Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu verweilen, in denen jenes Geschöpf, nach allen Regeln der culinarischer
Wissenschaft zubereitet, eine Hauptrolle spielte. Gallische Zustände und gallische
Ratten sind so verzwickt, so schwer erforschlich, schwer verständlich, daß wir
scheu fern von ihnen bleiben. Es ist Altenglands, meri^ via Englands Ratte,
der diese Zeilen in tiefster Ehrfurcht gewidmet sind. Als wunderbare Mären
von Rattendincrs und Ratten-,,in;tit soupeis^ zu uns über den Canal dran¬
gen, als unsere Excentriks nach Ost- und West-Looe in Cornwall oder nach
Hanwell eilten, dem Paradies der englischen Feldratten, oder intime Be¬
kanntschaft mit den Rattenfängern der Kloaken von London machten, um sich
angelegentlich nach dem Geschmack und der regelrechten Zubereitung von Rost¬
rat und Ratsteak zu erkundigen, als der dreieinige Disraeli (Romanschreiber,
Preisschweinezüchter und Staatsmann) mit seinen essigsauren, gloryhungrigen
Tones, als die Herren Gladstone, Grandville u. Comp. mit ihren philosophisch
puritanerhaften Liberalen Deutschland und den Zar beim lebendigen Leibe zu
verschlingen drohten, als im High- und Lowlife Londons von nichts anderem
die Rede war, als von republikanischen Meetings und Anerkennung der nun
längst zur Mythe gewordenen Regierung des vom Himmel herabgestiegenen He¬
ros Gambetta, da erfaßte auch mich Deutschen das Nattensieber. In die City,
zu den Rattenfängern, die in traulicher Nähe der Rothschild, Baring u. Comp.
Hausen, eilte ich, um mit dem Geschöpf, das damals außer den Cloaken Lon¬
dons auch die Träume der Lords belebte, nähere Bekanntschaft machen. Doch
nicht als Wissender für Wissende schreibe ich; das Reich der Buffon, Cuvier
und Humboldt wage ich nicht zu betreten, in ihm bin ich Fremdling;
nur was ich über das Nimmersatte, alles zerstörende Geschlecht erfahren, ge¬
sehen, gehört, will ich mittheilen.

Die britische Landratte, um die es sich hier einzig und allein handelt,
zerfällt in zwei Arten, die schwarze Ratte (mus r^deus) und die braune Ratte
(mus (leeulmmu8). Erstere ist die nationale, autochthone, torystische Ratte;
hocharistvkratisches Blut fließt in ihren Adern, keine unter ihnen zählt weniger
denn tausend Ahnen, ihre Vorväter waren in Britannien das erste Raub¬
gesindel, das schamlos, alles was ihm vorkam, raubte, plünderte und fraß.
Die Andere ist ein Eindringling, deutscher Abkunft; die Legende sagt, daß
Wullenweber's Geist sie beseele: sie ist mit Leib und Seele ein Wigh, mit
den Hannoveranern kam sie, in Georg I. Suite befand sie sich. Als dieser
Monarch in königlicher Gondel vom Schiff an's Land gerudert und als König
von Parlaments Gnaden den Boden des vereinigten Königreichs betrat, so
nahm auch der braune Wanderer, schwimmend wie ein muthiger Soldat,
Besitz von Großbritannien und Irland, und herrscht seit dieser Zeit über alle
seines Geschlechts als unumschränkter Meister und Herr, die ganze Rattensippe
der britischen Inseln ist ihm Unterthan. Hermann Masius in seinen Natur-


zu verweilen, in denen jenes Geschöpf, nach allen Regeln der culinarischer
Wissenschaft zubereitet, eine Hauptrolle spielte. Gallische Zustände und gallische
Ratten sind so verzwickt, so schwer erforschlich, schwer verständlich, daß wir
scheu fern von ihnen bleiben. Es ist Altenglands, meri^ via Englands Ratte,
der diese Zeilen in tiefster Ehrfurcht gewidmet sind. Als wunderbare Mären
von Rattendincrs und Ratten-,,in;tit soupeis^ zu uns über den Canal dran¬
gen, als unsere Excentriks nach Ost- und West-Looe in Cornwall oder nach
Hanwell eilten, dem Paradies der englischen Feldratten, oder intime Be¬
kanntschaft mit den Rattenfängern der Kloaken von London machten, um sich
angelegentlich nach dem Geschmack und der regelrechten Zubereitung von Rost¬
rat und Ratsteak zu erkundigen, als der dreieinige Disraeli (Romanschreiber,
Preisschweinezüchter und Staatsmann) mit seinen essigsauren, gloryhungrigen
Tones, als die Herren Gladstone, Grandville u. Comp. mit ihren philosophisch
puritanerhaften Liberalen Deutschland und den Zar beim lebendigen Leibe zu
verschlingen drohten, als im High- und Lowlife Londons von nichts anderem
die Rede war, als von republikanischen Meetings und Anerkennung der nun
längst zur Mythe gewordenen Regierung des vom Himmel herabgestiegenen He¬
ros Gambetta, da erfaßte auch mich Deutschen das Nattensieber. In die City,
zu den Rattenfängern, die in traulicher Nähe der Rothschild, Baring u. Comp.
Hausen, eilte ich, um mit dem Geschöpf, das damals außer den Cloaken Lon¬
dons auch die Träume der Lords belebte, nähere Bekanntschaft machen. Doch
nicht als Wissender für Wissende schreibe ich; das Reich der Buffon, Cuvier
und Humboldt wage ich nicht zu betreten, in ihm bin ich Fremdling;
nur was ich über das Nimmersatte, alles zerstörende Geschlecht erfahren, ge¬
sehen, gehört, will ich mittheilen.

Die britische Landratte, um die es sich hier einzig und allein handelt,
zerfällt in zwei Arten, die schwarze Ratte (mus r^deus) und die braune Ratte
(mus (leeulmmu8). Erstere ist die nationale, autochthone, torystische Ratte;
hocharistvkratisches Blut fließt in ihren Adern, keine unter ihnen zählt weniger
denn tausend Ahnen, ihre Vorväter waren in Britannien das erste Raub¬
gesindel, das schamlos, alles was ihm vorkam, raubte, plünderte und fraß.
Die Andere ist ein Eindringling, deutscher Abkunft; die Legende sagt, daß
Wullenweber's Geist sie beseele: sie ist mit Leib und Seele ein Wigh, mit
den Hannoveranern kam sie, in Georg I. Suite befand sie sich. Als dieser
Monarch in königlicher Gondel vom Schiff an's Land gerudert und als König
von Parlaments Gnaden den Boden des vereinigten Königreichs betrat, so
nahm auch der braune Wanderer, schwimmend wie ein muthiger Soldat,
Besitz von Großbritannien und Irland, und herrscht seit dieser Zeit über alle
seines Geschlechts als unumschränkter Meister und Herr, die ganze Rattensippe
der britischen Inseln ist ihm Unterthan. Hermann Masius in seinen Natur-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192487"/>
          <p xml:id="ID_715" prev="#ID_714"> zu verweilen, in denen jenes Geschöpf, nach allen Regeln der culinarischer<lb/>
Wissenschaft zubereitet, eine Hauptrolle spielte. Gallische Zustände und gallische<lb/>
Ratten sind so verzwickt, so schwer erforschlich, schwer verständlich, daß wir<lb/>
scheu fern von ihnen bleiben. Es ist Altenglands, meri^ via Englands Ratte,<lb/>
der diese Zeilen in tiefster Ehrfurcht gewidmet sind. Als wunderbare Mären<lb/>
von Rattendincrs und Ratten-,,in;tit soupeis^ zu uns über den Canal dran¬<lb/>
gen, als unsere Excentriks nach Ost- und West-Looe in Cornwall oder nach<lb/>
Hanwell eilten, dem Paradies der englischen Feldratten, oder intime Be¬<lb/>
kanntschaft mit den Rattenfängern der Kloaken von London machten, um sich<lb/>
angelegentlich nach dem Geschmack und der regelrechten Zubereitung von Rost¬<lb/>
rat und Ratsteak zu erkundigen, als der dreieinige Disraeli (Romanschreiber,<lb/>
Preisschweinezüchter und Staatsmann) mit seinen essigsauren, gloryhungrigen<lb/>
Tones, als die Herren Gladstone, Grandville u. Comp. mit ihren philosophisch<lb/>
puritanerhaften Liberalen Deutschland und den Zar beim lebendigen Leibe zu<lb/>
verschlingen drohten, als im High- und Lowlife Londons von nichts anderem<lb/>
die Rede war, als von republikanischen Meetings und Anerkennung der nun<lb/>
längst zur Mythe gewordenen Regierung des vom Himmel herabgestiegenen He¬<lb/>
ros Gambetta, da erfaßte auch mich Deutschen das Nattensieber. In die City,<lb/>
zu den Rattenfängern, die in traulicher Nähe der Rothschild, Baring u. Comp.<lb/>
Hausen, eilte ich, um mit dem Geschöpf, das damals außer den Cloaken Lon¬<lb/>
dons auch die Träume der Lords belebte, nähere Bekanntschaft machen. Doch<lb/>
nicht als Wissender für Wissende schreibe ich; das Reich der Buffon, Cuvier<lb/>
und Humboldt wage ich nicht zu betreten, in ihm bin ich Fremdling;<lb/>
nur was ich über das Nimmersatte, alles zerstörende Geschlecht erfahren, ge¬<lb/>
sehen, gehört, will ich mittheilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_716" next="#ID_717"> Die britische Landratte, um die es sich hier einzig und allein handelt,<lb/>
zerfällt in zwei Arten, die schwarze Ratte (mus r^deus) und die braune Ratte<lb/>
(mus (leeulmmu8). Erstere ist die nationale, autochthone, torystische Ratte;<lb/>
hocharistvkratisches Blut fließt in ihren Adern, keine unter ihnen zählt weniger<lb/>
denn tausend Ahnen, ihre Vorväter waren in Britannien das erste Raub¬<lb/>
gesindel, das schamlos, alles was ihm vorkam, raubte, plünderte und fraß.<lb/>
Die Andere ist ein Eindringling, deutscher Abkunft; die Legende sagt, daß<lb/>
Wullenweber's Geist sie beseele: sie ist mit Leib und Seele ein Wigh, mit<lb/>
den Hannoveranern kam sie, in Georg I. Suite befand sie sich. Als dieser<lb/>
Monarch in königlicher Gondel vom Schiff an's Land gerudert und als König<lb/>
von Parlaments Gnaden den Boden des vereinigten Königreichs betrat, so<lb/>
nahm auch der braune Wanderer, schwimmend wie ein muthiger Soldat,<lb/>
Besitz von Großbritannien und Irland, und herrscht seit dieser Zeit über alle<lb/>
seines Geschlechts als unumschränkter Meister und Herr, die ganze Rattensippe<lb/>
der britischen Inseln ist ihm Unterthan. Hermann Masius in seinen Natur-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0186] zu verweilen, in denen jenes Geschöpf, nach allen Regeln der culinarischer Wissenschaft zubereitet, eine Hauptrolle spielte. Gallische Zustände und gallische Ratten sind so verzwickt, so schwer erforschlich, schwer verständlich, daß wir scheu fern von ihnen bleiben. Es ist Altenglands, meri^ via Englands Ratte, der diese Zeilen in tiefster Ehrfurcht gewidmet sind. Als wunderbare Mären von Rattendincrs und Ratten-,,in;tit soupeis^ zu uns über den Canal dran¬ gen, als unsere Excentriks nach Ost- und West-Looe in Cornwall oder nach Hanwell eilten, dem Paradies der englischen Feldratten, oder intime Be¬ kanntschaft mit den Rattenfängern der Kloaken von London machten, um sich angelegentlich nach dem Geschmack und der regelrechten Zubereitung von Rost¬ rat und Ratsteak zu erkundigen, als der dreieinige Disraeli (Romanschreiber, Preisschweinezüchter und Staatsmann) mit seinen essigsauren, gloryhungrigen Tones, als die Herren Gladstone, Grandville u. Comp. mit ihren philosophisch puritanerhaften Liberalen Deutschland und den Zar beim lebendigen Leibe zu verschlingen drohten, als im High- und Lowlife Londons von nichts anderem die Rede war, als von republikanischen Meetings und Anerkennung der nun längst zur Mythe gewordenen Regierung des vom Himmel herabgestiegenen He¬ ros Gambetta, da erfaßte auch mich Deutschen das Nattensieber. In die City, zu den Rattenfängern, die in traulicher Nähe der Rothschild, Baring u. Comp. Hausen, eilte ich, um mit dem Geschöpf, das damals außer den Cloaken Lon¬ dons auch die Träume der Lords belebte, nähere Bekanntschaft machen. Doch nicht als Wissender für Wissende schreibe ich; das Reich der Buffon, Cuvier und Humboldt wage ich nicht zu betreten, in ihm bin ich Fremdling; nur was ich über das Nimmersatte, alles zerstörende Geschlecht erfahren, ge¬ sehen, gehört, will ich mittheilen. Die britische Landratte, um die es sich hier einzig und allein handelt, zerfällt in zwei Arten, die schwarze Ratte (mus r^deus) und die braune Ratte (mus (leeulmmu8). Erstere ist die nationale, autochthone, torystische Ratte; hocharistvkratisches Blut fließt in ihren Adern, keine unter ihnen zählt weniger denn tausend Ahnen, ihre Vorväter waren in Britannien das erste Raub¬ gesindel, das schamlos, alles was ihm vorkam, raubte, plünderte und fraß. Die Andere ist ein Eindringling, deutscher Abkunft; die Legende sagt, daß Wullenweber's Geist sie beseele: sie ist mit Leib und Seele ein Wigh, mit den Hannoveranern kam sie, in Georg I. Suite befand sie sich. Als dieser Monarch in königlicher Gondel vom Schiff an's Land gerudert und als König von Parlaments Gnaden den Boden des vereinigten Königreichs betrat, so nahm auch der braune Wanderer, schwimmend wie ein muthiger Soldat, Besitz von Großbritannien und Irland, und herrscht seit dieser Zeit über alle seines Geschlechts als unumschränkter Meister und Herr, die ganze Rattensippe der britischen Inseln ist ihm Unterthan. Hermann Masius in seinen Natur-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/186
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/186>, abgerufen am 05.02.2025.