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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Correspondenz lehrt, daß der Vorschlag der französischen Vergrößerung, wel¬
cher die Grenze von 1814, Luxemburg und Belgien umfaßte, Herrn Bene-
detti von Paris aus vorgeschrieben wurde; daß Herr Benedetti die Vollmacht
erhielt, von jeder Berichtigung der deutschen Grenze nöthigenfalls abzusehen,
und daß er, von dieser Vollmacht aus wohl bekannten Gründen Gebrauch
machend, den von ihm redigirten Vertragsentwurf zur Genehmigung nach
Paris sandte, um ihn demnächst dem Fürsten Bismarck zu Präsentiren. Der
Fürst aber, von den Anstrengungen des Jahres 1866 bis zur Erschütterung
der Gesundheit erschöpft, beurlaubte sich auf mehrere Monate von den Ge¬
schäften. Der Vertragsentwurf blieb einstweilen Concept. Die französische
Regierung aber glaubte des Vertrags und seiner Zusicherung bewaffneter Hilfe
nur für die Erwerbung Belgiens zu bedürfen, in Betreff Luxemburgs aber
ungefährdet vorgehen zu können. Der Versuch, im Frühjahr 1867 unter¬
nommen, brachte die schwerste Enttäuschung. Preußen dachte nicht daran,
die Thore Luxemburgs, das seine Soldaten besetzt hielten, den französischen
Adlern zu öffnen. Einen Augenblick sah man die Hände Preußens und Frank¬
reichs an das Schwert gelegt. Dann verzichtete Frankreich auf die Erwer¬
bung Luxemburgs, und Preußen zog seine Besatzung aus der Festung. Nichts¬
destoweniger kam noch in demselben Jahre Herr Benedetti im Auftrag seiner
Regierung auf die Eroberung Belgiens für Frankreich unter dem Schutze
Preußens zurück. Das Alles erzählt uns der Reichs-Anzeiger an der Hand
von Dokumenten, welche, wie wir vermuthen dürfen, theils bei dem durch
französische Kugeln verursachten Brande von Se. Cloud, theils auf dem Land¬
sitze des Herrn Rouher durch preußische Soldaten gefunden wurden.

Welche Tragicomödie, dieses Buch des Herrn Benedetti! Wie erheiternd
wirkt jetzt Herrn Benedetti's und seines muthmaßlich hohen Mitarbeiters Kunst
in der Redaction von Ackerstücken! Da ist ein Brief des Kaisers Napoleon
an Rouher, welchen die September-Regierung veröffentlicht hat. Der Brief
ist vom 26. August 1866, aus der Zeit, wo Frankreich die Erwerbung Bel¬
giens mit preußischer Hülfe zuerst ernstlich in's Auge faßte. Da ist davon
die Rede, daß die bisherigen Bundesfestungen in das Eigenthum der Einzel¬
staaten zurückkehren müßten: "ainÄ Imxsmdourg ü, ig, l^-mes, Na,z?<>ne<z g,
ig, ?i'ussk" <zen Da findet es der Kaiser angenehm, wenn Preußen, anstatt
Sachsen in den norddeutschen Bund aufzunehmen, dasselbe annectiren und den
König von Sachsen auf dem linken Rheinufer entschädigen wollte. Es ist
noch nicht hinzugesetzt: unter französischer Oberhoheit. Wohl aber ist hinzu¬
gesetzt, daß alles dies nur freundschaftlich anheimgegeben werden dürfe. Die
Hauptsache befindet sich im Postscriptum, welches lautet: "Benedetti kann
folglich bis auf einige kleine Aenderungen im Princip annehmen.


Correspondenz lehrt, daß der Vorschlag der französischen Vergrößerung, wel¬
cher die Grenze von 1814, Luxemburg und Belgien umfaßte, Herrn Bene-
detti von Paris aus vorgeschrieben wurde; daß Herr Benedetti die Vollmacht
erhielt, von jeder Berichtigung der deutschen Grenze nöthigenfalls abzusehen,
und daß er, von dieser Vollmacht aus wohl bekannten Gründen Gebrauch
machend, den von ihm redigirten Vertragsentwurf zur Genehmigung nach
Paris sandte, um ihn demnächst dem Fürsten Bismarck zu Präsentiren. Der
Fürst aber, von den Anstrengungen des Jahres 1866 bis zur Erschütterung
der Gesundheit erschöpft, beurlaubte sich auf mehrere Monate von den Ge¬
schäften. Der Vertragsentwurf blieb einstweilen Concept. Die französische
Regierung aber glaubte des Vertrags und seiner Zusicherung bewaffneter Hilfe
nur für die Erwerbung Belgiens zu bedürfen, in Betreff Luxemburgs aber
ungefährdet vorgehen zu können. Der Versuch, im Frühjahr 1867 unter¬
nommen, brachte die schwerste Enttäuschung. Preußen dachte nicht daran,
die Thore Luxemburgs, das seine Soldaten besetzt hielten, den französischen
Adlern zu öffnen. Einen Augenblick sah man die Hände Preußens und Frank¬
reichs an das Schwert gelegt. Dann verzichtete Frankreich auf die Erwer¬
bung Luxemburgs, und Preußen zog seine Besatzung aus der Festung. Nichts¬
destoweniger kam noch in demselben Jahre Herr Benedetti im Auftrag seiner
Regierung auf die Eroberung Belgiens für Frankreich unter dem Schutze
Preußens zurück. Das Alles erzählt uns der Reichs-Anzeiger an der Hand
von Dokumenten, welche, wie wir vermuthen dürfen, theils bei dem durch
französische Kugeln verursachten Brande von Se. Cloud, theils auf dem Land¬
sitze des Herrn Rouher durch preußische Soldaten gefunden wurden.

Welche Tragicomödie, dieses Buch des Herrn Benedetti! Wie erheiternd
wirkt jetzt Herrn Benedetti's und seines muthmaßlich hohen Mitarbeiters Kunst
in der Redaction von Ackerstücken! Da ist ein Brief des Kaisers Napoleon
an Rouher, welchen die September-Regierung veröffentlicht hat. Der Brief
ist vom 26. August 1866, aus der Zeit, wo Frankreich die Erwerbung Bel¬
giens mit preußischer Hülfe zuerst ernstlich in's Auge faßte. Da ist davon
die Rede, daß die bisherigen Bundesfestungen in das Eigenthum der Einzel¬
staaten zurückkehren müßten: „ainÄ Imxsmdourg ü, ig, l^-mes, Na,z?<>ne<z g,
ig, ?i'ussk" <zen Da findet es der Kaiser angenehm, wenn Preußen, anstatt
Sachsen in den norddeutschen Bund aufzunehmen, dasselbe annectiren und den
König von Sachsen auf dem linken Rheinufer entschädigen wollte. Es ist
noch nicht hinzugesetzt: unter französischer Oberhoheit. Wohl aber ist hinzu¬
gesetzt, daß alles dies nur freundschaftlich anheimgegeben werden dürfe. Die
Hauptsache befindet sich im Postscriptum, welches lautet: „Benedetti kann
folglich bis auf einige kleine Aenderungen im Princip annehmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/203>, abgerufen am 05.02.2025.