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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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nicht bekannt sind, aber das Eine werden sie aus den fleißigen, gründlichen
und sehr übersichtlich geordneten Arbeiten Müller's immer mit besonderer
Deutlichkeit ersehen: wie sich der nationale Deutsche von heute die Welthän¬
del zurechtlegte, was der Mitlebende als die hervorragenderen, die minder
wichtigen Ereignisse seiner Zeit betrachtete. Und um auch in dieser Hinsicht
zum Schlüsse völlige Unparteilichkeit walten zu lassen, fügt Wilhelm Müller
seiner eigenen Geschichtsdarstellung eine chronologische Tabelle über alle irgend
nennenswerthen Ereignisse des Jahres 1870 auf der ganzen Erde, Tag für
Tag an, eine Tabelle, welche in ihrer Vollständigkeit und Correctheit jedem
Darsteller dieser Tage ein willkommener Führer sein wird.

Glücklicherweise ist allen unsern Feinden und neutralen Zuschauern in
diesem Kriege der Humor eher ausgegangen als uns selber. Was wir von
den Feinden und mißlauniger Neutralen unter der Etikette des Humors zu¬
gesandt erhielten, hätten wir bei uns mit einem ganz andern Namen getauft.
Um so erfreulicher war uns jeder Beweis, daß Einzelne den friedenverbür¬
genden Kern unserer gewaltigen Erfolge auch "draußen" mit jener Heiterkeit
und Fröhlichkeit des Herzens aufnahmen, die uns über alle theuren Opfer un¬
seres Blutes getröstet. Und am meisten freuen wir uns über Beweise dieser
fröhlich bewegten Gemüthsstimmung aus der Schweiz, der deutschen Schweiz,
zumal sie sehr dünn gesät sind. Man wird unter der uns sympathischen
Literatur der Schweiz aber kaum nach einem liebenswürdigeren, anspruchlose¬
ren und fröhlicheren Schriftchen greifen können, als uns die "Warhafftige Nuwe
Zittung des jüngst vergangenen Tutschen Kriegs durch Ernst Götzin-
ger, doctor und Schulmeister zu Sangallen" (Se. Gallen, Scheitlin u. Zolli--
loser, 1871) bietet. Der spätmittelalterliche Chronikstil des Schriftchens be¬
zeugt die auch bei andern Gelegenheiten bekundete volle Vertrautheit des
Autors mit den Rede-, Sprach- und Gedankenformen eines Johannes Keßler
-- während aus jeder Zeile wieder der ganz moderne Mensch spricht, der in
unserm großen Kriege seinem "frintlichen und geliebten forkeln, ouch seinem
döchterlin" den Finger Gottes weist. Die deutschen Zeitungen haben schon
vor Monaten die in ihrem naiven Altdeutsch und ihrem tiefen Gefühl und
Humor wirklich ergreifende Schilderung des Kriegsfalls, und unserer Führer
in Rath und Feld, aus dem Schriftchen abgedruckt. Wir geben hier als
Probe die Stelle über den Tag von Sedan: "Also kauend sy widerumb an¬
einander in einer großen feldschlacht, die geschach by statt und schloß Sedan,
und verlurend die armen Frantzosen aber, und gabend die flucht in die stat,
und ist on not zu erzellen wie sy daselb wie an allen andern orten kriegs-
volk, panner, fanum, stuck, büchsen, und ouch etwan ein stuck irer er verloren
Hand. Do was die statt zu lüzzel für das vit volk und must der tapfer Na¬
poleon am 2. tag Septembris sich und den ganzen Herzug den Tütschen erge-


nicht bekannt sind, aber das Eine werden sie aus den fleißigen, gründlichen
und sehr übersichtlich geordneten Arbeiten Müller's immer mit besonderer
Deutlichkeit ersehen: wie sich der nationale Deutsche von heute die Welthän¬
del zurechtlegte, was der Mitlebende als die hervorragenderen, die minder
wichtigen Ereignisse seiner Zeit betrachtete. Und um auch in dieser Hinsicht
zum Schlüsse völlige Unparteilichkeit walten zu lassen, fügt Wilhelm Müller
seiner eigenen Geschichtsdarstellung eine chronologische Tabelle über alle irgend
nennenswerthen Ereignisse des Jahres 1870 auf der ganzen Erde, Tag für
Tag an, eine Tabelle, welche in ihrer Vollständigkeit und Correctheit jedem
Darsteller dieser Tage ein willkommener Führer sein wird.

Glücklicherweise ist allen unsern Feinden und neutralen Zuschauern in
diesem Kriege der Humor eher ausgegangen als uns selber. Was wir von
den Feinden und mißlauniger Neutralen unter der Etikette des Humors zu¬
gesandt erhielten, hätten wir bei uns mit einem ganz andern Namen getauft.
Um so erfreulicher war uns jeder Beweis, daß Einzelne den friedenverbür¬
genden Kern unserer gewaltigen Erfolge auch „draußen" mit jener Heiterkeit
und Fröhlichkeit des Herzens aufnahmen, die uns über alle theuren Opfer un¬
seres Blutes getröstet. Und am meisten freuen wir uns über Beweise dieser
fröhlich bewegten Gemüthsstimmung aus der Schweiz, der deutschen Schweiz,
zumal sie sehr dünn gesät sind. Man wird unter der uns sympathischen
Literatur der Schweiz aber kaum nach einem liebenswürdigeren, anspruchlose¬
ren und fröhlicheren Schriftchen greifen können, als uns die „Warhafftige Nuwe
Zittung des jüngst vergangenen Tutschen Kriegs durch Ernst Götzin-
ger, doctor und Schulmeister zu Sangallen" (Se. Gallen, Scheitlin u. Zolli--
loser, 1871) bietet. Der spätmittelalterliche Chronikstil des Schriftchens be¬
zeugt die auch bei andern Gelegenheiten bekundete volle Vertrautheit des
Autors mit den Rede-, Sprach- und Gedankenformen eines Johannes Keßler
— während aus jeder Zeile wieder der ganz moderne Mensch spricht, der in
unserm großen Kriege seinem „frintlichen und geliebten forkeln, ouch seinem
döchterlin" den Finger Gottes weist. Die deutschen Zeitungen haben schon
vor Monaten die in ihrem naiven Altdeutsch und ihrem tiefen Gefühl und
Humor wirklich ergreifende Schilderung des Kriegsfalls, und unserer Führer
in Rath und Feld, aus dem Schriftchen abgedruckt. Wir geben hier als
Probe die Stelle über den Tag von Sedan: „Also kauend sy widerumb an¬
einander in einer großen feldschlacht, die geschach by statt und schloß Sedan,
und verlurend die armen Frantzosen aber, und gabend die flucht in die stat,
und ist on not zu erzellen wie sy daselb wie an allen andern orten kriegs-
volk, panner, fanum, stuck, büchsen, und ouch etwan ein stuck irer er verloren
Hand. Do was die statt zu lüzzel für das vit volk und must der tapfer Na¬
poleon am 2. tag Septembris sich und den ganzen Herzug den Tütschen erge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/525>, abgerufen am 24.07.2024.