Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.land. Der Reichskanzler hat Manches gethan, was früher oder später der Ist man schon über alle Gebühr in die Diätenfrage verrannt, so ist -- o. M. -- Der deutsche KeichsKanzler und Kerr Benedetti. Der ehemalige kaiserlich französische Botschafter am Hofe zu Berlin, Die Schrift des Grafen Benedetti ist wohlgeeignet als Grundlage einer Schon als die Note des deutschen Kanzlers vom 29. Juli 1870 ver¬ land. Der Reichskanzler hat Manches gethan, was früher oder später der Ist man schon über alle Gebühr in die Diätenfrage verrannt, so ist — o. M. — Der deutsche KeichsKanzler und Kerr Benedetti. Der ehemalige kaiserlich französische Botschafter am Hofe zu Berlin, Die Schrift des Grafen Benedetti ist wohlgeeignet als Grundlage einer Schon als die Note des deutschen Kanzlers vom 29. Juli 1870 ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192467"/> <p xml:id="ID_649" prev="#ID_648"> land. Der Reichskanzler hat Manches gethan, was früher oder später der<lb/> liberalen Partei zu Gute kommen muß, und obgleich er nie ein Wort dar¬<lb/> über gesagt hat, so ist vielleicht diese Einführung der Diätenlosigt'eit einer der<lb/> größten Dienste, den er ihr erwiesen hat. Nur müßte sie, statt sich dagegen<lb/> zu sperren, das Angebot rückhaltlos annehmen, und darauf weiter bauen,<lb/> um ein möglichst unabhängiges Parlament zu erlangen. Die persönlich unab¬<lb/> hängigen Männer, welche heut einen Reichstag füllen könnten, sind etwas<lb/> konservativer als im Durchschnitt die Liberalen, aber das Durchschnittsniveau<lb/> politischer Gesinnung ist auch seit 24 Jahren in Deutschland so weit zu Gun¬<lb/> sten des Liberalismus emporgestiegen, daß man sich diese Zögerung wohl<lb/> gefallen lassen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_650"> Ist man schon über alle Gebühr in die Diätenfrage verrannt, so ist<lb/> man es noch mehr in die Vollzähligkeit der Versammlung. Es gibt kein be¬<lb/> liebteres Argument in Deutschland als die „Würde". In der ersten Debatte<lb/> eines Clubb's von sechs Leuten kann man sicher als erstes Argument die<lb/> „Würde" der verehrlichen Versammlung hören. Eine Herabsetzung der Be¬<lb/> schlußfähigkeit des Reichstages wäre auch gegen die Würde der Nation. Wenn<lb/> wir einmal ohne Rückhalt sprechen wollen, so möchten wir fragen, wieviel denn<lb/> unter den Mitgliedern einer großen Versammlung zu irgend einer Zeit wirk¬<lb/> lich zählen? Immer nur verhältnißmäßig Wenige. Wenn aber eine An¬<lb/> gelegenheit zur Verhandlung kommt, die ein brennendes Interesse berührt, so<lb/> wird ein Parlament voll, nicht bloß vollzählig, sein und wenn zur Beschlu߬<lb/> fähigkeit nur der zehnte Theil seiner Mitglieder anwesend sein müßte. Die<lb/> frommen Ermahnungen und die Strafreden locken nicht einen Mann in das<lb/> neue Reichstagsgebäude, so glänzend es auch ist: die Ueberzeugung, daß seine<lb/> Stimme in's Gewicht fallen kann, daß es sich um einen Gegenstand handelt,<lb/> für den sich die Wähler interessiren, führt die Säumigen von allen Seiten<lb/> herbei. Der Glaube an die Nothwendigkeit einer vollzähligen Versammlung<lb/> ist ein Aberglaube, am meisten heut in Deutschland, wo man doch sicher sein<lb/> kann, daß ein starker und patriotischer Geist in allen Ständen herrscht. Aber<lb/> keine Logik wird im Stande sein, Jemandem einzureden, es sei von beson¬<lb/> derer Wichtigkeit, daß Herr Simson 206 statt 205 Stimmen erhält.</p><lb/> <note type="byline"> — o. M. —</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der deutsche KeichsKanzler und Kerr Benedetti.</head><lb/> <p xml:id="ID_651"> Der ehemalige kaiserlich französische Botschafter am Hofe zu Berlin,<lb/> Graf Benedetti, hat vor mehreren Wochen unter dem Titel: „Na Mission<lb/> den ?i-us8e" zu Paris ein Buch veröffentlicht, aus welchem die deutschen<lb/> Zeitungen bereits vielfältige Mittheilungen gebracht haben. Am 20. October<lb/> hat sich zur Ueberraschung nicht Weniger, am Meisten aber wohl des Gra¬<lb/> fen Benedetti selbst, auch der deutsche'Reichsanzeiger bewogen gefunden, sich<lb/> mit dem obengenannten Werke zu beschäftigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_652"> Die Schrift des Grafen Benedetti ist wohlgeeignet als Grundlage einer<lb/> Studie über die bonapartische Staatskunst und vonapartische Staatsmänner,<lb/> die wir uns vorbehalten. Heute beabsichtigen wir nur einige Bemerkungen<lb/> über das Verhalten des deutschen Reichskanzlers gegenüber denjenigen Lockungen<lb/> bonapartischer Staatskunst, deren Träger Graf'Benedetti war.</p><lb/> <p xml:id="ID_653" next="#ID_654"> Schon als die Note des deutschen Kanzlers vom 29. Juli 1870 ver¬<lb/> öffentlicht wurde, begriff alle Welt, daß der korsische Diplomat, eines der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0166]
land. Der Reichskanzler hat Manches gethan, was früher oder später der
liberalen Partei zu Gute kommen muß, und obgleich er nie ein Wort dar¬
über gesagt hat, so ist vielleicht diese Einführung der Diätenlosigt'eit einer der
größten Dienste, den er ihr erwiesen hat. Nur müßte sie, statt sich dagegen
zu sperren, das Angebot rückhaltlos annehmen, und darauf weiter bauen,
um ein möglichst unabhängiges Parlament zu erlangen. Die persönlich unab¬
hängigen Männer, welche heut einen Reichstag füllen könnten, sind etwas
konservativer als im Durchschnitt die Liberalen, aber das Durchschnittsniveau
politischer Gesinnung ist auch seit 24 Jahren in Deutschland so weit zu Gun¬
sten des Liberalismus emporgestiegen, daß man sich diese Zögerung wohl
gefallen lassen kann.
Ist man schon über alle Gebühr in die Diätenfrage verrannt, so ist
man es noch mehr in die Vollzähligkeit der Versammlung. Es gibt kein be¬
liebteres Argument in Deutschland als die „Würde". In der ersten Debatte
eines Clubb's von sechs Leuten kann man sicher als erstes Argument die
„Würde" der verehrlichen Versammlung hören. Eine Herabsetzung der Be¬
schlußfähigkeit des Reichstages wäre auch gegen die Würde der Nation. Wenn
wir einmal ohne Rückhalt sprechen wollen, so möchten wir fragen, wieviel denn
unter den Mitgliedern einer großen Versammlung zu irgend einer Zeit wirk¬
lich zählen? Immer nur verhältnißmäßig Wenige. Wenn aber eine An¬
gelegenheit zur Verhandlung kommt, die ein brennendes Interesse berührt, so
wird ein Parlament voll, nicht bloß vollzählig, sein und wenn zur Beschlu߬
fähigkeit nur der zehnte Theil seiner Mitglieder anwesend sein müßte. Die
frommen Ermahnungen und die Strafreden locken nicht einen Mann in das
neue Reichstagsgebäude, so glänzend es auch ist: die Ueberzeugung, daß seine
Stimme in's Gewicht fallen kann, daß es sich um einen Gegenstand handelt,
für den sich die Wähler interessiren, führt die Säumigen von allen Seiten
herbei. Der Glaube an die Nothwendigkeit einer vollzähligen Versammlung
ist ein Aberglaube, am meisten heut in Deutschland, wo man doch sicher sein
kann, daß ein starker und patriotischer Geist in allen Ständen herrscht. Aber
keine Logik wird im Stande sein, Jemandem einzureden, es sei von beson¬
derer Wichtigkeit, daß Herr Simson 206 statt 205 Stimmen erhält.
— o. M. —
Der deutsche KeichsKanzler und Kerr Benedetti.
Der ehemalige kaiserlich französische Botschafter am Hofe zu Berlin,
Graf Benedetti, hat vor mehreren Wochen unter dem Titel: „Na Mission
den ?i-us8e" zu Paris ein Buch veröffentlicht, aus welchem die deutschen
Zeitungen bereits vielfältige Mittheilungen gebracht haben. Am 20. October
hat sich zur Ueberraschung nicht Weniger, am Meisten aber wohl des Gra¬
fen Benedetti selbst, auch der deutsche'Reichsanzeiger bewogen gefunden, sich
mit dem obengenannten Werke zu beschäftigen.
Die Schrift des Grafen Benedetti ist wohlgeeignet als Grundlage einer
Studie über die bonapartische Staatskunst und vonapartische Staatsmänner,
die wir uns vorbehalten. Heute beabsichtigen wir nur einige Bemerkungen
über das Verhalten des deutschen Reichskanzlers gegenüber denjenigen Lockungen
bonapartischer Staatskunst, deren Träger Graf'Benedetti war.
Schon als die Note des deutschen Kanzlers vom 29. Juli 1870 ver¬
öffentlicht wurde, begriff alle Welt, daß der korsische Diplomat, eines der
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