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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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vernommen wurde. Das war, als er vor ungefähr 10 Jahren aus Amerika
zurückgekommen war. Damals erschien der ehemalige Reichsregent in purtidus
noch immer als ein glühender Freiheitsmann, was man so nennt, aber nicht
minder zeigte er ein warmes patriotisches Gefühl, und es schien, als habe er
in Amerika einigermaßen begriffen, wann es im Staatsleben frommt, den
Wunsch zur That zu machen. Mit Bedauern sehen wir den Abgeordneten
Löwe um so hartnäckiger die Pfade des unbelehrbarer Doctrinarismus wan¬
deln, je mehr der deutsche Staat, den so viele Generationen vergeblich ge¬
träumt, eine große Wahrheit geworden ist.

Herr Löwe wollte natürlich nichts von einem Reichskriegsschatz wissen.
Man könne das Geld zur Mobilmachung jederzeit borgen. Der Redner sprach
das große Wort gelassen aus: "Nicht die ersten 40 Millionen sind es, auf
die es im Kriege ankommt, sondern die letzten!" Der einfache Menschen¬
verstand antwortet, daß wenn die Millionen ausgehen, ehe das Kriegsziel
erreicht ist, der Friede nicht so vortheilhaft ausfallen wird, wie er vielleicht
hätte ausfallen können. Wenn aber die Millionen im Anfang fehlen, so
wird bald der Feind im Lande stehen, und das Geld, so wie noch andere
Dinge, holen, wo er sie findet.

Herr Löwe fuhr fort, die Ueberflüssigkeit des Kriegsschatzes darzuthun,
indem er den Patriotismus des Volkes als jederzeit bereit zur Anschaffung
der Kriegsmittel pries. Dabei mußte er sich freilich erinnern, daß beim Aus¬
bruch des letzten Krieges die Zeichnungen zur Kriegsanleihe den ausgeschrie¬
benen Betrag nicht erreichten. Aber daran, meinte der Redner, sei nicht das
Volk Schuld gewesen, sondern bloß die Börse. Ohne Zweifel wird uns Herr
Löwe empfehlen, im Wiederholungsfalle an die feindliche Negierung zu schrei¬
ben: "Wartet ein wenig, bis wir das nöthige Geld haben; wir bekommen
es sicher; die Verzögerung liegt nur an der Börse, die auf den niedrigsten
Cours wartet." -- Als Redner nach der Regel stellte der Sprecher den stärk¬
sten Grund an's Ende. Er sagte: "Ihr meint, die Wiederholung des Krie¬
ges mit Frankreich stehe bevor; aber ihr haltet euch nur an den Oberstrom
der öffentlichen Meinung; im Grunde des Herzens sind die Franzosen dafür,
uns alles zu lassen, was wir gewonnen: Siegesruhm, Milliarden und Elsaß-
Lothringen. Auch die Kriegerischen unter ihnen wollen nicht eher losschlagen,
als bis der französische Soldat deutsch sprechen gelernt hat, und das dauert
bis an's Ende der Tage. Zu allem Ueberfluß aber hat Deutschland, wie die
Thronrede angezeigt hat, jetzt Oestreich und Rußland zu Freunden."

Ist das nicht die subalternste Kannegießerei? Wir führen dergleichen wahr¬
lich nicht an, um ein Wort der Widerlegung zu verlieren. Wir wollen sogar


vernommen wurde. Das war, als er vor ungefähr 10 Jahren aus Amerika
zurückgekommen war. Damals erschien der ehemalige Reichsregent in purtidus
noch immer als ein glühender Freiheitsmann, was man so nennt, aber nicht
minder zeigte er ein warmes patriotisches Gefühl, und es schien, als habe er
in Amerika einigermaßen begriffen, wann es im Staatsleben frommt, den
Wunsch zur That zu machen. Mit Bedauern sehen wir den Abgeordneten
Löwe um so hartnäckiger die Pfade des unbelehrbarer Doctrinarismus wan¬
deln, je mehr der deutsche Staat, den so viele Generationen vergeblich ge¬
träumt, eine große Wahrheit geworden ist.

Herr Löwe wollte natürlich nichts von einem Reichskriegsschatz wissen.
Man könne das Geld zur Mobilmachung jederzeit borgen. Der Redner sprach
das große Wort gelassen aus: „Nicht die ersten 40 Millionen sind es, auf
die es im Kriege ankommt, sondern die letzten!" Der einfache Menschen¬
verstand antwortet, daß wenn die Millionen ausgehen, ehe das Kriegsziel
erreicht ist, der Friede nicht so vortheilhaft ausfallen wird, wie er vielleicht
hätte ausfallen können. Wenn aber die Millionen im Anfang fehlen, so
wird bald der Feind im Lande stehen, und das Geld, so wie noch andere
Dinge, holen, wo er sie findet.

Herr Löwe fuhr fort, die Ueberflüssigkeit des Kriegsschatzes darzuthun,
indem er den Patriotismus des Volkes als jederzeit bereit zur Anschaffung
der Kriegsmittel pries. Dabei mußte er sich freilich erinnern, daß beim Aus¬
bruch des letzten Krieges die Zeichnungen zur Kriegsanleihe den ausgeschrie¬
benen Betrag nicht erreichten. Aber daran, meinte der Redner, sei nicht das
Volk Schuld gewesen, sondern bloß die Börse. Ohne Zweifel wird uns Herr
Löwe empfehlen, im Wiederholungsfalle an die feindliche Negierung zu schrei¬
ben: „Wartet ein wenig, bis wir das nöthige Geld haben; wir bekommen
es sicher; die Verzögerung liegt nur an der Börse, die auf den niedrigsten
Cours wartet." — Als Redner nach der Regel stellte der Sprecher den stärk¬
sten Grund an's Ende. Er sagte: „Ihr meint, die Wiederholung des Krie¬
ges mit Frankreich stehe bevor; aber ihr haltet euch nur an den Oberstrom
der öffentlichen Meinung; im Grunde des Herzens sind die Franzosen dafür,
uns alles zu lassen, was wir gewonnen: Siegesruhm, Milliarden und Elsaß-
Lothringen. Auch die Kriegerischen unter ihnen wollen nicht eher losschlagen,
als bis der französische Soldat deutsch sprechen gelernt hat, und das dauert
bis an's Ende der Tage. Zu allem Ueberfluß aber hat Deutschland, wie die
Thronrede angezeigt hat, jetzt Oestreich und Rußland zu Freunden."

Ist das nicht die subalternste Kannegießerei? Wir führen dergleichen wahr¬
lich nicht an, um ein Wort der Widerlegung zu verlieren. Wir wollen sogar


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[0205] vernommen wurde. Das war, als er vor ungefähr 10 Jahren aus Amerika zurückgekommen war. Damals erschien der ehemalige Reichsregent in purtidus noch immer als ein glühender Freiheitsmann, was man so nennt, aber nicht minder zeigte er ein warmes patriotisches Gefühl, und es schien, als habe er in Amerika einigermaßen begriffen, wann es im Staatsleben frommt, den Wunsch zur That zu machen. Mit Bedauern sehen wir den Abgeordneten Löwe um so hartnäckiger die Pfade des unbelehrbarer Doctrinarismus wan¬ deln, je mehr der deutsche Staat, den so viele Generationen vergeblich ge¬ träumt, eine große Wahrheit geworden ist. Herr Löwe wollte natürlich nichts von einem Reichskriegsschatz wissen. Man könne das Geld zur Mobilmachung jederzeit borgen. Der Redner sprach das große Wort gelassen aus: „Nicht die ersten 40 Millionen sind es, auf die es im Kriege ankommt, sondern die letzten!" Der einfache Menschen¬ verstand antwortet, daß wenn die Millionen ausgehen, ehe das Kriegsziel erreicht ist, der Friede nicht so vortheilhaft ausfallen wird, wie er vielleicht hätte ausfallen können. Wenn aber die Millionen im Anfang fehlen, so wird bald der Feind im Lande stehen, und das Geld, so wie noch andere Dinge, holen, wo er sie findet. Herr Löwe fuhr fort, die Ueberflüssigkeit des Kriegsschatzes darzuthun, indem er den Patriotismus des Volkes als jederzeit bereit zur Anschaffung der Kriegsmittel pries. Dabei mußte er sich freilich erinnern, daß beim Aus¬ bruch des letzten Krieges die Zeichnungen zur Kriegsanleihe den ausgeschrie¬ benen Betrag nicht erreichten. Aber daran, meinte der Redner, sei nicht das Volk Schuld gewesen, sondern bloß die Börse. Ohne Zweifel wird uns Herr Löwe empfehlen, im Wiederholungsfalle an die feindliche Negierung zu schrei¬ ben: „Wartet ein wenig, bis wir das nöthige Geld haben; wir bekommen es sicher; die Verzögerung liegt nur an der Börse, die auf den niedrigsten Cours wartet." — Als Redner nach der Regel stellte der Sprecher den stärk¬ sten Grund an's Ende. Er sagte: „Ihr meint, die Wiederholung des Krie¬ ges mit Frankreich stehe bevor; aber ihr haltet euch nur an den Oberstrom der öffentlichen Meinung; im Grunde des Herzens sind die Franzosen dafür, uns alles zu lassen, was wir gewonnen: Siegesruhm, Milliarden und Elsaß- Lothringen. Auch die Kriegerischen unter ihnen wollen nicht eher losschlagen, als bis der französische Soldat deutsch sprechen gelernt hat, und das dauert bis an's Ende der Tage. Zu allem Ueberfluß aber hat Deutschland, wie die Thronrede angezeigt hat, jetzt Oestreich und Rußland zu Freunden." Ist das nicht die subalternste Kannegießerei? Wir führen dergleichen wahr¬ lich nicht an, um ein Wort der Widerlegung zu verlieren. Wir wollen sogar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/205>, abgerufen am 05.02.2025.