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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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sitae jener Vertreter der italienischen Behörden am untern Ende der Treppe,
die zu keinem andern Zweck dahin gesandt waren, als um diese Individuen
zu beschützen, die ausdrücklich nach Rom gekommen waren, um gegen die Ein¬
verleibung desselben in das Königreich Italien zu Protestiren. Bis jetzt ist
nichts passirt, was die Befürchtung rechtfertigen könnte, daß die von den Je¬
suiten gehegte Hoffnung sich verwirklichen wird. Die Römer scheinen ent¬
schlossen, das Fiasco so vollständig als möglich werden zu lassen.

Als ich heute früh das Haus verließ, erwartete ich die Straßen mit
Todten bedeckt und mit Blut überströmt zu finden. Der 16. Juni hatte nach
den Weissagungen unserer Propheten die Bestimmung, Zeuge einer zweiten
Bartholomäusnacht zu werden, und so konnte ich nicht recht begreifen, daß
Alles still und friedlich geblieben und Rom ganz und gar in seinem normalen
Zustande war. Ich fuhr hinunter nach Sanct Peter, aber nichts Außer¬
ordentliches lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich, ausgenommen eine unge¬
wöhnlich große Anzahl von Kutschen und Droschken in der Nähe des Platzes
vor Sanct Peter. AIs ich den Eingang zum Vatican erreichte, war ich er¬
staunt, außer anderen Carossen auch eine zum königlichen Hause gehörige zu
sehen. Ein paar Minuten später präsentirten die Schweizergardisten die Ge¬
wehre. Es war der General Bertole Male, der Adjutant des Königs, in
voller Uniform, welcher diesen Morgen von Florenz gekommen war, und dem
Cardinal Antonelli einen Besuch gemacht hatte. Der Ex-Staatssecretär em¬
pfing, wie ich höre, den italienischen General mit der größten Höflichkeit, und
beim Abschiede bemerkte dieser, daß der König Victor Emanuel ihn beauftragt
habe, dem heiligen Vater seine Glückwünsche zum fünfundzwanzigjährigen
Jahrestage seines Pontisicats auszusprechen. Cardinal Antonelli antwortete,
daß er den heiligen Vater davon in Kenntniß setzen und "ihm über das Wei¬
tere Nachricht geben werde."

Die clericalen Blätter hatten angekündigt, daß die Zahl der Pilger,
welche aus den verschiedenen Weltgegenden nach Rom kommen würden, mehr
als vierzigtausend betragen würde. Ich habe guten Grund zu glauben, daß
bis zu diesem Augenblick nicht mehr als dreitausend dieser Versechter der hei¬
ligen Sache in der ewigen Stadt eingetroffen sind. In der That, die heute
Morgen in Sanct Peter stattgehabte Ceremonie, welche etwas wirklich Gro߬
artiges hatte werden sollen, gestaltete sich recht erbärmlich. Vierhundert und
siebzig katholische Abgeordnete versammelten sich im Hofe von Santa Marta
und marschirten dann prozessionsmäßig in langem Zuge, etwa wie unsere
Polizeileute, nach Sanct Peter. Hätte man nicht gewußt, daß etwas los
wäre in diesem riesigen Gebäude, man würde kaum ihre Anwesenheit dort


sitae jener Vertreter der italienischen Behörden am untern Ende der Treppe,
die zu keinem andern Zweck dahin gesandt waren, als um diese Individuen
zu beschützen, die ausdrücklich nach Rom gekommen waren, um gegen die Ein¬
verleibung desselben in das Königreich Italien zu Protestiren. Bis jetzt ist
nichts passirt, was die Befürchtung rechtfertigen könnte, daß die von den Je¬
suiten gehegte Hoffnung sich verwirklichen wird. Die Römer scheinen ent¬
schlossen, das Fiasco so vollständig als möglich werden zu lassen.

Als ich heute früh das Haus verließ, erwartete ich die Straßen mit
Todten bedeckt und mit Blut überströmt zu finden. Der 16. Juni hatte nach
den Weissagungen unserer Propheten die Bestimmung, Zeuge einer zweiten
Bartholomäusnacht zu werden, und so konnte ich nicht recht begreifen, daß
Alles still und friedlich geblieben und Rom ganz und gar in seinem normalen
Zustande war. Ich fuhr hinunter nach Sanct Peter, aber nichts Außer¬
ordentliches lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich, ausgenommen eine unge¬
wöhnlich große Anzahl von Kutschen und Droschken in der Nähe des Platzes
vor Sanct Peter. AIs ich den Eingang zum Vatican erreichte, war ich er¬
staunt, außer anderen Carossen auch eine zum königlichen Hause gehörige zu
sehen. Ein paar Minuten später präsentirten die Schweizergardisten die Ge¬
wehre. Es war der General Bertole Male, der Adjutant des Königs, in
voller Uniform, welcher diesen Morgen von Florenz gekommen war, und dem
Cardinal Antonelli einen Besuch gemacht hatte. Der Ex-Staatssecretär em¬
pfing, wie ich höre, den italienischen General mit der größten Höflichkeit, und
beim Abschiede bemerkte dieser, daß der König Victor Emanuel ihn beauftragt
habe, dem heiligen Vater seine Glückwünsche zum fünfundzwanzigjährigen
Jahrestage seines Pontisicats auszusprechen. Cardinal Antonelli antwortete,
daß er den heiligen Vater davon in Kenntniß setzen und „ihm über das Wei¬
tere Nachricht geben werde."

Die clericalen Blätter hatten angekündigt, daß die Zahl der Pilger,
welche aus den verschiedenen Weltgegenden nach Rom kommen würden, mehr
als vierzigtausend betragen würde. Ich habe guten Grund zu glauben, daß
bis zu diesem Augenblick nicht mehr als dreitausend dieser Versechter der hei¬
ligen Sache in der ewigen Stadt eingetroffen sind. In der That, die heute
Morgen in Sanct Peter stattgehabte Ceremonie, welche etwas wirklich Gro߬
artiges hatte werden sollen, gestaltete sich recht erbärmlich. Vierhundert und
siebzig katholische Abgeordnete versammelten sich im Hofe von Santa Marta
und marschirten dann prozessionsmäßig in langem Zuge, etwa wie unsere
Polizeileute, nach Sanct Peter. Hätte man nicht gewußt, daß etwas los
wäre in diesem riesigen Gebäude, man würde kaum ihre Anwesenheit dort


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/69>, abgerufen am 24.07.2024.