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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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alles Genialischen, aller Ungebundenheit verbreitete sich aus der Mark allmci-
lig in die übrigen Provinzen, in dem Maße als sich das Reich vergrößerte,
er dehnte sich im letzten Kriege auf ganz Deutschland aus und brachte jene
Wunder zu Tage, welche mit goldenen Buchstaben auf dem schönsten Blatt
der deutschen Geschichte verzeichnet sind.

Aber dieser Geist, groß im Gehorsam, wunderbar befähigt für die Mission,
welche er zum größeren Theil schon erfüllt hat, zum Theil noch erfüllen soll,
ist in der politischen Freiheit noch schwach. In Preußen wird der Parlamen¬
tarismus bald ein Vierteljahrhundert alt, aber wie selten hat er in großem
Schwunge das politische Leben bewegt, oder gar einen Anstoß nach außen
gegeben. Ein Anlauf, ein Mißerfolg und dann ging es wieder zu der pro¬
saischen, nützlichen, aber auch nüchternen Arbeit zurück. Der deutsche Parla¬
mentarismus ist nach dem Bibelwort: Arbeit im Schweiße des Angesichts.
Er wird es auch in der nächsten Session sein, in der man aus den prakti¬
schen Fragen nicht herauskommen und zu dem kleinsten Ausfluge auf das
Gebiet der hohen Politik keine Zeit haben wird. Wir haben uns bei diesem
Systeme vortrefflich befunden, aber es hat den einen Uebelstand, daß es immer
einen großen Mann an der Spitze braucht und wenn der fehlt, sinkt
Alles in Erschlaffung zurück.

Die Franzosen haben viel mehr als wir das Talent sich selbst zu helfen,
und doch haben sie sich nie selbst regieren gekonnt, weil ihnen das nothwen¬
dige Maß der Subordination fehlt. Die Engländer allein haben ein paar
Jahrhunderte hindurch das Ideal einer vernünftigen Selbstregierung verwirk
licht und sie scheinen jetzt im Verfall. Vielleicht sind die Deutschen im Stande,
das politische Ideal zu verwirklichen. Nicht heut, nicht morgen kann es ge¬
schehen. Wir sind noch veelesis. miliwiiL, aber wenn einmal im ruhigen
Besitz, so werden wir uns das Ziel stecken, zu dem wir immerhin schon heut
-- o. ^V. -- die Vorarbeiten machen können.




Mine Jesprechungen.

Jetzt ist derselbe deutsche Sammelfleiß, der zu Anfang des deutsch-fran¬
zösischen Krieges die lieben Landsleute mit "Kriegsgeschichten" überschwemmte,
der Zusammenstellung der Thorheiten der feindlichen Presse, der öffentlichen
und privaten Kundgebungen des Hasses und der Verblendung unserer Feinde


alles Genialischen, aller Ungebundenheit verbreitete sich aus der Mark allmci-
lig in die übrigen Provinzen, in dem Maße als sich das Reich vergrößerte,
er dehnte sich im letzten Kriege auf ganz Deutschland aus und brachte jene
Wunder zu Tage, welche mit goldenen Buchstaben auf dem schönsten Blatt
der deutschen Geschichte verzeichnet sind.

Aber dieser Geist, groß im Gehorsam, wunderbar befähigt für die Mission,
welche er zum größeren Theil schon erfüllt hat, zum Theil noch erfüllen soll,
ist in der politischen Freiheit noch schwach. In Preußen wird der Parlamen¬
tarismus bald ein Vierteljahrhundert alt, aber wie selten hat er in großem
Schwunge das politische Leben bewegt, oder gar einen Anstoß nach außen
gegeben. Ein Anlauf, ein Mißerfolg und dann ging es wieder zu der pro¬
saischen, nützlichen, aber auch nüchternen Arbeit zurück. Der deutsche Parla¬
mentarismus ist nach dem Bibelwort: Arbeit im Schweiße des Angesichts.
Er wird es auch in der nächsten Session sein, in der man aus den prakti¬
schen Fragen nicht herauskommen und zu dem kleinsten Ausfluge auf das
Gebiet der hohen Politik keine Zeit haben wird. Wir haben uns bei diesem
Systeme vortrefflich befunden, aber es hat den einen Uebelstand, daß es immer
einen großen Mann an der Spitze braucht und wenn der fehlt, sinkt
Alles in Erschlaffung zurück.

Die Franzosen haben viel mehr als wir das Talent sich selbst zu helfen,
und doch haben sie sich nie selbst regieren gekonnt, weil ihnen das nothwen¬
dige Maß der Subordination fehlt. Die Engländer allein haben ein paar
Jahrhunderte hindurch das Ideal einer vernünftigen Selbstregierung verwirk
licht und sie scheinen jetzt im Verfall. Vielleicht sind die Deutschen im Stande,
das politische Ideal zu verwirklichen. Nicht heut, nicht morgen kann es ge¬
schehen. Wir sind noch veelesis. miliwiiL, aber wenn einmal im ruhigen
Besitz, so werden wir uns das Ziel stecken, zu dem wir immerhin schon heut
— o. ^V. — die Vorarbeiten machen können.




Mine Jesprechungen.

Jetzt ist derselbe deutsche Sammelfleiß, der zu Anfang des deutsch-fran¬
zösischen Krieges die lieben Landsleute mit „Kriegsgeschichten" überschwemmte,
der Zusammenstellung der Thorheiten der feindlichen Presse, der öffentlichen
und privaten Kundgebungen des Hasses und der Verblendung unserer Feinde


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[0523] alles Genialischen, aller Ungebundenheit verbreitete sich aus der Mark allmci- lig in die übrigen Provinzen, in dem Maße als sich das Reich vergrößerte, er dehnte sich im letzten Kriege auf ganz Deutschland aus und brachte jene Wunder zu Tage, welche mit goldenen Buchstaben auf dem schönsten Blatt der deutschen Geschichte verzeichnet sind. Aber dieser Geist, groß im Gehorsam, wunderbar befähigt für die Mission, welche er zum größeren Theil schon erfüllt hat, zum Theil noch erfüllen soll, ist in der politischen Freiheit noch schwach. In Preußen wird der Parlamen¬ tarismus bald ein Vierteljahrhundert alt, aber wie selten hat er in großem Schwunge das politische Leben bewegt, oder gar einen Anstoß nach außen gegeben. Ein Anlauf, ein Mißerfolg und dann ging es wieder zu der pro¬ saischen, nützlichen, aber auch nüchternen Arbeit zurück. Der deutsche Parla¬ mentarismus ist nach dem Bibelwort: Arbeit im Schweiße des Angesichts. Er wird es auch in der nächsten Session sein, in der man aus den prakti¬ schen Fragen nicht herauskommen und zu dem kleinsten Ausfluge auf das Gebiet der hohen Politik keine Zeit haben wird. Wir haben uns bei diesem Systeme vortrefflich befunden, aber es hat den einen Uebelstand, daß es immer einen großen Mann an der Spitze braucht und wenn der fehlt, sinkt Alles in Erschlaffung zurück. Die Franzosen haben viel mehr als wir das Talent sich selbst zu helfen, und doch haben sie sich nie selbst regieren gekonnt, weil ihnen das nothwen¬ dige Maß der Subordination fehlt. Die Engländer allein haben ein paar Jahrhunderte hindurch das Ideal einer vernünftigen Selbstregierung verwirk licht und sie scheinen jetzt im Verfall. Vielleicht sind die Deutschen im Stande, das politische Ideal zu verwirklichen. Nicht heut, nicht morgen kann es ge¬ schehen. Wir sind noch veelesis. miliwiiL, aber wenn einmal im ruhigen Besitz, so werden wir uns das Ziel stecken, zu dem wir immerhin schon heut — o. ^V. — die Vorarbeiten machen können. Mine Jesprechungen. Jetzt ist derselbe deutsche Sammelfleiß, der zu Anfang des deutsch-fran¬ zösischen Krieges die lieben Landsleute mit „Kriegsgeschichten" überschwemmte, der Zusammenstellung der Thorheiten der feindlichen Presse, der öffentlichen und privaten Kundgebungen des Hasses und der Verblendung unserer Feinde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/523>, abgerufen am 24.07.2024.