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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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kann, dürste sich wohl empfehlen, in so engverbundenen Staaten wie die
deutschen jetzt sind, mit dem gleichen Namen auch nur die gleiche
Sache bezeichnen. Das Jndigenat, die Gemeinsamkeit des Militär- und
Postwesens, und die Berechtigungen der höheren Schulen machen das Zu¬
sammenfallen des Namens mit der Sache sogar unbedingt nothwendig. Nach
dem Reglement der PostVerwaltung des norddeutschen Bundes vom 15. Febr.
1868 § 1 ist für die Annahme als Posteleve das Reifezeugniß eines
Gymnasiums oder einer Realschule I. Ordnung erforderlich. Werden nun
etwa die Reifezeugnisse einer sächsischen Realschule I. Ordnung den Reifezeug¬
nissen der Gymnasien und der Realschulen I. Ordnung in Preußen gleichge¬
stellt, da doch bei jener der Cursus um 2 Jahre kürzer ist, d. h. um 1 Jahr
später beginnt und um 1 Jahr früher endet, als bei diesen, der Abgang bei
jener schon im 17., bei diesen erst im 18. Jahre erfolgen kann? Diese offen¬
bare Ungerechtigkeit findet auch statt bei der Annahme als Portepeesähnrich.
Nach der Verfügung des sächsischen Kriegsministers vom 1. März 1867 sub 9
sind von der Portepeejunkerprüfung dispensirt: diejenigen Aspiranten, welche
im Besitze eines vollständigen Abiturientenzeugnisses eines sächsischen Gymna¬
siums oder einer nach dem Regulative vom 2. Juli 1860 organisirten sächsi¬
schen Realschule sind. Demnach werden auch hier die 17jährigen Abiturienten
unserer Realschulen mit den l 8jährigen Abiturienten der Gymnasien völlig
auf eine Linie gestellt. Diesen Widersprüchen kann nur dadurch gründlich
abgeholfen werden, daß sich das Cultusministerium endlich entschließt, die
sächsischen Realschulen völlig nach dem Muster der preußischen Real¬
schulen I. Ordnung zu reorganisiren.

Die Leiter des höheren Unterrichtswesens in Sachsen scheinen zu glauben,
daß durch Steigerung der Zahl der wöchentlichen Lehrstunden das Schulziel
schneller zu erreichen oder für den praktischen Lebensberuf schneller vorzube¬
reiten sei, als dies in "unserem Nachbarstaate" für möglich gehalten wird.
Abgesehen von den unteren Klassen und mit Ausschluß der Gesang- und
Turnstunden ist in Preußen die wöchentliche Stundenzahl

an den Gymnasien 30
an den Realschulen 30 bis 32,

in Sachsen dagegen

an den Gymnasien 34
an den Realschulen 35 bis 36.

Zu diesem Uebermaß von Unterrichtsstunden gesellt sich noch, namentlich
an manchen Realschulen, eine Ueberbürdung der Schüler mit häuslichen Ar¬
beiten. Was sind die Folgen solchen Borgehens? Die begabtesten Köpfe
allein vermögen dieses Uebermaß von Unterricht zu ertragen, die mittleren
Köpfe erliegen demselben aber vollständig. Durch diese Ueberfüllung des Gei-


kann, dürste sich wohl empfehlen, in so engverbundenen Staaten wie die
deutschen jetzt sind, mit dem gleichen Namen auch nur die gleiche
Sache bezeichnen. Das Jndigenat, die Gemeinsamkeit des Militär- und
Postwesens, und die Berechtigungen der höheren Schulen machen das Zu¬
sammenfallen des Namens mit der Sache sogar unbedingt nothwendig. Nach
dem Reglement der PostVerwaltung des norddeutschen Bundes vom 15. Febr.
1868 § 1 ist für die Annahme als Posteleve das Reifezeugniß eines
Gymnasiums oder einer Realschule I. Ordnung erforderlich. Werden nun
etwa die Reifezeugnisse einer sächsischen Realschule I. Ordnung den Reifezeug¬
nissen der Gymnasien und der Realschulen I. Ordnung in Preußen gleichge¬
stellt, da doch bei jener der Cursus um 2 Jahre kürzer ist, d. h. um 1 Jahr
später beginnt und um 1 Jahr früher endet, als bei diesen, der Abgang bei
jener schon im 17., bei diesen erst im 18. Jahre erfolgen kann? Diese offen¬
bare Ungerechtigkeit findet auch statt bei der Annahme als Portepeesähnrich.
Nach der Verfügung des sächsischen Kriegsministers vom 1. März 1867 sub 9
sind von der Portepeejunkerprüfung dispensirt: diejenigen Aspiranten, welche
im Besitze eines vollständigen Abiturientenzeugnisses eines sächsischen Gymna¬
siums oder einer nach dem Regulative vom 2. Juli 1860 organisirten sächsi¬
schen Realschule sind. Demnach werden auch hier die 17jährigen Abiturienten
unserer Realschulen mit den l 8jährigen Abiturienten der Gymnasien völlig
auf eine Linie gestellt. Diesen Widersprüchen kann nur dadurch gründlich
abgeholfen werden, daß sich das Cultusministerium endlich entschließt, die
sächsischen Realschulen völlig nach dem Muster der preußischen Real¬
schulen I. Ordnung zu reorganisiren.

Die Leiter des höheren Unterrichtswesens in Sachsen scheinen zu glauben,
daß durch Steigerung der Zahl der wöchentlichen Lehrstunden das Schulziel
schneller zu erreichen oder für den praktischen Lebensberuf schneller vorzube¬
reiten sei, als dies in „unserem Nachbarstaate" für möglich gehalten wird.
Abgesehen von den unteren Klassen und mit Ausschluß der Gesang- und
Turnstunden ist in Preußen die wöchentliche Stundenzahl

an den Gymnasien 30
an den Realschulen 30 bis 32,

in Sachsen dagegen

an den Gymnasien 34
an den Realschulen 35 bis 36.

Zu diesem Uebermaß von Unterrichtsstunden gesellt sich noch, namentlich
an manchen Realschulen, eine Ueberbürdung der Schüler mit häuslichen Ar¬
beiten. Was sind die Folgen solchen Borgehens? Die begabtesten Köpfe
allein vermögen dieses Uebermaß von Unterricht zu ertragen, die mittleren
Köpfe erliegen demselben aber vollständig. Durch diese Ueberfüllung des Gei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/101>, abgerufen am 05.02.2025.