Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.nur ersonnen, um ihre Mußestunden zu erheitern; der Bewohner des platten Offenbar war es diese sonderbare Anschauung, welche in den Zeiten der Die logische Conseauenz dieses Princips ist, daß für die Pariser der Ein¬ Die Zeitungen, die man in Paris schreibt, und die zu uns in der Pro¬ Ich kann mir diese falsche Ungläubigst nicht aneignen, welche, um ihre nur ersonnen, um ihre Mußestunden zu erheitern; der Bewohner des platten Offenbar war es diese sonderbare Anschauung, welche in den Zeiten der Die logische Conseauenz dieses Princips ist, daß für die Pariser der Ein¬ Die Zeitungen, die man in Paris schreibt, und die zu uns in der Pro¬ Ich kann mir diese falsche Ungläubigst nicht aneignen, welche, um ihre <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192533"/> <p xml:id="ID_879" prev="#ID_878"> nur ersonnen, um ihre Mußestunden zu erheitern; der Bewohner des platten<lb/> Landes eine Art Thier mit etwas Verstand, ein bischen weniger ungeschlacht<lb/> und unbequem als das gewöhnliche Heerdenvieh und eigentlich nur geduldet,<lb/> weil er zum Säen und Ernten des Korns und zur Pflege des Weines noth¬<lb/> wendig ist. In den Augen der Pariser erstreckt sich das, was man „das Land"<lb/> nennt, von Batignolles bis nach Charenton, darüber hinaus fängt das Aus¬<lb/> land an.</p><lb/> <p xml:id="ID_880"> Offenbar war es diese sonderbare Anschauung, welche in den Zeiten der<lb/> Commune beinahe alle Gemüther in Paris in die Irre führte. Viele Leute,<lb/> die ungeheure Majorität ohne Zweifel, hatte Grauen vor dieser gemeinen<lb/> Negierung, deren Personal doch gar zu viel Canaille unter sich zählte, aber<lb/> die Idee lächelte sie verwandtschaftlich an. Ich habe damals die rechtschaffen¬<lb/> sten und wohlhäbigsten Leute, welche über den sittlichen Werth der Minister<lb/> sehr gering dachten, mit lauter Stimme die Theorie preisen hören, nach welcher<lb/> Paris Meister in Frankreich zu sein und es nach seinen Launen zu leiten be¬<lb/> rufen sein sollte, wie man einen Unmündigen oder einen sür mundtodt Er¬<lb/> klärten leitet.</p><lb/> <p xml:id="ID_881"> Die logische Conseauenz dieses Princips ist, daß für die Pariser der Ein¬<lb/> bruch der Deutschen nur an dem Tage eine Wahrheit gewesen ist, wo die<lb/> Ulanen über die Champs-Elysees ritten und auf dem Place de la Concorde<lb/> ihr Lager aufschlugen. Oh! dieser Tag war im Ernst ein Tag der Trauer!<lb/> Die Läden schlössen sich, Einsamkeit und Schweigen verbreiteten sich über die<lb/> Straßen. An diesem Tage hörten die Pariser auf zu lachen, das Vaterland<lb/> war jetzt wirklich und wahrhaftig entweiht.</p><lb/> <p xml:id="ID_882"> Die Zeitungen, die man in Paris schreibt, und die zu uns in der Pro¬<lb/> vinz wie Moses und die Propheten kommen, haben uns vom Eintritt der<lb/> Barbaren in das Elsaß an ganz schöne Klagelieder gesungen über die Be¬<lb/> fleckung des geheiligten Bodens, dann über die Plünderung, die Verwüstung<lb/> des Platten Landes und alle Bettelhaftigkeiten der Deutschen, endlich über<lb/> die Zerstückelung, diese letzte fürchterliche Prüfung; aber der Bewohner der<lb/> Rue Saint Denis, welcher nie auch nur' die Spitze einer preußischen Pickel¬<lb/> haube gesehen hat, ist beinahe versucht, zu glauben, daß es nur ein Alpdrücken<lb/> gewesen. Hätte er nicht etliche Monate das Fleisch von schwindsüchtiger Pfer¬<lb/> den und Brod, aus dem Stroh alter Stühle gemacht, essen müssen, so würde<lb/> er dreist in Abrede stellen, daß ein Drittel von Frankreich mit Blut befleckt,<lb/> ausgeplündert und in Asche gelegt worden, da ja die Rue Saint Denis und<lb/> ihre Umgebungen unbeschädigt geblieben sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_883" next="#ID_884"> Ich kann mir diese falsche Ungläubigst nicht aneignen, welche, um ihre<lb/> eigne Sprache zu reden, nur eine künstliche Absagung der Hauptstadt von der zu<lb/> naiven Provinz ist. Ich könnte mich noch weniger an die unanständige Art und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0232]
nur ersonnen, um ihre Mußestunden zu erheitern; der Bewohner des platten
Landes eine Art Thier mit etwas Verstand, ein bischen weniger ungeschlacht
und unbequem als das gewöhnliche Heerdenvieh und eigentlich nur geduldet,
weil er zum Säen und Ernten des Korns und zur Pflege des Weines noth¬
wendig ist. In den Augen der Pariser erstreckt sich das, was man „das Land"
nennt, von Batignolles bis nach Charenton, darüber hinaus fängt das Aus¬
land an.
Offenbar war es diese sonderbare Anschauung, welche in den Zeiten der
Commune beinahe alle Gemüther in Paris in die Irre führte. Viele Leute,
die ungeheure Majorität ohne Zweifel, hatte Grauen vor dieser gemeinen
Negierung, deren Personal doch gar zu viel Canaille unter sich zählte, aber
die Idee lächelte sie verwandtschaftlich an. Ich habe damals die rechtschaffen¬
sten und wohlhäbigsten Leute, welche über den sittlichen Werth der Minister
sehr gering dachten, mit lauter Stimme die Theorie preisen hören, nach welcher
Paris Meister in Frankreich zu sein und es nach seinen Launen zu leiten be¬
rufen sein sollte, wie man einen Unmündigen oder einen sür mundtodt Er¬
klärten leitet.
Die logische Conseauenz dieses Princips ist, daß für die Pariser der Ein¬
bruch der Deutschen nur an dem Tage eine Wahrheit gewesen ist, wo die
Ulanen über die Champs-Elysees ritten und auf dem Place de la Concorde
ihr Lager aufschlugen. Oh! dieser Tag war im Ernst ein Tag der Trauer!
Die Läden schlössen sich, Einsamkeit und Schweigen verbreiteten sich über die
Straßen. An diesem Tage hörten die Pariser auf zu lachen, das Vaterland
war jetzt wirklich und wahrhaftig entweiht.
Die Zeitungen, die man in Paris schreibt, und die zu uns in der Pro¬
vinz wie Moses und die Propheten kommen, haben uns vom Eintritt der
Barbaren in das Elsaß an ganz schöne Klagelieder gesungen über die Be¬
fleckung des geheiligten Bodens, dann über die Plünderung, die Verwüstung
des Platten Landes und alle Bettelhaftigkeiten der Deutschen, endlich über
die Zerstückelung, diese letzte fürchterliche Prüfung; aber der Bewohner der
Rue Saint Denis, welcher nie auch nur' die Spitze einer preußischen Pickel¬
haube gesehen hat, ist beinahe versucht, zu glauben, daß es nur ein Alpdrücken
gewesen. Hätte er nicht etliche Monate das Fleisch von schwindsüchtiger Pfer¬
den und Brod, aus dem Stroh alter Stühle gemacht, essen müssen, so würde
er dreist in Abrede stellen, daß ein Drittel von Frankreich mit Blut befleckt,
ausgeplündert und in Asche gelegt worden, da ja die Rue Saint Denis und
ihre Umgebungen unbeschädigt geblieben sind.
Ich kann mir diese falsche Ungläubigst nicht aneignen, welche, um ihre
eigne Sprache zu reden, nur eine künstliche Absagung der Hauptstadt von der zu
naiven Provinz ist. Ich könnte mich noch weniger an die unanständige Art und
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |