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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Ist dies auch dem unterrichteten Politiker nicht neu, so erfreut doch, auch
von diesem Beobachter den Sachverhalt so unbefangen dargestellt zu finden.
Nach seinem Zeugniß ist die Thätigkeit in der obersten Heeresleitung eine
rastlose, eine gradezu staunenswerthe. Auf den Lorbeeren des böhmischen
Feldzuges ruhte man nicht aus; besser wie jeder Kritiker hatte man hier die
Fehler, die schadhaften Stellen bemerkt, und mit ganzer Energie war man
entschlossen zu verbessern, wo nur Verbesserungen Platz greifen konnten. 1870
hat alle Welt gesehen, daß selbst die Helden von 1866 sich nicht zu gut ge¬
halten, noch zu lernen. Wir find zu der ganz bestimmten Erwartung berech¬
tigt, daß es heute nicht anders geworden sei.

Baron stosset läßt doch seine geheime Hoffnung durchschimmern, daß
selbst seine Landsleute, für wie unverbesserlich sie sich auch erklären mögen,
aus der Einsicht in die preußischen Einrichtungen Nutzen ziehen könnten --
(weßhalb hätte er auch sonst seine Berichte in den Druck gegeben?) -- wir
wollen nach der Lectüre des Buches unseren Wunsch aussprechen, daß unsere
Politischen Männer, vor allen unsere Neichöboten einen mehr wie flüchtigen
Blick dem französischen Werke schenken möchten. Denn die Ueberzeugung
muß in jedem Leser sich bestätigt finden und sich befestigen, daß an den
Grundsätzen unseres Heerwesens nicht gerüttelt werden darf.
Freilich, der Reichstagsabgeordnete hat die patriotische Pflicht, nicht allein
mit dem Munde sich zu diesem Gedanken zu bekennen -- dessen würden viel¬
leicht nur eine Handvoll Deputirter sich weigern -- nein, auch den Konse¬
quenzen dieses Grundaxiomes sich nicht zu entziehen und in seinem praktischen
Verhalten fein theoretisches Bekenntniß zu erhärten.

Ein solches Wort richtet sich selbstverständlich nicht an die Mitglieder
der Fortschrittspartei. Ihnen bestreiten wir weder das Privilegium, nichts
mehr lernen zu dürfen, noch halten wir für ersprießlich, gegen ihre unfehl¬
baren Doctrinen ins Feld zu ziehen. Den anderen Parteien aber insgesammt,
und besonders unseren national-liberalen Freunden sprechen wir den hoff¬
nungsreichen Wunsch aus, daß sie bei der Berathung des Militäretats,
mag er detaillirt oder als Ganzes, in definitiver oder in provisorischer
Gestalt ihnen vorgelegt werden, immerfort den Grundsatz sich gegenwärtig
erhalten: an den heutigen Fundamenten unseres Heerwesens
darf nicht gerüttelt werden. Die Zukunft der liberalen Parteien
fordert, daß jene Kritik, mit der man 1861--1863 den sachverstän¬
digen, und jetzt auch durch die Erfahrung von 1866--1871 als sol¬
chen legitimirten Vertretern unserer Heeresleitung bald hier bald dort wi¬
dersprochen und "eins zu versetzen" sich bemüht, jetzt nicht wieder in's Leben
zurückgeführt werde. Das Vaterland erwartet von jenen, die sich die na¬
tionalen zu nennen lieben, Enthaltsamkeit und Entsagung von laienhafter


GrmMen II. 1871. 81

Ist dies auch dem unterrichteten Politiker nicht neu, so erfreut doch, auch
von diesem Beobachter den Sachverhalt so unbefangen dargestellt zu finden.
Nach seinem Zeugniß ist die Thätigkeit in der obersten Heeresleitung eine
rastlose, eine gradezu staunenswerthe. Auf den Lorbeeren des böhmischen
Feldzuges ruhte man nicht aus; besser wie jeder Kritiker hatte man hier die
Fehler, die schadhaften Stellen bemerkt, und mit ganzer Energie war man
entschlossen zu verbessern, wo nur Verbesserungen Platz greifen konnten. 1870
hat alle Welt gesehen, daß selbst die Helden von 1866 sich nicht zu gut ge¬
halten, noch zu lernen. Wir find zu der ganz bestimmten Erwartung berech¬
tigt, daß es heute nicht anders geworden sei.

Baron stosset läßt doch seine geheime Hoffnung durchschimmern, daß
selbst seine Landsleute, für wie unverbesserlich sie sich auch erklären mögen,
aus der Einsicht in die preußischen Einrichtungen Nutzen ziehen könnten —
(weßhalb hätte er auch sonst seine Berichte in den Druck gegeben?) — wir
wollen nach der Lectüre des Buches unseren Wunsch aussprechen, daß unsere
Politischen Männer, vor allen unsere Neichöboten einen mehr wie flüchtigen
Blick dem französischen Werke schenken möchten. Denn die Ueberzeugung
muß in jedem Leser sich bestätigt finden und sich befestigen, daß an den
Grundsätzen unseres Heerwesens nicht gerüttelt werden darf.
Freilich, der Reichstagsabgeordnete hat die patriotische Pflicht, nicht allein
mit dem Munde sich zu diesem Gedanken zu bekennen — dessen würden viel¬
leicht nur eine Handvoll Deputirter sich weigern — nein, auch den Konse¬
quenzen dieses Grundaxiomes sich nicht zu entziehen und in seinem praktischen
Verhalten fein theoretisches Bekenntniß zu erhärten.

Ein solches Wort richtet sich selbstverständlich nicht an die Mitglieder
der Fortschrittspartei. Ihnen bestreiten wir weder das Privilegium, nichts
mehr lernen zu dürfen, noch halten wir für ersprießlich, gegen ihre unfehl¬
baren Doctrinen ins Feld zu ziehen. Den anderen Parteien aber insgesammt,
und besonders unseren national-liberalen Freunden sprechen wir den hoff¬
nungsreichen Wunsch aus, daß sie bei der Berathung des Militäretats,
mag er detaillirt oder als Ganzes, in definitiver oder in provisorischer
Gestalt ihnen vorgelegt werden, immerfort den Grundsatz sich gegenwärtig
erhalten: an den heutigen Fundamenten unseres Heerwesens
darf nicht gerüttelt werden. Die Zukunft der liberalen Parteien
fordert, daß jene Kritik, mit der man 1861—1863 den sachverstän¬
digen, und jetzt auch durch die Erfahrung von 1866—1871 als sol¬
chen legitimirten Vertretern unserer Heeresleitung bald hier bald dort wi¬
dersprochen und „eins zu versetzen" sich bemüht, jetzt nicht wieder in's Leben
zurückgeführt werde. Das Vaterland erwartet von jenen, die sich die na¬
tionalen zu nennen lieben, Enthaltsamkeit und Entsagung von laienhafter


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[0113] Ist dies auch dem unterrichteten Politiker nicht neu, so erfreut doch, auch von diesem Beobachter den Sachverhalt so unbefangen dargestellt zu finden. Nach seinem Zeugniß ist die Thätigkeit in der obersten Heeresleitung eine rastlose, eine gradezu staunenswerthe. Auf den Lorbeeren des böhmischen Feldzuges ruhte man nicht aus; besser wie jeder Kritiker hatte man hier die Fehler, die schadhaften Stellen bemerkt, und mit ganzer Energie war man entschlossen zu verbessern, wo nur Verbesserungen Platz greifen konnten. 1870 hat alle Welt gesehen, daß selbst die Helden von 1866 sich nicht zu gut ge¬ halten, noch zu lernen. Wir find zu der ganz bestimmten Erwartung berech¬ tigt, daß es heute nicht anders geworden sei. Baron stosset läßt doch seine geheime Hoffnung durchschimmern, daß selbst seine Landsleute, für wie unverbesserlich sie sich auch erklären mögen, aus der Einsicht in die preußischen Einrichtungen Nutzen ziehen könnten — (weßhalb hätte er auch sonst seine Berichte in den Druck gegeben?) — wir wollen nach der Lectüre des Buches unseren Wunsch aussprechen, daß unsere Politischen Männer, vor allen unsere Neichöboten einen mehr wie flüchtigen Blick dem französischen Werke schenken möchten. Denn die Ueberzeugung muß in jedem Leser sich bestätigt finden und sich befestigen, daß an den Grundsätzen unseres Heerwesens nicht gerüttelt werden darf. Freilich, der Reichstagsabgeordnete hat die patriotische Pflicht, nicht allein mit dem Munde sich zu diesem Gedanken zu bekennen — dessen würden viel¬ leicht nur eine Handvoll Deputirter sich weigern — nein, auch den Konse¬ quenzen dieses Grundaxiomes sich nicht zu entziehen und in seinem praktischen Verhalten fein theoretisches Bekenntniß zu erhärten. Ein solches Wort richtet sich selbstverständlich nicht an die Mitglieder der Fortschrittspartei. Ihnen bestreiten wir weder das Privilegium, nichts mehr lernen zu dürfen, noch halten wir für ersprießlich, gegen ihre unfehl¬ baren Doctrinen ins Feld zu ziehen. Den anderen Parteien aber insgesammt, und besonders unseren national-liberalen Freunden sprechen wir den hoff¬ nungsreichen Wunsch aus, daß sie bei der Berathung des Militäretats, mag er detaillirt oder als Ganzes, in definitiver oder in provisorischer Gestalt ihnen vorgelegt werden, immerfort den Grundsatz sich gegenwärtig erhalten: an den heutigen Fundamenten unseres Heerwesens darf nicht gerüttelt werden. Die Zukunft der liberalen Parteien fordert, daß jene Kritik, mit der man 1861—1863 den sachverstän¬ digen, und jetzt auch durch die Erfahrung von 1866—1871 als sol¬ chen legitimirten Vertretern unserer Heeresleitung bald hier bald dort wi¬ dersprochen und „eins zu versetzen" sich bemüht, jetzt nicht wieder in's Leben zurückgeführt werde. Das Vaterland erwartet von jenen, die sich die na¬ tionalen zu nennen lieben, Enthaltsamkeit und Entsagung von laienhafter GrmMen II. 1871. 81

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/113>, abgerufen am 05.02.2025.