Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.zugeben, daß zu allen Zeiten in Parlamenten so gesprochen wird, wenn auch natür¬ Genau in die Fußtapfen des Dr. Loewe trat der Abgeordnete Richter bei zugeben, daß zu allen Zeiten in Parlamenten so gesprochen wird, wenn auch natür¬ Genau in die Fußtapfen des Dr. Loewe trat der Abgeordnete Richter bei <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0206" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192507"/> <p xml:id="ID_767" prev="#ID_766"> zugeben, daß zu allen Zeiten in Parlamenten so gesprochen wird, wenn auch natür¬<lb/> lich nicht von den Rednern, welche das Maximum des parlamentarischen Niveau's<lb/> bezeichnen, sondern von denen, welche nach dem Minimum gravitiren. Auch wissen<lb/> wir wohl, daß die Worte des Vertreters der Fortschrittspartei auf die Abstimmung<lb/> gar keinen Einfluß gehabt haben. Aber wir bedauern solche Reden um des Reichs¬<lb/> tags willen. Gegenüber einer Regierung voll der kühnsten und reichsten Ini¬<lb/> tiative ist die Rolle des Parlaments an sich schon keine leichte. In solchen<lb/> Zeiten muß das Parlament diejenigen Bedürfnisse, welche der Regierung weniger<lb/> erreichbar sind, für seine schöpferische Initiative aufsuchen. Eine Opposition aber,<lb/> der man in jedem Wort anhört, daß sie nur opponire, um zu opponiren, und welche<lb/> sich dabei in Bezug auf Geist und Originalität so wenig in Unkosten steckt,<lb/> kann nur die Wirkung haben, das Vertrauen zu den parlamentarischen Ein¬<lb/> richtungen zu schwächen. Man sollte sich darüber niemals einer Täuschung<lb/> hingeben, daß der Parlamentarismus auf dem Glauben, auf der fortwähren¬<lb/> den Theilnahme der gebildeten Klassen beruht. Daß das Parlament einen<lb/> unmittelbaren Rapport zu der großen Volksmasse gewinnt, kann immer nur<lb/> Ausnahme sein. Die Theilnahme der Gebildeten aber kann unmöglich erhal¬<lb/> ten bleiben, wenn in den Reden hervorragender Parteiführer eine solche Un¬<lb/> fähigkeit hervortritt, die Wirklichkeit und die offenbaren politischen Thatsachen<lb/> zu würdigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_768"> Genau in die Fußtapfen des Dr. Loewe trat der Abgeordnete Richter bei<lb/> Berathung des Gesetzes über die Rückzah.tun g' der ersten Kriegsan-<lb/> leihe. Ercitirte Amerika, wo die Regierung" die Fondsankäuse im Vor¬<lb/> aus ankündige. Präsident Delbrück antwortete: „Die Details der einzelnen<lb/> Transaetionen vorher zur öffentlichen Kenntniß zu bringen, würde für die Ban¬<lb/> quiers von Interesse sein, für die Neichssinanzen weniger. Die Folge solcher<lb/> Veröffentlichungen würden Speculationen sein, welche die Durchführung der in<lb/> Aussicht genommenen Pläne zur Unmöglichkeit machen." Die Anekdote, welche<lb/> derselbe Abgeordnete im Style Münchhausens bei dem Gesetz über die Controle<lb/> des Reichshaushaltes von dem ausgestopften Hauptmann erzählte, fand durch<lb/> den Bundescommissar Camphausen die verdiente Zurückweisung. Seltsamer¬<lb/> weise wollte Herr Richter sein Recht, diese Anekdote auf die Tribüne des<lb/> Reichstags zu bringen, damit begründen, daß sie vor einem Jahre unwider-<lb/> legt durch einen Theil der Presse gegangen sei. Also jede Albernheit, durch<lb/> deren Widerlegung der Angegriffene sich unnöthig herablassen würde, erhält<lb/> durch des letzteren Zurückhaltung das Bürgerrecht auf der ersten Tribüne der<lb/> Nation! Welche traurige Vorstellung von dem Ernst und der Würde der<lb/> Verhandlungen des Reichstags!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0206]
zugeben, daß zu allen Zeiten in Parlamenten so gesprochen wird, wenn auch natür¬
lich nicht von den Rednern, welche das Maximum des parlamentarischen Niveau's
bezeichnen, sondern von denen, welche nach dem Minimum gravitiren. Auch wissen
wir wohl, daß die Worte des Vertreters der Fortschrittspartei auf die Abstimmung
gar keinen Einfluß gehabt haben. Aber wir bedauern solche Reden um des Reichs¬
tags willen. Gegenüber einer Regierung voll der kühnsten und reichsten Ini¬
tiative ist die Rolle des Parlaments an sich schon keine leichte. In solchen
Zeiten muß das Parlament diejenigen Bedürfnisse, welche der Regierung weniger
erreichbar sind, für seine schöpferische Initiative aufsuchen. Eine Opposition aber,
der man in jedem Wort anhört, daß sie nur opponire, um zu opponiren, und welche
sich dabei in Bezug auf Geist und Originalität so wenig in Unkosten steckt,
kann nur die Wirkung haben, das Vertrauen zu den parlamentarischen Ein¬
richtungen zu schwächen. Man sollte sich darüber niemals einer Täuschung
hingeben, daß der Parlamentarismus auf dem Glauben, auf der fortwähren¬
den Theilnahme der gebildeten Klassen beruht. Daß das Parlament einen
unmittelbaren Rapport zu der großen Volksmasse gewinnt, kann immer nur
Ausnahme sein. Die Theilnahme der Gebildeten aber kann unmöglich erhal¬
ten bleiben, wenn in den Reden hervorragender Parteiführer eine solche Un¬
fähigkeit hervortritt, die Wirklichkeit und die offenbaren politischen Thatsachen
zu würdigen.
Genau in die Fußtapfen des Dr. Loewe trat der Abgeordnete Richter bei
Berathung des Gesetzes über die Rückzah.tun g' der ersten Kriegsan-
leihe. Ercitirte Amerika, wo die Regierung" die Fondsankäuse im Vor¬
aus ankündige. Präsident Delbrück antwortete: „Die Details der einzelnen
Transaetionen vorher zur öffentlichen Kenntniß zu bringen, würde für die Ban¬
quiers von Interesse sein, für die Neichssinanzen weniger. Die Folge solcher
Veröffentlichungen würden Speculationen sein, welche die Durchführung der in
Aussicht genommenen Pläne zur Unmöglichkeit machen." Die Anekdote, welche
derselbe Abgeordnete im Style Münchhausens bei dem Gesetz über die Controle
des Reichshaushaltes von dem ausgestopften Hauptmann erzählte, fand durch
den Bundescommissar Camphausen die verdiente Zurückweisung. Seltsamer¬
weise wollte Herr Richter sein Recht, diese Anekdote auf die Tribüne des
Reichstags zu bringen, damit begründen, daß sie vor einem Jahre unwider-
legt durch einen Theil der Presse gegangen sei. Also jede Albernheit, durch
deren Widerlegung der Angegriffene sich unnöthig herablassen würde, erhält
durch des letzteren Zurückhaltung das Bürgerrecht auf der ersten Tribüne der
Nation! Welche traurige Vorstellung von dem Ernst und der Würde der
Verhandlungen des Reichstags!
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