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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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schwindet die Bedeutung dieser Zeitungen vor jener der Hauptblätter der großen
Städte des Littorals. Der Grund, warum in den Bereinigten Staaten kein
Journal sich die Rolle eines der großen Londoner oder Pariser Blätter hat
zueignen können, noch dessen Bedeutung gewinnen, liegt in den ganz beson¬
deren Bedingungen, in welche sich die amerikanische Presse versetzt sieht, Be¬
dingungen, zu denen man noch eine große Concurrenz hinzurechnen muß,
welche außerordentlich activ gemacht wird durch die Abwesenheit aller legis¬
lativer Hemmschuhe, jeglicher Besteuerung und die Leichtigkeit, ein Journal
ohne große Geldmittel zu gründen. New-Uork mit seiner Vorstadt Brooklyn
zählt nicht mehr denn eine Million Seelen und hat doch heute Is Tages¬
blätter, also mehr als London und Paris. Diese 15 Journale haben eine
Vertheilung von ungefähr 130,000 Blättern pro Tag; 6 Journale zu 1 und
2 Cents absorbiren allein ^/z dieser Ziffern, was für die größeren Journale
nicht mehr als 5 oder 6000 Abzüge gibt. Boston mit 177,000 Einwohnern
zählt 13 Tagesblätter; Philadelphia, mit 662.000, 10, und Baltimore, mit
210,000, 6 Journale. Man kann den Abdruck der beiden Hauptjournale
von Philadelphia auf höchstens 13-- 17,000 annehmen; kein Blatt zu Boston
hat einen größeren Absatz als 10,000 Exemplare. In den Südstaaten, wo
die Population weniger dicht ist, sind auch die Zeitungen weniger zahlreich
und weniger verbreitet, als im Norden. Der gewöhnliche Preis der großen
Tagesblätter war bis 1833 6 Cents (2V2 Sgr.) für die Nummer. Zu die¬
sem Preise abgegeben, vermochte ein Journal, das etwa 1000 Abonnenten
und einige Annoncen hatte, seine Auslagen zu bestreiten. Aber aus einer
Industrie, welche nur geringen Nutzen abwarf, bei welcher aber auch die
Chancen des Verlustes fast Null waren, haben heute die billigen Journale
eine precäre Industrie geschaffen. Ihre Concurrenz hat die großen Journale
verpflichtet, ihre Preise auf 3 oder 4 Cents herabzusetzen. Das Abonnement,
welches früher die allgemeine Regel war, ist heute Ausnahme, und hierin
liegt der radicalste Wechsel, den die Journale "für die Million" in die Lage
der amerikanischen Presse gebracht haben; heute macht sich der Verkauf haupt¬
sächlich durch Colporteure und durch Agenten. Den Preis bis an die äußerste
Grenze der Billigkeit herabzuschrauben und dadurch den Käufer anzulocken,
vom Verkauf, selbst von einem bedeutenden, nichts weiter zu erzielen als die
Deckung der Unkosten und den Verdienst einzig und allein in den Annoncen
zu suchen, das waren die leitenden Principien bei der Umformung der ame¬
rikanischen Presse, welche 1833 begann und in den vierziger Jahren endigte.
Der New - Uork Herald, die Tribune und der Sun, besonders das letzte Blatt,
sind die Gewinner in dieser großen Concurrenz; letzteres setzt täglich über
30,000 Exemplare ab, die ersten beiden gegen 30,000, was, da sie 2 Cents
kosten, einer Einnahme von 60,000 Exemplaren des Sun gleich kommt. Die


schwindet die Bedeutung dieser Zeitungen vor jener der Hauptblätter der großen
Städte des Littorals. Der Grund, warum in den Bereinigten Staaten kein
Journal sich die Rolle eines der großen Londoner oder Pariser Blätter hat
zueignen können, noch dessen Bedeutung gewinnen, liegt in den ganz beson¬
deren Bedingungen, in welche sich die amerikanische Presse versetzt sieht, Be¬
dingungen, zu denen man noch eine große Concurrenz hinzurechnen muß,
welche außerordentlich activ gemacht wird durch die Abwesenheit aller legis¬
lativer Hemmschuhe, jeglicher Besteuerung und die Leichtigkeit, ein Journal
ohne große Geldmittel zu gründen. New-Uork mit seiner Vorstadt Brooklyn
zählt nicht mehr denn eine Million Seelen und hat doch heute Is Tages¬
blätter, also mehr als London und Paris. Diese 15 Journale haben eine
Vertheilung von ungefähr 130,000 Blättern pro Tag; 6 Journale zu 1 und
2 Cents absorbiren allein ^/z dieser Ziffern, was für die größeren Journale
nicht mehr als 5 oder 6000 Abzüge gibt. Boston mit 177,000 Einwohnern
zählt 13 Tagesblätter; Philadelphia, mit 662.000, 10, und Baltimore, mit
210,000, 6 Journale. Man kann den Abdruck der beiden Hauptjournale
von Philadelphia auf höchstens 13— 17,000 annehmen; kein Blatt zu Boston
hat einen größeren Absatz als 10,000 Exemplare. In den Südstaaten, wo
die Population weniger dicht ist, sind auch die Zeitungen weniger zahlreich
und weniger verbreitet, als im Norden. Der gewöhnliche Preis der großen
Tagesblätter war bis 1833 6 Cents (2V2 Sgr.) für die Nummer. Zu die¬
sem Preise abgegeben, vermochte ein Journal, das etwa 1000 Abonnenten
und einige Annoncen hatte, seine Auslagen zu bestreiten. Aber aus einer
Industrie, welche nur geringen Nutzen abwarf, bei welcher aber auch die
Chancen des Verlustes fast Null waren, haben heute die billigen Journale
eine precäre Industrie geschaffen. Ihre Concurrenz hat die großen Journale
verpflichtet, ihre Preise auf 3 oder 4 Cents herabzusetzen. Das Abonnement,
welches früher die allgemeine Regel war, ist heute Ausnahme, und hierin
liegt der radicalste Wechsel, den die Journale „für die Million" in die Lage
der amerikanischen Presse gebracht haben; heute macht sich der Verkauf haupt¬
sächlich durch Colporteure und durch Agenten. Den Preis bis an die äußerste
Grenze der Billigkeit herabzuschrauben und dadurch den Käufer anzulocken,
vom Verkauf, selbst von einem bedeutenden, nichts weiter zu erzielen als die
Deckung der Unkosten und den Verdienst einzig und allein in den Annoncen
zu suchen, das waren die leitenden Principien bei der Umformung der ame¬
rikanischen Presse, welche 1833 begann und in den vierziger Jahren endigte.
Der New - Uork Herald, die Tribune und der Sun, besonders das letzte Blatt,
sind die Gewinner in dieser großen Concurrenz; letzteres setzt täglich über
30,000 Exemplare ab, die ersten beiden gegen 30,000, was, da sie 2 Cents
kosten, einer Einnahme von 60,000 Exemplaren des Sun gleich kommt. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/510>, abgerufen am 25.07.2024.