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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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kräftigen, einmal elegisch weichen Gefühle für Gott und Natur, für Liebe und
Freundschaft, für Tugend und Vaterland hineingoß.


Auf den Züricher See.

Die künftige Geliebte.

Es entging mit der Zeit Klopstock indessen nicht, daß das antike Schema
seinem kühn aufquillenden Genius Fesseln anlegte, daß es ihn zu lästigen
Anbequemungen und Moderationen nöthigte; sie trieben seine nach freier,
uneingeschränkter Bewegung lechzende Natur schon im Jahre 17S4 zum ersten
Versuch in ungebundenen Rhythmen ohne strophische Gleichmäßigkeit
(Die Genesung). Nun ging die Modulation der Rede schmiegsam und bieg¬
sam ganz in die Formen ein. die dem jedesmaligen Gedanken- und Gefühls¬
inhalt des großartig vollendeten Dichtergeistes die angemessenste und wirk¬
samste schien. Es ward über die Form wohl gar überhaupt nicht mehr ge¬
klügelt und gerechnet; der rauschende Strom dichterischer Empfindung schlug
einmal diese, dann jene Wellen. Es ist die "künstliche Prosa", die Lessing
im Se. Literaturbrief billigend bespricht: "Die Empfindungen ordnen sich von
selbst in symmetrische Zeilen, die voller Wohlklang sind, ob sie schon kein be¬
stimmtes Silbenmaß haben. Sollte es nicht rathsam sein, zur musikali¬
schen Composition Gedichte in diesem Silbenmaße abzufassen?"

Das bekannteste Gedicht dieser Art ist "Die Frühlingsfeier" vom Jahre
1759. Der Dichter ist hinausgegangen anzubeten, in Andacht seine Seele
vom Staube zum Verkehr mit dem Ewigen zu erheben. Nicht will sich dies¬
mal der Flug seines religiösen Sehnens "in den Ocean der Weltenalle stür¬
zen", nicht aufschweben, "wo die ersten Erschaffnen, die Jubelchöre der Söhne
des Lichts" anbeten und in Entzückung vergehn, seine Gedanken sollen nur
weben, um den Tropfen am Eimer, um die Erde; auch sie spricht von dem
ewigen allgegenwärtigen Gott:


Denn Du!
namenloser, Du!
schufest sie! --

kräftigen, einmal elegisch weichen Gefühle für Gott und Natur, für Liebe und
Freundschaft, für Tugend und Vaterland hineingoß.


Auf den Züricher See.

Die künftige Geliebte.

Es entging mit der Zeit Klopstock indessen nicht, daß das antike Schema
seinem kühn aufquillenden Genius Fesseln anlegte, daß es ihn zu lästigen
Anbequemungen und Moderationen nöthigte; sie trieben seine nach freier,
uneingeschränkter Bewegung lechzende Natur schon im Jahre 17S4 zum ersten
Versuch in ungebundenen Rhythmen ohne strophische Gleichmäßigkeit
(Die Genesung). Nun ging die Modulation der Rede schmiegsam und bieg¬
sam ganz in die Formen ein. die dem jedesmaligen Gedanken- und Gefühls¬
inhalt des großartig vollendeten Dichtergeistes die angemessenste und wirk¬
samste schien. Es ward über die Form wohl gar überhaupt nicht mehr ge¬
klügelt und gerechnet; der rauschende Strom dichterischer Empfindung schlug
einmal diese, dann jene Wellen. Es ist die „künstliche Prosa", die Lessing
im Se. Literaturbrief billigend bespricht: „Die Empfindungen ordnen sich von
selbst in symmetrische Zeilen, die voller Wohlklang sind, ob sie schon kein be¬
stimmtes Silbenmaß haben. Sollte es nicht rathsam sein, zur musikali¬
schen Composition Gedichte in diesem Silbenmaße abzufassen?"

Das bekannteste Gedicht dieser Art ist „Die Frühlingsfeier" vom Jahre
1759. Der Dichter ist hinausgegangen anzubeten, in Andacht seine Seele
vom Staube zum Verkehr mit dem Ewigen zu erheben. Nicht will sich dies¬
mal der Flug seines religiösen Sehnens „in den Ocean der Weltenalle stür¬
zen", nicht aufschweben, „wo die ersten Erschaffnen, die Jubelchöre der Söhne
des Lichts" anbeten und in Entzückung vergehn, seine Gedanken sollen nur
weben, um den Tropfen am Eimer, um die Erde; auch sie spricht von dem
ewigen allgegenwärtigen Gott:


Denn Du!
namenloser, Du!
schufest sie! —

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[0544] kräftigen, einmal elegisch weichen Gefühle für Gott und Natur, für Liebe und Freundschaft, für Tugend und Vaterland hineingoß. Auf den Züricher See. Die künftige Geliebte. Es entging mit der Zeit Klopstock indessen nicht, daß das antike Schema seinem kühn aufquillenden Genius Fesseln anlegte, daß es ihn zu lästigen Anbequemungen und Moderationen nöthigte; sie trieben seine nach freier, uneingeschränkter Bewegung lechzende Natur schon im Jahre 17S4 zum ersten Versuch in ungebundenen Rhythmen ohne strophische Gleichmäßigkeit (Die Genesung). Nun ging die Modulation der Rede schmiegsam und bieg¬ sam ganz in die Formen ein. die dem jedesmaligen Gedanken- und Gefühls¬ inhalt des großartig vollendeten Dichtergeistes die angemessenste und wirk¬ samste schien. Es ward über die Form wohl gar überhaupt nicht mehr ge¬ klügelt und gerechnet; der rauschende Strom dichterischer Empfindung schlug einmal diese, dann jene Wellen. Es ist die „künstliche Prosa", die Lessing im Se. Literaturbrief billigend bespricht: „Die Empfindungen ordnen sich von selbst in symmetrische Zeilen, die voller Wohlklang sind, ob sie schon kein be¬ stimmtes Silbenmaß haben. Sollte es nicht rathsam sein, zur musikali¬ schen Composition Gedichte in diesem Silbenmaße abzufassen?" Das bekannteste Gedicht dieser Art ist „Die Frühlingsfeier" vom Jahre 1759. Der Dichter ist hinausgegangen anzubeten, in Andacht seine Seele vom Staube zum Verkehr mit dem Ewigen zu erheben. Nicht will sich dies¬ mal der Flug seines religiösen Sehnens „in den Ocean der Weltenalle stür¬ zen", nicht aufschweben, „wo die ersten Erschaffnen, die Jubelchöre der Söhne des Lichts" anbeten und in Entzückung vergehn, seine Gedanken sollen nur weben, um den Tropfen am Eimer, um die Erde; auch sie spricht von dem ewigen allgegenwärtigen Gott: Denn Du! namenloser, Du! schufest sie! —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/544>, abgerufen am 24.07.2024.