Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schaffen, aber keine mächtig genug, um die Krone, das Centrum des Cava-
lierregimentes, in der großen Politik, in den gemeinsamen Angelegenheiten
des Reiches nach innen und außen zu beschränken.

Der Versuch wurde von den Völkerschaften, die er gewinnen sollte, nicht
angenommen. Die Ungarn namentlich verlangten die Anerkennung ihrer
Verfassung vom Jahre 1848 und die staatsrechtliche Einheit des unter ihrer
alten Stephanskrone vereinigten Ländercomplexes. Das Verlangen schien ge¬
fährlich für die so mühsam durch den Sieg über die Revolution von 1848
errungene Staatseinheit. Der Liberalismus erschien einen Augenblick an
maßgebender Stelle weniger gefährlich, als der eine parlamentarische Voll¬
gewalt für die einzelnen Reichsglieder beanspruchende Föderalismus. Es er¬
schienen die Februarpatente von 1861. Man wollte durch den Liberalismus
die Centralisation retten. Es ist bekannt, wie die Ungarn ihren passiven
Widerstand fortsetzten, wie das Schmerling'sche Centralparlament, das nie
vollständig beschickt worden war, noch vor dem Krieg von 1866 außer Wirk¬
samkeit gesetzt wurde, wie man nach diesem Krieg die Ungarn befriedigte und
die parlamentarische Centralisation für die sogenannte cisleithanische Reichs¬
hälfte durch die Decembergesetze von 1867 retten zu können glaubte.

Es ist nicht nöthig, auf die in frischester Erinnerung lebenden Vorgänge
einzugehen, wie die Polen und Czechen sich dieser Centralisation nicht fügen
wollten, wie das erste Ministerium der parlamentarischen Centralisation zu¬
rücktrat, um einem solchen Platz zu machen, welches die widerstrebenden Na¬
tionalitäten durch verfassungsmäßig zu erlangende Concessionen zur Beschickung
des Reichsrathes zu vermögen vergeblich unternahm. Heute hat sich ein Mi¬
nisterium gefunden, welches weit genug in seinen Gewährungen geht, um die
Nationalitäten, welche der deutschen Centralisation abgeneigt sind, zu Bundes¬
genossen zu haben.

Unser Rückblick ist beendet. Wir wiederholen die Frage: Was beabsich¬
tigen die Cavaliere, die eigentlichen Träger des östreichischen Staates, mit
dieser neuesten Wendung? Beabsichtigen sie eine antideutsche, eine slawische
Centralisation? Unter den Hohenwarth, Leo Thun, Clam Martinitz und wie
sie heißen mögen, mag dem einen oder dem anderen ein slawischer Dialekt
geläufig sein. Aber sicherlich sind die östreichischen Cavaliere nichts weniger
als Fanatiker des slawischen Nacegefühls, wie es etwa die Nationaldemokra-
ten in Rußland sind. Nein, diese Aristokraten bedienen sich der slawischen
Völkerzweige Oestreichs als eines halbbarbarischen Elementes, auf dessen
Grundlage am besten, am naturgemäßesten ein aristokratisches Regiment auf¬
recht zu halten ist. Diese Cavaliere denken nicht daran, die deutsche Nationa¬
lität in Oestreich ihrer Sprache und Sitte zu berauben, wenn sie sich nur
in den Schranken partriarchalischer Unterthanenschaft wie vordem halten will.


Greiizlwtcn II. 1871. 70

schaffen, aber keine mächtig genug, um die Krone, das Centrum des Cava-
lierregimentes, in der großen Politik, in den gemeinsamen Angelegenheiten
des Reiches nach innen und außen zu beschränken.

Der Versuch wurde von den Völkerschaften, die er gewinnen sollte, nicht
angenommen. Die Ungarn namentlich verlangten die Anerkennung ihrer
Verfassung vom Jahre 1848 und die staatsrechtliche Einheit des unter ihrer
alten Stephanskrone vereinigten Ländercomplexes. Das Verlangen schien ge¬
fährlich für die so mühsam durch den Sieg über die Revolution von 1848
errungene Staatseinheit. Der Liberalismus erschien einen Augenblick an
maßgebender Stelle weniger gefährlich, als der eine parlamentarische Voll¬
gewalt für die einzelnen Reichsglieder beanspruchende Föderalismus. Es er¬
schienen die Februarpatente von 1861. Man wollte durch den Liberalismus
die Centralisation retten. Es ist bekannt, wie die Ungarn ihren passiven
Widerstand fortsetzten, wie das Schmerling'sche Centralparlament, das nie
vollständig beschickt worden war, noch vor dem Krieg von 1866 außer Wirk¬
samkeit gesetzt wurde, wie man nach diesem Krieg die Ungarn befriedigte und
die parlamentarische Centralisation für die sogenannte cisleithanische Reichs¬
hälfte durch die Decembergesetze von 1867 retten zu können glaubte.

Es ist nicht nöthig, auf die in frischester Erinnerung lebenden Vorgänge
einzugehen, wie die Polen und Czechen sich dieser Centralisation nicht fügen
wollten, wie das erste Ministerium der parlamentarischen Centralisation zu¬
rücktrat, um einem solchen Platz zu machen, welches die widerstrebenden Na¬
tionalitäten durch verfassungsmäßig zu erlangende Concessionen zur Beschickung
des Reichsrathes zu vermögen vergeblich unternahm. Heute hat sich ein Mi¬
nisterium gefunden, welches weit genug in seinen Gewährungen geht, um die
Nationalitäten, welche der deutschen Centralisation abgeneigt sind, zu Bundes¬
genossen zu haben.

Unser Rückblick ist beendet. Wir wiederholen die Frage: Was beabsich¬
tigen die Cavaliere, die eigentlichen Träger des östreichischen Staates, mit
dieser neuesten Wendung? Beabsichtigen sie eine antideutsche, eine slawische
Centralisation? Unter den Hohenwarth, Leo Thun, Clam Martinitz und wie
sie heißen mögen, mag dem einen oder dem anderen ein slawischer Dialekt
geläufig sein. Aber sicherlich sind die östreichischen Cavaliere nichts weniger
als Fanatiker des slawischen Nacegefühls, wie es etwa die Nationaldemokra-
ten in Rußland sind. Nein, diese Aristokraten bedienen sich der slawischen
Völkerzweige Oestreichs als eines halbbarbarischen Elementes, auf dessen
Grundlage am besten, am naturgemäßesten ein aristokratisches Regiment auf¬
recht zu halten ist. Diese Cavaliere denken nicht daran, die deutsche Nationa¬
lität in Oestreich ihrer Sprache und Sitte zu berauben, wenn sie sich nur
in den Schranken partriarchalischer Unterthanenschaft wie vordem halten will.


Greiizlwtcn II. 1871. 70
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0561" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126837"/>
          <p xml:id="ID_1709" prev="#ID_1708"> schaffen, aber keine mächtig genug, um die Krone, das Centrum des Cava-<lb/>
lierregimentes, in der großen Politik, in den gemeinsamen Angelegenheiten<lb/>
des Reiches nach innen und außen zu beschränken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1710"> Der Versuch wurde von den Völkerschaften, die er gewinnen sollte, nicht<lb/>
angenommen. Die Ungarn namentlich verlangten die Anerkennung ihrer<lb/>
Verfassung vom Jahre 1848 und die staatsrechtliche Einheit des unter ihrer<lb/>
alten Stephanskrone vereinigten Ländercomplexes. Das Verlangen schien ge¬<lb/>
fährlich für die so mühsam durch den Sieg über die Revolution von 1848<lb/>
errungene Staatseinheit. Der Liberalismus erschien einen Augenblick an<lb/>
maßgebender Stelle weniger gefährlich, als der eine parlamentarische Voll¬<lb/>
gewalt für die einzelnen Reichsglieder beanspruchende Föderalismus. Es er¬<lb/>
schienen die Februarpatente von 1861. Man wollte durch den Liberalismus<lb/>
die Centralisation retten. Es ist bekannt, wie die Ungarn ihren passiven<lb/>
Widerstand fortsetzten, wie das Schmerling'sche Centralparlament, das nie<lb/>
vollständig beschickt worden war, noch vor dem Krieg von 1866 außer Wirk¬<lb/>
samkeit gesetzt wurde, wie man nach diesem Krieg die Ungarn befriedigte und<lb/>
die parlamentarische Centralisation für die sogenannte cisleithanische Reichs¬<lb/>
hälfte durch die Decembergesetze von 1867 retten zu können glaubte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1711"> Es ist nicht nöthig, auf die in frischester Erinnerung lebenden Vorgänge<lb/>
einzugehen, wie die Polen und Czechen sich dieser Centralisation nicht fügen<lb/>
wollten, wie das erste Ministerium der parlamentarischen Centralisation zu¬<lb/>
rücktrat, um einem solchen Platz zu machen, welches die widerstrebenden Na¬<lb/>
tionalitäten durch verfassungsmäßig zu erlangende Concessionen zur Beschickung<lb/>
des Reichsrathes zu vermögen vergeblich unternahm. Heute hat sich ein Mi¬<lb/>
nisterium gefunden, welches weit genug in seinen Gewährungen geht, um die<lb/>
Nationalitäten, welche der deutschen Centralisation abgeneigt sind, zu Bundes¬<lb/>
genossen zu haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1712" next="#ID_1713"> Unser Rückblick ist beendet. Wir wiederholen die Frage: Was beabsich¬<lb/>
tigen die Cavaliere, die eigentlichen Träger des östreichischen Staates, mit<lb/>
dieser neuesten Wendung? Beabsichtigen sie eine antideutsche, eine slawische<lb/>
Centralisation? Unter den Hohenwarth, Leo Thun, Clam Martinitz und wie<lb/>
sie heißen mögen, mag dem einen oder dem anderen ein slawischer Dialekt<lb/>
geläufig sein. Aber sicherlich sind die östreichischen Cavaliere nichts weniger<lb/>
als Fanatiker des slawischen Nacegefühls, wie es etwa die Nationaldemokra-<lb/>
ten in Rußland sind. Nein, diese Aristokraten bedienen sich der slawischen<lb/>
Völkerzweige Oestreichs als eines halbbarbarischen Elementes, auf dessen<lb/>
Grundlage am besten, am naturgemäßesten ein aristokratisches Regiment auf¬<lb/>
recht zu halten ist. Diese Cavaliere denken nicht daran, die deutsche Nationa¬<lb/>
lität in Oestreich ihrer Sprache und Sitte zu berauben, wenn sie sich nur<lb/>
in den Schranken partriarchalischer Unterthanenschaft wie vordem halten will.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Greiizlwtcn II. 1871. 70</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0561] schaffen, aber keine mächtig genug, um die Krone, das Centrum des Cava- lierregimentes, in der großen Politik, in den gemeinsamen Angelegenheiten des Reiches nach innen und außen zu beschränken. Der Versuch wurde von den Völkerschaften, die er gewinnen sollte, nicht angenommen. Die Ungarn namentlich verlangten die Anerkennung ihrer Verfassung vom Jahre 1848 und die staatsrechtliche Einheit des unter ihrer alten Stephanskrone vereinigten Ländercomplexes. Das Verlangen schien ge¬ fährlich für die so mühsam durch den Sieg über die Revolution von 1848 errungene Staatseinheit. Der Liberalismus erschien einen Augenblick an maßgebender Stelle weniger gefährlich, als der eine parlamentarische Voll¬ gewalt für die einzelnen Reichsglieder beanspruchende Föderalismus. Es er¬ schienen die Februarpatente von 1861. Man wollte durch den Liberalismus die Centralisation retten. Es ist bekannt, wie die Ungarn ihren passiven Widerstand fortsetzten, wie das Schmerling'sche Centralparlament, das nie vollständig beschickt worden war, noch vor dem Krieg von 1866 außer Wirk¬ samkeit gesetzt wurde, wie man nach diesem Krieg die Ungarn befriedigte und die parlamentarische Centralisation für die sogenannte cisleithanische Reichs¬ hälfte durch die Decembergesetze von 1867 retten zu können glaubte. Es ist nicht nöthig, auf die in frischester Erinnerung lebenden Vorgänge einzugehen, wie die Polen und Czechen sich dieser Centralisation nicht fügen wollten, wie das erste Ministerium der parlamentarischen Centralisation zu¬ rücktrat, um einem solchen Platz zu machen, welches die widerstrebenden Na¬ tionalitäten durch verfassungsmäßig zu erlangende Concessionen zur Beschickung des Reichsrathes zu vermögen vergeblich unternahm. Heute hat sich ein Mi¬ nisterium gefunden, welches weit genug in seinen Gewährungen geht, um die Nationalitäten, welche der deutschen Centralisation abgeneigt sind, zu Bundes¬ genossen zu haben. Unser Rückblick ist beendet. Wir wiederholen die Frage: Was beabsich¬ tigen die Cavaliere, die eigentlichen Träger des östreichischen Staates, mit dieser neuesten Wendung? Beabsichtigen sie eine antideutsche, eine slawische Centralisation? Unter den Hohenwarth, Leo Thun, Clam Martinitz und wie sie heißen mögen, mag dem einen oder dem anderen ein slawischer Dialekt geläufig sein. Aber sicherlich sind die östreichischen Cavaliere nichts weniger als Fanatiker des slawischen Nacegefühls, wie es etwa die Nationaldemokra- ten in Rußland sind. Nein, diese Aristokraten bedienen sich der slawischen Völkerzweige Oestreichs als eines halbbarbarischen Elementes, auf dessen Grundlage am besten, am naturgemäßesten ein aristokratisches Regiment auf¬ recht zu halten ist. Diese Cavaliere denken nicht daran, die deutsche Nationa¬ lität in Oestreich ihrer Sprache und Sitte zu berauben, wenn sie sich nur in den Schranken partriarchalischer Unterthanenschaft wie vordem halten will. Greiizlwtcn II. 1871. 70

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/561
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/561>, abgerufen am 24.07.2024.