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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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mehr eine über die Grenzen der heimischen Schlagbäume hinausreichende Wirk¬
samkeit. Bon dieser Zeit beginnt auch das wunderbare Wachsthum der
preußischen Metropole. Berlin, bekanntlich um die Mitte des Is. Jahrhun¬
derts von dem Hohenzollernfürsten Friedrich II. dem Eisernen zur Hauptstadt
Brandenburgs gemacht, hatte zu Ende des 15. Jahrhunderts nicht mehr als
etwa 10,000 Einwohner. Bei dem Umsturze aller staatlichen und socialen
Verhältnisse im dreißigjährigen Kriege sank die Einwohnerzahl auf 6000 herab,
vermehrte sich aber gleich nach dem Eintritt friedlicher Zeiten sehr erheblich;
1680 betrug sie bereits 17,000, zu Anfange des 18. Jahrhunderts 50,000,
stieg 1735 auf 100,000, 1804 auf 182,157. sank in Folge des Krieges 1807 auf
145,941, verdoppelte sich aber von 1815 bis 1823, und vervierfachte sich in dem
weiteren halben Jahrhundert, so daß sie jetzt nahe an eine 1 Million beträgt,
wie die Zählung im nächsten December darthun wird.

Nachdem zu Ende der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts die Schnell¬
posten, welche die 380 Meilen von Petersburg nach Paris in 15 Tagen
zurück legten, die gerechte Bewunderung aller Pfahlbürger und Kleinstädter
erregt hatten, blieb dem Einflüsse des modernsten Verkehrsmittels: den Eisen¬
bahnen vorbehalten, der Entwickelung des Posttransportwesens ungeahnte
Impulse zu geben. In dieser Beziehung erwies sich die glückliche Lage Ber¬
lins, als eines commerciellen Centralpunkts, als einer Vermittlerin zwischen
dem Westen und Osten Europa's, für den internationalen Verkehr von grö߬
ter Bedeutung; schon früher durch die Verbindung der Flußsysteme von Elbe
und Oder ein wichtiger Transit- und Speditionspunkt, wurde Berlin durch
die Eisenbahnen das Hauptemporium des Binnenhandels in Mitteleuropa.
Die Intelligenz seiner Fürsten verlieh ihm außer den Segnungen gewerblicher
Blüthe durch Gründung von Academien und Hochschulen den Glanz Athens,
das Prestige wissenschaftlicher und künstlerischer Größen, alles Factoren, deren
Gesammtwirkung von hohem Einflüsse auf das Emporblühen der Stadt "in
der Sandbüchse des heiligen römischen Reichs deutscher Nation" war.

Mit diesem Aufschwünge der Hauptstadt ging die Reform der Postbetriebs¬
einrichtungen Hand in Hand. Der lebendig pulsirende innere Verkehr Ber¬
lins hatte längst nach Herstellung eines Mediums für die Vermittelung von
brieflichen Nachrichten innerhalb der Grenzen des städtischen Weichbildes ver¬
langt. Man war zu Anfange dieses Jahrhunderts hierin bereits zur Selbst¬
hülfe übergegangen, indem die Mitglieder der sehr ehrenwerthen "Kaufmanns¬
gilde von der Materialhandlung" die Läden ihrer in der Stadt zerstreut
wohnenden Gewerbsgenossen zu Bnefsammlungen eingerichtet hatten, und die
auf diese Weise colligirten Briefe durch Voden bestellen ließen, welche die
Straßen Berlins durchzogen, und sich durch Klingeln mit einer Glocke
bemerklich machten. Eine sehr primitive Einrichtung, aber doch eine Einrich-


mehr eine über die Grenzen der heimischen Schlagbäume hinausreichende Wirk¬
samkeit. Bon dieser Zeit beginnt auch das wunderbare Wachsthum der
preußischen Metropole. Berlin, bekanntlich um die Mitte des Is. Jahrhun¬
derts von dem Hohenzollernfürsten Friedrich II. dem Eisernen zur Hauptstadt
Brandenburgs gemacht, hatte zu Ende des 15. Jahrhunderts nicht mehr als
etwa 10,000 Einwohner. Bei dem Umsturze aller staatlichen und socialen
Verhältnisse im dreißigjährigen Kriege sank die Einwohnerzahl auf 6000 herab,
vermehrte sich aber gleich nach dem Eintritt friedlicher Zeiten sehr erheblich;
1680 betrug sie bereits 17,000, zu Anfange des 18. Jahrhunderts 50,000,
stieg 1735 auf 100,000, 1804 auf 182,157. sank in Folge des Krieges 1807 auf
145,941, verdoppelte sich aber von 1815 bis 1823, und vervierfachte sich in dem
weiteren halben Jahrhundert, so daß sie jetzt nahe an eine 1 Million beträgt,
wie die Zählung im nächsten December darthun wird.

Nachdem zu Ende der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts die Schnell¬
posten, welche die 380 Meilen von Petersburg nach Paris in 15 Tagen
zurück legten, die gerechte Bewunderung aller Pfahlbürger und Kleinstädter
erregt hatten, blieb dem Einflüsse des modernsten Verkehrsmittels: den Eisen¬
bahnen vorbehalten, der Entwickelung des Posttransportwesens ungeahnte
Impulse zu geben. In dieser Beziehung erwies sich die glückliche Lage Ber¬
lins, als eines commerciellen Centralpunkts, als einer Vermittlerin zwischen
dem Westen und Osten Europa's, für den internationalen Verkehr von grö߬
ter Bedeutung; schon früher durch die Verbindung der Flußsysteme von Elbe
und Oder ein wichtiger Transit- und Speditionspunkt, wurde Berlin durch
die Eisenbahnen das Hauptemporium des Binnenhandels in Mitteleuropa.
Die Intelligenz seiner Fürsten verlieh ihm außer den Segnungen gewerblicher
Blüthe durch Gründung von Academien und Hochschulen den Glanz Athens,
das Prestige wissenschaftlicher und künstlerischer Größen, alles Factoren, deren
Gesammtwirkung von hohem Einflüsse auf das Emporblühen der Stadt „in
der Sandbüchse des heiligen römischen Reichs deutscher Nation" war.

Mit diesem Aufschwünge der Hauptstadt ging die Reform der Postbetriebs¬
einrichtungen Hand in Hand. Der lebendig pulsirende innere Verkehr Ber¬
lins hatte längst nach Herstellung eines Mediums für die Vermittelung von
brieflichen Nachrichten innerhalb der Grenzen des städtischen Weichbildes ver¬
langt. Man war zu Anfange dieses Jahrhunderts hierin bereits zur Selbst¬
hülfe übergegangen, indem die Mitglieder der sehr ehrenwerthen „Kaufmanns¬
gilde von der Materialhandlung" die Läden ihrer in der Stadt zerstreut
wohnenden Gewerbsgenossen zu Bnefsammlungen eingerichtet hatten, und die
auf diese Weise colligirten Briefe durch Voden bestellen ließen, welche die
Straßen Berlins durchzogen, und sich durch Klingeln mit einer Glocke
bemerklich machten. Eine sehr primitive Einrichtung, aber doch eine Einrich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/237>, abgerufen am 05.02.2025.