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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Prüfung für das höhere Schulamt! Ja, als ordentliche Lehrer (Oberlehrer)
sind sogar Elementar-Volksschullehrer oder überhaupt Lehrer zulässig,
welche niemals vor einer wissenschaftlichen Prüfungs-Commission gestanden
haben. (Vergl, Reg. vom 2. Juli 1860, §. 10.)

Wohin solche Zustände führen müssen, ist mit Händen zu greifen.

Die Leichtigkeit an einer höheren Schule als Oberlehrer anzukommen
und damit einen höheren Gehalt zu erlangen, enthält für viele Unberufene
eine große Versuchung. Philologen und Mathematiker stecken ihre Fachstu¬
dien auf, und machen das Examen in Sect. II. Der Volksschullehrer, sobald
er die Mittel beisammen hat, bezieht zwei Jahre lang die Universität, treibt
Logik und Psychologie, und macht das Examen in Sect. II. Daß dem
Wesen des Lehramtes und der hohen Bedeutung, welche dasselbe für das Ge¬
meinwohl hat, widerspricht, wenn es des Erwerbes wegen als Mittel zum
Zweck und mehr als Geschäft, denn als ein Beruf gewählt und getrieben
wird, wer fragt in Sachsen darnach? -- Den Volksschulen werden in den
sogenannten "Pädagogen" für sie immerhin werthvolle Kräfte entzogen und
finden an höheren Schulen Verwendung, wo sie nicht am Platze sind. Volks¬
schule und höhere Schule werden durch die Aufhebung der Grenzen zwischen
akademischer Bildung und der Bildung, welche auf anderen Wegen erlangt
wird, in gleicher Weise geschädigt. Während es für eine aufgeklärte Schul-
Verwaltung keine höhere Aufgabe geben sollte, als das Bildungsbedürfniß
unserer Zeit durch wohlbefähigte Kräfte in die rechte Bahn zu leiten und der
geistigen Verflachung, welcher so vieles Vorschub leistet, entgegenzuwir¬
ken durch Lehrer, welche den höchsten Erfordernissen des Lehrers und Erzie¬
hers gewachsen sind; hat das sächsische Ministerium des Cultus und öffent¬
lichen Unterrichts Einrichtungen gewagt, welche nothwendigerweise zu einer
Degeneration unseres höheren Schulwesens führen müssen.

Nun behauptet man freilich, es fehle in Sachsen sür die höheren Schu¬
len an wissenschaftlich gebildeten Schulamts-Candidaten. Wir sollten aber
meinen, daß unter den Hunderten von jungen Männern, welche jetzt jährlich
auf der Landesuniversität Philologie, Mathematik und Naturwissenschaften
studiren, für unsere Gymnasien und Realschulen stets die hinreichende Anzahl
Schulamts-Candidaten herangebildet werden müßten, so daß man nicht nöthig
hätte, zu den "Pädagogen" zu greifen. Für was sonst werden jährlich die
enormen Geldmittel an die Universität gewendet, wenn dieselbe nicht einmal
den Mangel wissenschaftlich gebildeter Lehrer an unseren höheren Schulen
zu decken vermag? Es ist recht erfreulich zu vernehmen, daß der Besuch der
Universität Leipzig von Semester zu Semester steigt, daß der Ruf derselben
selbst Amerikaner, Asiaten und Afrikaner herbeizieht; aber wie stimmt das zu
der Thatsache, daß das Ministerium sich gezwungen zieht, die Oberlehrer-


Grcnzbvteii II. 187!. 88

Prüfung für das höhere Schulamt! Ja, als ordentliche Lehrer (Oberlehrer)
sind sogar Elementar-Volksschullehrer oder überhaupt Lehrer zulässig,
welche niemals vor einer wissenschaftlichen Prüfungs-Commission gestanden
haben. (Vergl, Reg. vom 2. Juli 1860, §. 10.)

Wohin solche Zustände führen müssen, ist mit Händen zu greifen.

Die Leichtigkeit an einer höheren Schule als Oberlehrer anzukommen
und damit einen höheren Gehalt zu erlangen, enthält für viele Unberufene
eine große Versuchung. Philologen und Mathematiker stecken ihre Fachstu¬
dien auf, und machen das Examen in Sect. II. Der Volksschullehrer, sobald
er die Mittel beisammen hat, bezieht zwei Jahre lang die Universität, treibt
Logik und Psychologie, und macht das Examen in Sect. II. Daß dem
Wesen des Lehramtes und der hohen Bedeutung, welche dasselbe für das Ge¬
meinwohl hat, widerspricht, wenn es des Erwerbes wegen als Mittel zum
Zweck und mehr als Geschäft, denn als ein Beruf gewählt und getrieben
wird, wer fragt in Sachsen darnach? — Den Volksschulen werden in den
sogenannten „Pädagogen" für sie immerhin werthvolle Kräfte entzogen und
finden an höheren Schulen Verwendung, wo sie nicht am Platze sind. Volks¬
schule und höhere Schule werden durch die Aufhebung der Grenzen zwischen
akademischer Bildung und der Bildung, welche auf anderen Wegen erlangt
wird, in gleicher Weise geschädigt. Während es für eine aufgeklärte Schul-
Verwaltung keine höhere Aufgabe geben sollte, als das Bildungsbedürfniß
unserer Zeit durch wohlbefähigte Kräfte in die rechte Bahn zu leiten und der
geistigen Verflachung, welcher so vieles Vorschub leistet, entgegenzuwir¬
ken durch Lehrer, welche den höchsten Erfordernissen des Lehrers und Erzie¬
hers gewachsen sind; hat das sächsische Ministerium des Cultus und öffent¬
lichen Unterrichts Einrichtungen gewagt, welche nothwendigerweise zu einer
Degeneration unseres höheren Schulwesens führen müssen.

Nun behauptet man freilich, es fehle in Sachsen sür die höheren Schu¬
len an wissenschaftlich gebildeten Schulamts-Candidaten. Wir sollten aber
meinen, daß unter den Hunderten von jungen Männern, welche jetzt jährlich
auf der Landesuniversität Philologie, Mathematik und Naturwissenschaften
studiren, für unsere Gymnasien und Realschulen stets die hinreichende Anzahl
Schulamts-Candidaten herangebildet werden müßten, so daß man nicht nöthig
hätte, zu den „Pädagogen" zu greifen. Für was sonst werden jährlich die
enormen Geldmittel an die Universität gewendet, wenn dieselbe nicht einmal
den Mangel wissenschaftlich gebildeter Lehrer an unseren höheren Schulen
zu decken vermag? Es ist recht erfreulich zu vernehmen, daß der Besuch der
Universität Leipzig von Semester zu Semester steigt, daß der Ruf derselben
selbst Amerikaner, Asiaten und Afrikaner herbeizieht; aber wie stimmt das zu
der Thatsache, daß das Ministerium sich gezwungen zieht, die Oberlehrer-


Grcnzbvteii II. 187!. 88
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[0145] Prüfung für das höhere Schulamt! Ja, als ordentliche Lehrer (Oberlehrer) sind sogar Elementar-Volksschullehrer oder überhaupt Lehrer zulässig, welche niemals vor einer wissenschaftlichen Prüfungs-Commission gestanden haben. (Vergl, Reg. vom 2. Juli 1860, §. 10.) Wohin solche Zustände führen müssen, ist mit Händen zu greifen. Die Leichtigkeit an einer höheren Schule als Oberlehrer anzukommen und damit einen höheren Gehalt zu erlangen, enthält für viele Unberufene eine große Versuchung. Philologen und Mathematiker stecken ihre Fachstu¬ dien auf, und machen das Examen in Sect. II. Der Volksschullehrer, sobald er die Mittel beisammen hat, bezieht zwei Jahre lang die Universität, treibt Logik und Psychologie, und macht das Examen in Sect. II. Daß dem Wesen des Lehramtes und der hohen Bedeutung, welche dasselbe für das Ge¬ meinwohl hat, widerspricht, wenn es des Erwerbes wegen als Mittel zum Zweck und mehr als Geschäft, denn als ein Beruf gewählt und getrieben wird, wer fragt in Sachsen darnach? — Den Volksschulen werden in den sogenannten „Pädagogen" für sie immerhin werthvolle Kräfte entzogen und finden an höheren Schulen Verwendung, wo sie nicht am Platze sind. Volks¬ schule und höhere Schule werden durch die Aufhebung der Grenzen zwischen akademischer Bildung und der Bildung, welche auf anderen Wegen erlangt wird, in gleicher Weise geschädigt. Während es für eine aufgeklärte Schul- Verwaltung keine höhere Aufgabe geben sollte, als das Bildungsbedürfniß unserer Zeit durch wohlbefähigte Kräfte in die rechte Bahn zu leiten und der geistigen Verflachung, welcher so vieles Vorschub leistet, entgegenzuwir¬ ken durch Lehrer, welche den höchsten Erfordernissen des Lehrers und Erzie¬ hers gewachsen sind; hat das sächsische Ministerium des Cultus und öffent¬ lichen Unterrichts Einrichtungen gewagt, welche nothwendigerweise zu einer Degeneration unseres höheren Schulwesens führen müssen. Nun behauptet man freilich, es fehle in Sachsen sür die höheren Schu¬ len an wissenschaftlich gebildeten Schulamts-Candidaten. Wir sollten aber meinen, daß unter den Hunderten von jungen Männern, welche jetzt jährlich auf der Landesuniversität Philologie, Mathematik und Naturwissenschaften studiren, für unsere Gymnasien und Realschulen stets die hinreichende Anzahl Schulamts-Candidaten herangebildet werden müßten, so daß man nicht nöthig hätte, zu den „Pädagogen" zu greifen. Für was sonst werden jährlich die enormen Geldmittel an die Universität gewendet, wenn dieselbe nicht einmal den Mangel wissenschaftlich gebildeter Lehrer an unseren höheren Schulen zu decken vermag? Es ist recht erfreulich zu vernehmen, daß der Besuch der Universität Leipzig von Semester zu Semester steigt, daß der Ruf derselben selbst Amerikaner, Asiaten und Afrikaner herbeizieht; aber wie stimmt das zu der Thatsache, daß das Ministerium sich gezwungen zieht, die Oberlehrer- Grcnzbvteii II. 187!. 88

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/145>, abgerufen am 05.02.2025.