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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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freilich ist es um die Prüfung in Section II bestellt. Wer sich dem Examen
für die Candidatur des höheren Volksschulamtes (nach sächsischer Rang¬
ordnung: Progymnasien, Schullehrerseminarien, höhere Bürgerschulen und
Realschulen!!!) unterwirft, hat 1) behufs der schriftlichen Prüfung eine aus¬
führliche wissenschaftliche Arbeit in deutscher Sprache über eine Frage aus
dem Gebiete der Logik, Psychologie, Pädagogik, Sittenlehre, Geschichte oder
deutschen Grammatik auszuarbeiten. -- 2) Die mündliche Prüfung ist:
s,) aus Philosophie mit besonderer Rücksicht auf die Fertigkeit in An¬
wendung der logischen Operationen und Kenntniß der Psychologie; d) aus
die Grundbegriffe der christlichen Glaubens- und Sittenlehre; e) auf Ge¬
schichte, namentlich deutsche und sächsische in Verbindung mit Geographie;
d) auf die Elemente der Arithmetik, Geometrie und Naturlehre; L) auf die
Kenntniß und den richtigen Gebrauch der deutschen Sprache; t) auf die all¬
gemeine Erziehungs- und Unterrichtslehre, einschließlich der Methodik, zu
richten.

Jeder, der das vorstehende Quodlibet über die Prüfung in Section II
betrachtet, wird sich die Frage vorlegen müssen: Kann das Jemand nieder¬
geschrieben haben, der nur den geringsten Begriff vom höheren Schulwesen
hat? Würde nicht jeder Primaner eines Gymnasiums, von der Psychologie
und allgemeinen Unterrichts- und Erziehungslehre einmal abgesehen, dieses
Examen mit Glanz bestehen können? Setzt man bei einem Primaner im
mündlichen Maturitätsexamen nicht die Kenntniß und den richtigen Gebrauch
der deutschen Sprache selbstverständlich voraus? Wir wundern uns, daß in
einer Prüfungsordnung für das höhere Schulamt eine solche Section wie
Ur. II einen Platz finden konnte, noch mehr aber müssen wir uns wundern,
daß dieses Regulativ von 1848 bis 1871 in Kraft bleiben konnte.

Doch führen wir zur Vervollständigung erst noch einige Stellen aus
einer Verordnung vom 18. April 1830 an, welche einen Nachtrag zum Re¬
gulativ vom 12. December 1848 enthält. Es heißt daselbst: "Vielfältig ge¬
machte Erfahrungen haben dem Ministerium des Cultus und öffentlichen Un¬
terrichts die Ueberzeugung gegeben, daß es überhaupt un thunlich er¬
scheint, von den Hülff- und ständigen Lehrstellen an Schullehrerseminarien,
höheren Bürger- und Realschulen solche Schulamtscandidaten auszuschließen,
welche nur die Seminarbildung (--- und was war das damals für eine! --)
erhalten und akademische Studien nicht gemacht haben, oder bei sonstiger
Befähigung (?) das §. 10 (Reg. vom 12. December 1848) geforderte Prü¬
fungszeugniß nicht beibringen." Und weiter: "Abgesehen davon, daß schwer¬
lich jemals die für das höhere Schulamt akademisch gebildeten und hieraus
in Gemäßheit des Regulativs geprüften Candidaten in ausreichender Anzahl,
um das sehr umfängliche Bedürfniß zu decken, vorhanden sein dürften, so


freilich ist es um die Prüfung in Section II bestellt. Wer sich dem Examen
für die Candidatur des höheren Volksschulamtes (nach sächsischer Rang¬
ordnung: Progymnasien, Schullehrerseminarien, höhere Bürgerschulen und
Realschulen!!!) unterwirft, hat 1) behufs der schriftlichen Prüfung eine aus¬
führliche wissenschaftliche Arbeit in deutscher Sprache über eine Frage aus
dem Gebiete der Logik, Psychologie, Pädagogik, Sittenlehre, Geschichte oder
deutschen Grammatik auszuarbeiten. — 2) Die mündliche Prüfung ist:
s,) aus Philosophie mit besonderer Rücksicht auf die Fertigkeit in An¬
wendung der logischen Operationen und Kenntniß der Psychologie; d) aus
die Grundbegriffe der christlichen Glaubens- und Sittenlehre; e) auf Ge¬
schichte, namentlich deutsche und sächsische in Verbindung mit Geographie;
d) auf die Elemente der Arithmetik, Geometrie und Naturlehre; L) auf die
Kenntniß und den richtigen Gebrauch der deutschen Sprache; t) auf die all¬
gemeine Erziehungs- und Unterrichtslehre, einschließlich der Methodik, zu
richten.

Jeder, der das vorstehende Quodlibet über die Prüfung in Section II
betrachtet, wird sich die Frage vorlegen müssen: Kann das Jemand nieder¬
geschrieben haben, der nur den geringsten Begriff vom höheren Schulwesen
hat? Würde nicht jeder Primaner eines Gymnasiums, von der Psychologie
und allgemeinen Unterrichts- und Erziehungslehre einmal abgesehen, dieses
Examen mit Glanz bestehen können? Setzt man bei einem Primaner im
mündlichen Maturitätsexamen nicht die Kenntniß und den richtigen Gebrauch
der deutschen Sprache selbstverständlich voraus? Wir wundern uns, daß in
einer Prüfungsordnung für das höhere Schulamt eine solche Section wie
Ur. II einen Platz finden konnte, noch mehr aber müssen wir uns wundern,
daß dieses Regulativ von 1848 bis 1871 in Kraft bleiben konnte.

Doch führen wir zur Vervollständigung erst noch einige Stellen aus
einer Verordnung vom 18. April 1830 an, welche einen Nachtrag zum Re¬
gulativ vom 12. December 1848 enthält. Es heißt daselbst: „Vielfältig ge¬
machte Erfahrungen haben dem Ministerium des Cultus und öffentlichen Un¬
terrichts die Ueberzeugung gegeben, daß es überhaupt un thunlich er¬
scheint, von den Hülff- und ständigen Lehrstellen an Schullehrerseminarien,
höheren Bürger- und Realschulen solche Schulamtscandidaten auszuschließen,
welche nur die Seminarbildung (-— und was war das damals für eine! —)
erhalten und akademische Studien nicht gemacht haben, oder bei sonstiger
Befähigung (?) das §. 10 (Reg. vom 12. December 1848) geforderte Prü¬
fungszeugniß nicht beibringen." Und weiter: „Abgesehen davon, daß schwer¬
lich jemals die für das höhere Schulamt akademisch gebildeten und hieraus
in Gemäßheit des Regulativs geprüften Candidaten in ausreichender Anzahl,
um das sehr umfängliche Bedürfniß zu decken, vorhanden sein dürften, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/143>, abgerufen am 05.02.2025.