Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.nach den Vereinigten Staaten gesandten Zeitungen und periodischen Blätter, Mit der Haltung der amerikanischen Presse während des großen Bürger¬ nach den Vereinigten Staaten gesandten Zeitungen und periodischen Blätter, Mit der Haltung der amerikanischen Presse während des großen Bürger¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126791"/> <p xml:id="ID_1546" prev="#ID_1545"> nach den Vereinigten Staaten gesandten Zeitungen und periodischen Blätter,<lb/> in einer Zeit wo bei uns keine nennenswerthen Ereignisse vorgingen, und man<lb/> wird das von uns behauptete bewahrheitet finden. So brachten z, B. 1856<lb/> die Bremer Postdampfer 23.16S Zeitungen und die preußischen 63,131 her¬<lb/> über; 1861 gingen über Bremen 26,263. über Hamburg 7899 und mit den<lb/> preußischen Dampfern 84,923 Zeitungen nach den Vereinigten Staaten; diese<lb/> Zahlen genügen, um einen annähernden Begriff von der Menge der deutschen<lb/> Zeitungen zu geben, die während unseres großen Krieges hinübergegangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1547" next="#ID_1548"> Mit der Haltung der amerikanischen Presse während des großen Bürger¬<lb/> krieges fällt auch die scheinbar paradoxe Frage zusammen, ob die Presse in<lb/> der Union eine freie sei. Gesetzliche Fesseln binden allerdings die amerikani¬<lb/> schen Journale nicht, dafür aber sind sie alle in absoluter Abhän¬<lb/> gigkeit von einem capriciösen und despotischen Meister, dem Publikum. Was<lb/> die Größe und den Adel der Zeitungs-Literatur ausmacht, das ist die Mission,<lb/> welche der Journalist hat, die öffentliche Meinung aufzuklären, zu lenken und<lb/> sie zur Wahrheit zurückzuführen, wenn sie verirrt ist. Unglücklicher Weise ist<lb/> das Publikum sehr schnell mit seinem Urtheil bei der Hand; es gehorcht mehr<lb/> seinem Jnstinct, als der Vernunft und es gehört Zeit dazu, es zu enttäuschen.<lb/> Diese Zeit aber mangelt der amerikanischen Presse stets. Da sie keine Abon¬<lb/> nenten besitzt, so hat sie nicht, wie die europäischen Journale, eine feste Kund¬<lb/> schaft, welche ihre Existenz während einer Krisis sichern könnte; sie lebt von<lb/> einem Tag zum andern vom Verkauf ihrer Nummern: sobald die unzufriedene<lb/> Menge das Blatt verläßt, welches der Gegenstand seiner Vorliebe war, so¬<lb/> bald die Agenten und Colporteure ihre Käufe verringern, steht die Hungers¬<lb/> noth vor der Thür und das Journal ist zum Stillschweigen verdammt, oder<lb/> muß seine Meinung ändern und mit den Wölfen heulen. Es giebt nicht<lb/> selten noch ein stärkeres Motiv, als die Furcht vor Ruin, dem es nachgeben<lb/> muß. Die Menge ist eben so absolutistisch wie der Despotismus, aber sie<lb/> hat nicht nöthig Wie jener zur Heuchelei ihre Zuflucht zu nehmen. Mehr<lb/> denn einmal hat man in den Vereinigten Staaten die Volksmenge die Bu-<lb/> reaux einer Zeitung stürmen und demoliren sehen, um dadurch einen Wider¬<lb/> spruch zum Schweigen zu bringen, der ihr mißfiel. Diesem Umstände hat<lb/> man vielfach die befremdende Parteinahme der Presse während des Bürger¬<lb/> krieges zuzuschreiben. Mit wenigen Ausnahmen war z, B. die Neu-Uorker<lb/> Presse anfangs den Secessionisten günstig und nur die Furcht vor dem Unwillen<lb/> der Bevölkerung zwang sie, mit Lincoln und seiner Partei zu gehen; so gab<lb/> es im Süden manche Blätter, die dem Bürgerkriege abgeneigt, feindlich wa¬<lb/> ren, aber gleichfalls ihre Stimme erstickten aus Furcht vor dem Unwillen der<lb/> Sclavenhalter. Die gesammte deutsche Presse in der Union allein ist frei von<lb/> jedem Vorwurf, auch nur einmal mit den Südstaaten geliebäugelt zu haben,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0515]
nach den Vereinigten Staaten gesandten Zeitungen und periodischen Blätter,
in einer Zeit wo bei uns keine nennenswerthen Ereignisse vorgingen, und man
wird das von uns behauptete bewahrheitet finden. So brachten z, B. 1856
die Bremer Postdampfer 23.16S Zeitungen und die preußischen 63,131 her¬
über; 1861 gingen über Bremen 26,263. über Hamburg 7899 und mit den
preußischen Dampfern 84,923 Zeitungen nach den Vereinigten Staaten; diese
Zahlen genügen, um einen annähernden Begriff von der Menge der deutschen
Zeitungen zu geben, die während unseres großen Krieges hinübergegangen.
Mit der Haltung der amerikanischen Presse während des großen Bürger¬
krieges fällt auch die scheinbar paradoxe Frage zusammen, ob die Presse in
der Union eine freie sei. Gesetzliche Fesseln binden allerdings die amerikani¬
schen Journale nicht, dafür aber sind sie alle in absoluter Abhän¬
gigkeit von einem capriciösen und despotischen Meister, dem Publikum. Was
die Größe und den Adel der Zeitungs-Literatur ausmacht, das ist die Mission,
welche der Journalist hat, die öffentliche Meinung aufzuklären, zu lenken und
sie zur Wahrheit zurückzuführen, wenn sie verirrt ist. Unglücklicher Weise ist
das Publikum sehr schnell mit seinem Urtheil bei der Hand; es gehorcht mehr
seinem Jnstinct, als der Vernunft und es gehört Zeit dazu, es zu enttäuschen.
Diese Zeit aber mangelt der amerikanischen Presse stets. Da sie keine Abon¬
nenten besitzt, so hat sie nicht, wie die europäischen Journale, eine feste Kund¬
schaft, welche ihre Existenz während einer Krisis sichern könnte; sie lebt von
einem Tag zum andern vom Verkauf ihrer Nummern: sobald die unzufriedene
Menge das Blatt verläßt, welches der Gegenstand seiner Vorliebe war, so¬
bald die Agenten und Colporteure ihre Käufe verringern, steht die Hungers¬
noth vor der Thür und das Journal ist zum Stillschweigen verdammt, oder
muß seine Meinung ändern und mit den Wölfen heulen. Es giebt nicht
selten noch ein stärkeres Motiv, als die Furcht vor Ruin, dem es nachgeben
muß. Die Menge ist eben so absolutistisch wie der Despotismus, aber sie
hat nicht nöthig Wie jener zur Heuchelei ihre Zuflucht zu nehmen. Mehr
denn einmal hat man in den Vereinigten Staaten die Volksmenge die Bu-
reaux einer Zeitung stürmen und demoliren sehen, um dadurch einen Wider¬
spruch zum Schweigen zu bringen, der ihr mißfiel. Diesem Umstände hat
man vielfach die befremdende Parteinahme der Presse während des Bürger¬
krieges zuzuschreiben. Mit wenigen Ausnahmen war z, B. die Neu-Uorker
Presse anfangs den Secessionisten günstig und nur die Furcht vor dem Unwillen
der Bevölkerung zwang sie, mit Lincoln und seiner Partei zu gehen; so gab
es im Süden manche Blätter, die dem Bürgerkriege abgeneigt, feindlich wa¬
ren, aber gleichfalls ihre Stimme erstickten aus Furcht vor dem Unwillen der
Sclavenhalter. Die gesammte deutsche Presse in der Union allein ist frei von
jedem Vorwurf, auch nur einmal mit den Südstaaten geliebäugelt zu haben,
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