müssen zwei Professoren zugegen sein, um durch ihr Ansetzn zu verhindern, daß wüste Studentenhaufen in das Hochzeitshaus dringen, die Braut und andere Jungfrauen ergreifen und wild im „Satyr" und anderen unanständigen Tänzen herumschwingen, sich toll und voll trinken und zuletzt gar blutige Händel anfangen. Zwar sind den Studenten ImPeetyi'^s avium ot »tuäiorum von der Universität verordnet, Professoren und Magister — aber nicht all zu selten sind diese Sitten- und Studien-Meister noch zügelloser als ihre Zöglinge. Für ein Geldgeschenk sehn sie ihren Pflegebefohlenen bei kaum glaublichen Ausschweifungen nur zu willig durch die Finger und — da sie meistens selber Wein und Bier ausschenken — befördern sie die wüste Trunksucht der Stu¬ denten schon aus Eigennutz und saugen die Aermsten, die bei ihnen „Habi- tation, Disciplin und Tisch" haben, nach Kräften aus. (Schluß folgt.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/24
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/24>, abgerufen am 05.02.2025.