Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kosten bei den amerikanischen Journalen sind sehr bedeutend. Wenn auch
die Redactionen verhältnißmäßig billiger sind, wie bei den europäischen, so
kosten doch die vielen telegraphischen Depeschen, mit denen ihre Spalten an¬
gefüllt sind, gewaltige Summen. Die S New-Uorker Journale zu 2 Cents
verbanden sich, um gemeinschaftlich die Analyse der Congreßdebatten zu Wa¬
shington, die Berichterstattung der gesetzgebenden Versammlung zu Albany,
Nachrichten über den Ausfall der Wahlen u. f. w. kommen zu lassen, wofür
sich die Ausgaben jährlich auf 100,000 Dollars beliefen: dies aber befreite
kein Journal, noch außerdem starke Summen für Privatdepeschen auszugeben,
welche ihm von seinen Korrespondenten eingesandt werden. Nächst den tele¬
graphischen Depeschen ist die Ausgabe der Journale in den Vereinigten Staa¬
ten für ihre Korrespondenten die größte. Nicht nur haben sie an allen
Hauptplätzen des Territoriums ihre Berichterstatter, mit der Mission, sogleich
zum Telegraphen zu eilen, sobald irgend ein Ereigniß von Bedeutung statt¬
findet, sondern sie haben ebenso auch in Europa und in allen bedeutenden
Städten Südamerika's feste Korrespondenten. Die großen englischen Journale
begnügen sich mit täglichen Nachrichten von den Hauptplätzen Europa's: ein
amerikanisches Journal ist ein Panorama der ganzen Welt, es registrirt, was
in Brasilien, Peru und Chili vorgeht, mit derselben Genauigkeit, wie die
Nachrichten aus Paris und London, und ein Brief aus China folgt oft einem
aus Constantinopel.

Wir haben nun noch einen Blick auf die moralische Stellung der Presse
in den Vereinigten Staaten zu werfen. Als Instrument der Oeffentlichkeit
spielt die amerikanische Presse eine großartige Rolle: man kann sagen, daß
sie ein Lebensbedürfniß der Nation ist, und daß sie den nothwendigen Schlu߬
stein ihrer politischen Institutionen bildet. Die Presse allein belebt das immense
Wahlsystem, sie allein regt zum Wahlkampf an, ohne welchen die Wahlen zu
einer reinen Formalität ausarten würden, und unterhält denselben mit allem
Feuer der Beredtsamkeit, sie allein ruft das Volk zur Wahlurne, indem sie an
Namen eine Bedeutung heftet, oder irgend eine Ernennung mit dem Triumph
einer Idee, oder einer Partei verbindet. Von einem anderen Gesichtspunkte aus
hat das Journal nicht weniger Einfluß: Lectüre der arbeitenden Klassen, ist
es der große Erzieher des Volkes, derjenige, welcher die Arbeiter in ihren
Rechten unterweise, welcher sie leitet in der Ausübung ihrer bürgerlichen
Rechte, der sie aufklärt über die Menschen und die Sachen, der für sie kämpft,
aber auch gar häusig ihre Vorurtheile bestärkt. Wer in einem Lande, wo
das allgemeine Stimmrecht gilt, über die Massen verfügt, der ist Meister der
Situation und der nationalen Geschicke; daher kommt denn auch, daß die
Mehrzahl der Presse darin übereinstimmt, die Nation in irgend einen Weg
hineinzutreiben, sei es in den Krieg oder Frieden, sei es zur Annectirung von


Kosten bei den amerikanischen Journalen sind sehr bedeutend. Wenn auch
die Redactionen verhältnißmäßig billiger sind, wie bei den europäischen, so
kosten doch die vielen telegraphischen Depeschen, mit denen ihre Spalten an¬
gefüllt sind, gewaltige Summen. Die S New-Uorker Journale zu 2 Cents
verbanden sich, um gemeinschaftlich die Analyse der Congreßdebatten zu Wa¬
shington, die Berichterstattung der gesetzgebenden Versammlung zu Albany,
Nachrichten über den Ausfall der Wahlen u. f. w. kommen zu lassen, wofür
sich die Ausgaben jährlich auf 100,000 Dollars beliefen: dies aber befreite
kein Journal, noch außerdem starke Summen für Privatdepeschen auszugeben,
welche ihm von seinen Korrespondenten eingesandt werden. Nächst den tele¬
graphischen Depeschen ist die Ausgabe der Journale in den Vereinigten Staa¬
ten für ihre Korrespondenten die größte. Nicht nur haben sie an allen
Hauptplätzen des Territoriums ihre Berichterstatter, mit der Mission, sogleich
zum Telegraphen zu eilen, sobald irgend ein Ereigniß von Bedeutung statt¬
findet, sondern sie haben ebenso auch in Europa und in allen bedeutenden
Städten Südamerika's feste Korrespondenten. Die großen englischen Journale
begnügen sich mit täglichen Nachrichten von den Hauptplätzen Europa's: ein
amerikanisches Journal ist ein Panorama der ganzen Welt, es registrirt, was
in Brasilien, Peru und Chili vorgeht, mit derselben Genauigkeit, wie die
Nachrichten aus Paris und London, und ein Brief aus China folgt oft einem
aus Constantinopel.

Wir haben nun noch einen Blick auf die moralische Stellung der Presse
in den Vereinigten Staaten zu werfen. Als Instrument der Oeffentlichkeit
spielt die amerikanische Presse eine großartige Rolle: man kann sagen, daß
sie ein Lebensbedürfniß der Nation ist, und daß sie den nothwendigen Schlu߬
stein ihrer politischen Institutionen bildet. Die Presse allein belebt das immense
Wahlsystem, sie allein regt zum Wahlkampf an, ohne welchen die Wahlen zu
einer reinen Formalität ausarten würden, und unterhält denselben mit allem
Feuer der Beredtsamkeit, sie allein ruft das Volk zur Wahlurne, indem sie an
Namen eine Bedeutung heftet, oder irgend eine Ernennung mit dem Triumph
einer Idee, oder einer Partei verbindet. Von einem anderen Gesichtspunkte aus
hat das Journal nicht weniger Einfluß: Lectüre der arbeitenden Klassen, ist
es der große Erzieher des Volkes, derjenige, welcher die Arbeiter in ihren
Rechten unterweise, welcher sie leitet in der Ausübung ihrer bürgerlichen
Rechte, der sie aufklärt über die Menschen und die Sachen, der für sie kämpft,
aber auch gar häusig ihre Vorurtheile bestärkt. Wer in einem Lande, wo
das allgemeine Stimmrecht gilt, über die Massen verfügt, der ist Meister der
Situation und der nationalen Geschicke; daher kommt denn auch, daß die
Mehrzahl der Presse darin übereinstimmt, die Nation in irgend einen Weg
hineinzutreiben, sei es in den Krieg oder Frieden, sei es zur Annectirung von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126787"/>
          <p xml:id="ID_1538" prev="#ID_1537"> Kosten bei den amerikanischen Journalen sind sehr bedeutend. Wenn auch<lb/>
die Redactionen verhältnißmäßig billiger sind, wie bei den europäischen, so<lb/>
kosten doch die vielen telegraphischen Depeschen, mit denen ihre Spalten an¬<lb/>
gefüllt sind, gewaltige Summen. Die S New-Uorker Journale zu 2 Cents<lb/>
verbanden sich, um gemeinschaftlich die Analyse der Congreßdebatten zu Wa¬<lb/>
shington, die Berichterstattung der gesetzgebenden Versammlung zu Albany,<lb/>
Nachrichten über den Ausfall der Wahlen u. f. w. kommen zu lassen, wofür<lb/>
sich die Ausgaben jährlich auf 100,000 Dollars beliefen: dies aber befreite<lb/>
kein Journal, noch außerdem starke Summen für Privatdepeschen auszugeben,<lb/>
welche ihm von seinen Korrespondenten eingesandt werden. Nächst den tele¬<lb/>
graphischen Depeschen ist die Ausgabe der Journale in den Vereinigten Staa¬<lb/>
ten für ihre Korrespondenten die größte. Nicht nur haben sie an allen<lb/>
Hauptplätzen des Territoriums ihre Berichterstatter, mit der Mission, sogleich<lb/>
zum Telegraphen zu eilen, sobald irgend ein Ereigniß von Bedeutung statt¬<lb/>
findet, sondern sie haben ebenso auch in Europa und in allen bedeutenden<lb/>
Städten Südamerika's feste Korrespondenten. Die großen englischen Journale<lb/>
begnügen sich mit täglichen Nachrichten von den Hauptplätzen Europa's: ein<lb/>
amerikanisches Journal ist ein Panorama der ganzen Welt, es registrirt, was<lb/>
in Brasilien, Peru und Chili vorgeht, mit derselben Genauigkeit, wie die<lb/>
Nachrichten aus Paris und London, und ein Brief aus China folgt oft einem<lb/>
aus Constantinopel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1539" next="#ID_1540"> Wir haben nun noch einen Blick auf die moralische Stellung der Presse<lb/>
in den Vereinigten Staaten zu werfen. Als Instrument der Oeffentlichkeit<lb/>
spielt die amerikanische Presse eine großartige Rolle: man kann sagen, daß<lb/>
sie ein Lebensbedürfniß der Nation ist, und daß sie den nothwendigen Schlu߬<lb/>
stein ihrer politischen Institutionen bildet. Die Presse allein belebt das immense<lb/>
Wahlsystem, sie allein regt zum Wahlkampf an, ohne welchen die Wahlen zu<lb/>
einer reinen Formalität ausarten würden, und unterhält denselben mit allem<lb/>
Feuer der Beredtsamkeit, sie allein ruft das Volk zur Wahlurne, indem sie an<lb/>
Namen eine Bedeutung heftet, oder irgend eine Ernennung mit dem Triumph<lb/>
einer Idee, oder einer Partei verbindet. Von einem anderen Gesichtspunkte aus<lb/>
hat das Journal nicht weniger Einfluß: Lectüre der arbeitenden Klassen, ist<lb/>
es der große Erzieher des Volkes, derjenige, welcher die Arbeiter in ihren<lb/>
Rechten unterweise, welcher sie leitet in der Ausübung ihrer bürgerlichen<lb/>
Rechte, der sie aufklärt über die Menschen und die Sachen, der für sie kämpft,<lb/>
aber auch gar häusig ihre Vorurtheile bestärkt. Wer in einem Lande, wo<lb/>
das allgemeine Stimmrecht gilt, über die Massen verfügt, der ist Meister der<lb/>
Situation und der nationalen Geschicke; daher kommt denn auch, daß die<lb/>
Mehrzahl der Presse darin übereinstimmt, die Nation in irgend einen Weg<lb/>
hineinzutreiben, sei es in den Krieg oder Frieden, sei es zur Annectirung von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0511] Kosten bei den amerikanischen Journalen sind sehr bedeutend. Wenn auch die Redactionen verhältnißmäßig billiger sind, wie bei den europäischen, so kosten doch die vielen telegraphischen Depeschen, mit denen ihre Spalten an¬ gefüllt sind, gewaltige Summen. Die S New-Uorker Journale zu 2 Cents verbanden sich, um gemeinschaftlich die Analyse der Congreßdebatten zu Wa¬ shington, die Berichterstattung der gesetzgebenden Versammlung zu Albany, Nachrichten über den Ausfall der Wahlen u. f. w. kommen zu lassen, wofür sich die Ausgaben jährlich auf 100,000 Dollars beliefen: dies aber befreite kein Journal, noch außerdem starke Summen für Privatdepeschen auszugeben, welche ihm von seinen Korrespondenten eingesandt werden. Nächst den tele¬ graphischen Depeschen ist die Ausgabe der Journale in den Vereinigten Staa¬ ten für ihre Korrespondenten die größte. Nicht nur haben sie an allen Hauptplätzen des Territoriums ihre Berichterstatter, mit der Mission, sogleich zum Telegraphen zu eilen, sobald irgend ein Ereigniß von Bedeutung statt¬ findet, sondern sie haben ebenso auch in Europa und in allen bedeutenden Städten Südamerika's feste Korrespondenten. Die großen englischen Journale begnügen sich mit täglichen Nachrichten von den Hauptplätzen Europa's: ein amerikanisches Journal ist ein Panorama der ganzen Welt, es registrirt, was in Brasilien, Peru und Chili vorgeht, mit derselben Genauigkeit, wie die Nachrichten aus Paris und London, und ein Brief aus China folgt oft einem aus Constantinopel. Wir haben nun noch einen Blick auf die moralische Stellung der Presse in den Vereinigten Staaten zu werfen. Als Instrument der Oeffentlichkeit spielt die amerikanische Presse eine großartige Rolle: man kann sagen, daß sie ein Lebensbedürfniß der Nation ist, und daß sie den nothwendigen Schlu߬ stein ihrer politischen Institutionen bildet. Die Presse allein belebt das immense Wahlsystem, sie allein regt zum Wahlkampf an, ohne welchen die Wahlen zu einer reinen Formalität ausarten würden, und unterhält denselben mit allem Feuer der Beredtsamkeit, sie allein ruft das Volk zur Wahlurne, indem sie an Namen eine Bedeutung heftet, oder irgend eine Ernennung mit dem Triumph einer Idee, oder einer Partei verbindet. Von einem anderen Gesichtspunkte aus hat das Journal nicht weniger Einfluß: Lectüre der arbeitenden Klassen, ist es der große Erzieher des Volkes, derjenige, welcher die Arbeiter in ihren Rechten unterweise, welcher sie leitet in der Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte, der sie aufklärt über die Menschen und die Sachen, der für sie kämpft, aber auch gar häusig ihre Vorurtheile bestärkt. Wer in einem Lande, wo das allgemeine Stimmrecht gilt, über die Massen verfügt, der ist Meister der Situation und der nationalen Geschicke; daher kommt denn auch, daß die Mehrzahl der Presse darin übereinstimmt, die Nation in irgend einen Weg hineinzutreiben, sei es in den Krieg oder Frieden, sei es zur Annectirung von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/511
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/511>, abgerufen am 25.07.2024.