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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Herr Benedetti hat diese Compensationsforderung jedenfalls mit der Unge-
berdigkeit eines auf Einschüchterung ausgehenden Diplomaten unterstützt. Dies
geht indireet aus dem selbst veröffentlichten Bericht hervor, worin er fort¬
während die Festigkeit des Auftretens und der Sprache für das einzige Mittel
erklärt, zum Ziele zu gelangen. Er gelangte nicht zum Ziel, sondern schied
vom Fürsten Bismarck mit der Miene, den Krieg nach Paris zu bringen.
Dort aber besannen Herr und Diener sich eines Besseren. Die Kompensation
durch deutsches Gebiet wurde nicht nur aufgegeben, sondern ihre Billigung
durch den Kaiser sogar verleugnet. Gleichwohl hatte Herr Benedetti bei Ueber¬
gabe der Forderung an den Fürsten Bismarck geschrieben, er habe den Ent¬
wurf von Vichy, dem damaligen Aufenthalt des Kaisers Napoleon, zugesen¬
det erhalten.

Jetzt kommt der gefährliche Moment, welcher den Vertragsentwurf in
Betreff der Eroberung Belgiens gebar, gleichermaßen gefährlich für Herrn
Benedetti's diplomatischen Ruf, wie für den Credit der napoleonischen Politik.
Herr Benedetti legt zunächst großes Gewicht auf den Umstand, daß Fürst
Bismarck in der Circular-Depesche vom 29. Juli 1870 die Mittheilung des
Entwurfes in das Jahr 1867 verlegt hatte. Offenbar war dies nur ein in
der dringendsten Situation aus Eile begangener Irrthum. Allein auf diesen
Umstand kommt gar nichts an. Der erste französische Borschlag. Belgien
mit preußischer Hülfe zu erwerben, kann sehr wohl in das Jahr 1866 fallen,
und darum doch wer weiß wie oft noch erneuert worden sein.

Herr Benedetti versucht nun glauben zu machen, Fürst Bismarck habe,
nach Zurückweisung der französischen Compensationsforderung, die Jniative
ergriffen, Frankreich durch die Verheißung Belgiens zu beschwichtigen. Allein
wenn das im Juli im Hauptquartier zu Mähren ein Nothbehelf fein konnte,
um der französischen Zudringlichkeit gegenüber einen Aufschub zu gewinnen,
so hatte eine solche Verheißung gar keinen Grund mehr, nachdem Fürst Bis¬
marck bereits eine französische Kriegsdrohung, erhoben zum Behuf der Kom¬
pensation mit deutschem Gebiet, angenommen hatte, ohne daß die Drohung
sich verwirklichte. Herr Benedetti bedauert selbst, nicht in der Lage zu sein,
seine Berichte zu veröffentlichen in Betreff der angeblich vom Fürsten Bis¬
marck ergriffenen Initiative, Belgien französisch zu machen. Herr Benedetti
erzählt, er habe bei dem in der Verwaltung des Auswärtigen eingetretenen
Jnterimisticum seine deßfallsigen Berichte an den Staatsminister Rouher ge¬
sandt, dieser aber dieselben in seinen Privatacten aufbewahrt. Für diese
höchst aufrichtig bedauerte Lücke hat sich die glücklichste Abhilfe gesunden. Die
betreffende Korrespondenz ist auf dem Landsitz des Herrn Rouher von preußi¬
schen Husaren, wie wir uns zu erinnern glauben, entdeckt worden. Die


Herr Benedetti hat diese Compensationsforderung jedenfalls mit der Unge-
berdigkeit eines auf Einschüchterung ausgehenden Diplomaten unterstützt. Dies
geht indireet aus dem selbst veröffentlichten Bericht hervor, worin er fort¬
während die Festigkeit des Auftretens und der Sprache für das einzige Mittel
erklärt, zum Ziele zu gelangen. Er gelangte nicht zum Ziel, sondern schied
vom Fürsten Bismarck mit der Miene, den Krieg nach Paris zu bringen.
Dort aber besannen Herr und Diener sich eines Besseren. Die Kompensation
durch deutsches Gebiet wurde nicht nur aufgegeben, sondern ihre Billigung
durch den Kaiser sogar verleugnet. Gleichwohl hatte Herr Benedetti bei Ueber¬
gabe der Forderung an den Fürsten Bismarck geschrieben, er habe den Ent¬
wurf von Vichy, dem damaligen Aufenthalt des Kaisers Napoleon, zugesen¬
det erhalten.

Jetzt kommt der gefährliche Moment, welcher den Vertragsentwurf in
Betreff der Eroberung Belgiens gebar, gleichermaßen gefährlich für Herrn
Benedetti's diplomatischen Ruf, wie für den Credit der napoleonischen Politik.
Herr Benedetti legt zunächst großes Gewicht auf den Umstand, daß Fürst
Bismarck in der Circular-Depesche vom 29. Juli 1870 die Mittheilung des
Entwurfes in das Jahr 1867 verlegt hatte. Offenbar war dies nur ein in
der dringendsten Situation aus Eile begangener Irrthum. Allein auf diesen
Umstand kommt gar nichts an. Der erste französische Borschlag. Belgien
mit preußischer Hülfe zu erwerben, kann sehr wohl in das Jahr 1866 fallen,
und darum doch wer weiß wie oft noch erneuert worden sein.

Herr Benedetti versucht nun glauben zu machen, Fürst Bismarck habe,
nach Zurückweisung der französischen Compensationsforderung, die Jniative
ergriffen, Frankreich durch die Verheißung Belgiens zu beschwichtigen. Allein
wenn das im Juli im Hauptquartier zu Mähren ein Nothbehelf fein konnte,
um der französischen Zudringlichkeit gegenüber einen Aufschub zu gewinnen,
so hatte eine solche Verheißung gar keinen Grund mehr, nachdem Fürst Bis¬
marck bereits eine französische Kriegsdrohung, erhoben zum Behuf der Kom¬
pensation mit deutschem Gebiet, angenommen hatte, ohne daß die Drohung
sich verwirklichte. Herr Benedetti bedauert selbst, nicht in der Lage zu sein,
seine Berichte zu veröffentlichen in Betreff der angeblich vom Fürsten Bis¬
marck ergriffenen Initiative, Belgien französisch zu machen. Herr Benedetti
erzählt, er habe bei dem in der Verwaltung des Auswärtigen eingetretenen
Jnterimisticum seine deßfallsigen Berichte an den Staatsminister Rouher ge¬
sandt, dieser aber dieselben in seinen Privatacten aufbewahrt. Für diese
höchst aufrichtig bedauerte Lücke hat sich die glücklichste Abhilfe gesunden. Die
betreffende Korrespondenz ist auf dem Landsitz des Herrn Rouher von preußi¬
schen Husaren, wie wir uns zu erinnern glauben, entdeckt worden. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/202>, abgerufen am 05.02.2025.