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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Niederlagen überlebt und nicht nur überlebt, sondern die Kräfte zu immer
wieder erneuten Rüstungen behalten. Der Eindruck dieser Lebenskraft brachte
ihm nicht nur einen lange nachwirkender Einfluß in Europa, sondern auch
eine vortreffliche Abrundung seines Gebietes und eine nach Deutschland, Ita¬
lien und der Türkei gleich einschneidende geographisch-politische Stellung.
Man hatte nur zu viel Schulden. Nun hätten Handel und Industrie auf¬
blühen müssen, um das Deficit nachzuholen. Aber ein Cavalierregiment ver¬
steht sich nicht auf die Erziehung von Handel und Industrie, auf Volksbil¬
dung, auf rationelle Steuersysteme, auf gute wirthschaftliche Gesetze, auf spar¬
same Finanzverwaltung und was dergleichen mehr ist. Wenn Cavaliere der¬
gleichen zu thun vermöchten, so müßte doch noch ein ungewöhnlicher Grad
von erleuchteten Patriotismus hinzukommen, um das Bedenken zu entwaff¬
nen, daß sie sich einen Nebenbuhler in der Beherrschung des Staates erziehen.
Solcher Patriotismus kommt am Wenigsten auf, wenn die Cavaliere von
Jesuiten berathen und erzogen sind. Oestreichs Handelspolitik verfiel nach
1813 dem Schutzzollsystem, weniger aus Zärtlichkeit für die einheimische In¬
dustrie, als weil Fürst Metternich gerathen fand, daß Oestreich eine Welt
für sich bleibe. Für Volksbildung, Grundentlastung, Gewerbefreiheit und
dergleichen geschah nichts. Dabei konnte man leben, wie man längst gelebt
hatte, aber man konnte keine Schulden bezahlen und die Productionskraft der
Gesammtbevölkerung nicht heben. Die Metallwährung verschwand, man ge¬
wöhnte sich an die Papiergeldwirthschaft. Das vollendete die wirthschaftliche
Jsolirung und vernichtete die zum wirthschaftlichen Fortschritt nöthigen
Tugenden.

Die Vorenthaltung aller wahren geistigen Güter, verbunden mit einer
wirthschaftlichen Existenz, deren Gefahren und Uebelstände immermehr zu
Tage traten, ließen das Jahr 1848 in Oestreich einen Widerhall finden,
dessen Stärke das vielbeschäftigte Europa in Erstaunen setzte. Aber die Be¬
wegung mußte in sich zusammensinken, weil der alte Staat alle Kräfte des-
organisirt hatte, die ein neues Staatswesen hätten aufrichten können. Der
inhaltlose Nationalitätenhader, der mit Ausnahme der italienischen Provinzen
kein Ziel hatte, theilte und verdarb die Bewegung. Ein Centralparlament
sollte errichtet werden, aber die Slawen wollten es slawisch, obwohl sie ge¬
nöthigt waren auf ihrem Congreß deutsch zu sprechen. Die Ungarn und
Polen wollten Staaten im Staat bilden.

Die unerwarteten Siege Radetzky's zeigten, daß die Einheit --und das hieß
hier die Existenz Oestreichs, in Radetzky's Lager, d. h. in der von den Ca-
valieren befehligten Armee war. Durch die siegreiche Armee und freilich auch
durch Rußlands Hilfe warfen die Cavaliere die verschiedenen Elemente der
revolutionären Gährung blutig zu Boden. Sie richteten sich die Armee, das


Niederlagen überlebt und nicht nur überlebt, sondern die Kräfte zu immer
wieder erneuten Rüstungen behalten. Der Eindruck dieser Lebenskraft brachte
ihm nicht nur einen lange nachwirkender Einfluß in Europa, sondern auch
eine vortreffliche Abrundung seines Gebietes und eine nach Deutschland, Ita¬
lien und der Türkei gleich einschneidende geographisch-politische Stellung.
Man hatte nur zu viel Schulden. Nun hätten Handel und Industrie auf¬
blühen müssen, um das Deficit nachzuholen. Aber ein Cavalierregiment ver¬
steht sich nicht auf die Erziehung von Handel und Industrie, auf Volksbil¬
dung, auf rationelle Steuersysteme, auf gute wirthschaftliche Gesetze, auf spar¬
same Finanzverwaltung und was dergleichen mehr ist. Wenn Cavaliere der¬
gleichen zu thun vermöchten, so müßte doch noch ein ungewöhnlicher Grad
von erleuchteten Patriotismus hinzukommen, um das Bedenken zu entwaff¬
nen, daß sie sich einen Nebenbuhler in der Beherrschung des Staates erziehen.
Solcher Patriotismus kommt am Wenigsten auf, wenn die Cavaliere von
Jesuiten berathen und erzogen sind. Oestreichs Handelspolitik verfiel nach
1813 dem Schutzzollsystem, weniger aus Zärtlichkeit für die einheimische In¬
dustrie, als weil Fürst Metternich gerathen fand, daß Oestreich eine Welt
für sich bleibe. Für Volksbildung, Grundentlastung, Gewerbefreiheit und
dergleichen geschah nichts. Dabei konnte man leben, wie man längst gelebt
hatte, aber man konnte keine Schulden bezahlen und die Productionskraft der
Gesammtbevölkerung nicht heben. Die Metallwährung verschwand, man ge¬
wöhnte sich an die Papiergeldwirthschaft. Das vollendete die wirthschaftliche
Jsolirung und vernichtete die zum wirthschaftlichen Fortschritt nöthigen
Tugenden.

Die Vorenthaltung aller wahren geistigen Güter, verbunden mit einer
wirthschaftlichen Existenz, deren Gefahren und Uebelstände immermehr zu
Tage traten, ließen das Jahr 1848 in Oestreich einen Widerhall finden,
dessen Stärke das vielbeschäftigte Europa in Erstaunen setzte. Aber die Be¬
wegung mußte in sich zusammensinken, weil der alte Staat alle Kräfte des-
organisirt hatte, die ein neues Staatswesen hätten aufrichten können. Der
inhaltlose Nationalitätenhader, der mit Ausnahme der italienischen Provinzen
kein Ziel hatte, theilte und verdarb die Bewegung. Ein Centralparlament
sollte errichtet werden, aber die Slawen wollten es slawisch, obwohl sie ge¬
nöthigt waren auf ihrem Congreß deutsch zu sprechen. Die Ungarn und
Polen wollten Staaten im Staat bilden.

Die unerwarteten Siege Radetzky's zeigten, daß die Einheit —und das hieß
hier die Existenz Oestreichs, in Radetzky's Lager, d. h. in der von den Ca-
valieren befehligten Armee war. Durch die siegreiche Armee und freilich auch
durch Rußlands Hilfe warfen die Cavaliere die verschiedenen Elemente der
revolutionären Gährung blutig zu Boden. Sie richteten sich die Armee, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/559>, abgerufen am 24.07.2024.