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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Krieges den oft wankenden Muth ihrer Bürger aufrecht, und als man nach
dem Siege eine neue Regierung gründen mußte, da wandte man sich an sie.
Ungesäumt legten sie die Feder nieder, um Congreßmitglieder zu werden, wie
Caroll. Jay, Madison; oder Gesandte, wie Franklin und Adams; oder
Minister, wie Jefferson und Hamilton; der Platz aber, den sie in der Presse
frei ließen, wurde nicht wieder ausgefüllt. Gebildete, gut erzogene Personen,
fähig die öffentlichen Geschäfte zu leiten, waren in den Colonien in nur ge¬
ringer Anzahl vorhanden: ein großer Theil der gebildeten Klassen hatte sich
gegen die Revolution erklärt und fast der ganze Juristenstand und der Clerus
waren ausgewandert oder als "Loyalisten" verschrien und verbannt. Die
junge Republik hatte also nicht zuviel jener Männer, welche die Sache
des Volkes zu der ihrigen gemacht hatten und die sie nun für die Regierung,
die gesetzgebenden Körper und die Provinzialversammlungen nöthig hatte,
weßhalb die Rekrutirung für die Presse von Tag zu Tag schlechter wurde.
Aber die Journale sielen nicht nur aus den Händen der Häupter der Revo-
tion in die obscurer Satelliten oder reiner Speculanten, auch die Fragen,
welche der Journalismus zu behandeln hatte, verloren in derselben Zeit an
Bedeutung und Interesse. Es handelte sich nun nicht mehr um das Heil der
Nation, oder um die durch den Sieg geheiligten öffentlichen Freiheiten; die
Parteikämpfe mit ihrem Gefolge von niedrigen Leidenschaften und dunklen
Intriguen nahmen nun den ersten Rang ein, und die Rivalitäten zwischen
Personen traten in heftiger Polemik an's Tageslicht. Außerdem nahmen die
inneren Angelegenheiten der 13 kleinen Staaten, welche die Conföderation
ausmachten, in den Journalen einen immer hervorragenderen Platz ein, und
die provinzialen Streitigkeiten, alle Zeit so fruchtbar an Feindschaften und
Scandalen, endigten damit, der amerikanischen Presse ihre moralische Auto¬
rität und ihre ehemalige Würde zu rauben. Vielfache Stimmen jedoch er¬
hoben sich und protestirten laut im Namen der Literatur gegen einen solchen
Verfall, einen solchen Mißbrauch der Presse. Männer wie Hopkinson und
Franklin ließen ihren Mahnruf erschallen, doch vergebens, die amerikanische
Presse war von ihrem Piedestal herabgestiegen. Doch ungeachtet der mannig¬
fachen Excesse, welche alle Gebildeten und alle guten Bürger betrübten, würde
man sehr unrecht thun, wenn man alle amerikanischen Journale mit ein und
demselben Verdammungsurtheil treffen wollte: gar manche unter ihnen hörten
nicht auf, große Dienste zu leisten und auch zahlreiche Tage hohen Glanzes
kann man in dieser Zeit schnellen Verfalls entdecken.

Die Presse schuldet dies vor allem Alexander Hamilton, der im Kampf¬
gewühl der Parteien und fast niedergedrückt durch seine zahlreichen politischen
Beschäftigungen, dennoch Zeit fand zu schreiben, und seine Mitbürger aufzu-


Grenzboten II. 1871. 63

Krieges den oft wankenden Muth ihrer Bürger aufrecht, und als man nach
dem Siege eine neue Regierung gründen mußte, da wandte man sich an sie.
Ungesäumt legten sie die Feder nieder, um Congreßmitglieder zu werden, wie
Caroll. Jay, Madison; oder Gesandte, wie Franklin und Adams; oder
Minister, wie Jefferson und Hamilton; der Platz aber, den sie in der Presse
frei ließen, wurde nicht wieder ausgefüllt. Gebildete, gut erzogene Personen,
fähig die öffentlichen Geschäfte zu leiten, waren in den Colonien in nur ge¬
ringer Anzahl vorhanden: ein großer Theil der gebildeten Klassen hatte sich
gegen die Revolution erklärt und fast der ganze Juristenstand und der Clerus
waren ausgewandert oder als „Loyalisten" verschrien und verbannt. Die
junge Republik hatte also nicht zuviel jener Männer, welche die Sache
des Volkes zu der ihrigen gemacht hatten und die sie nun für die Regierung,
die gesetzgebenden Körper und die Provinzialversammlungen nöthig hatte,
weßhalb die Rekrutirung für die Presse von Tag zu Tag schlechter wurde.
Aber die Journale sielen nicht nur aus den Händen der Häupter der Revo-
tion in die obscurer Satelliten oder reiner Speculanten, auch die Fragen,
welche der Journalismus zu behandeln hatte, verloren in derselben Zeit an
Bedeutung und Interesse. Es handelte sich nun nicht mehr um das Heil der
Nation, oder um die durch den Sieg geheiligten öffentlichen Freiheiten; die
Parteikämpfe mit ihrem Gefolge von niedrigen Leidenschaften und dunklen
Intriguen nahmen nun den ersten Rang ein, und die Rivalitäten zwischen
Personen traten in heftiger Polemik an's Tageslicht. Außerdem nahmen die
inneren Angelegenheiten der 13 kleinen Staaten, welche die Conföderation
ausmachten, in den Journalen einen immer hervorragenderen Platz ein, und
die provinzialen Streitigkeiten, alle Zeit so fruchtbar an Feindschaften und
Scandalen, endigten damit, der amerikanischen Presse ihre moralische Auto¬
rität und ihre ehemalige Würde zu rauben. Vielfache Stimmen jedoch er¬
hoben sich und protestirten laut im Namen der Literatur gegen einen solchen
Verfall, einen solchen Mißbrauch der Presse. Männer wie Hopkinson und
Franklin ließen ihren Mahnruf erschallen, doch vergebens, die amerikanische
Presse war von ihrem Piedestal herabgestiegen. Doch ungeachtet der mannig¬
fachen Excesse, welche alle Gebildeten und alle guten Bürger betrübten, würde
man sehr unrecht thun, wenn man alle amerikanischen Journale mit ein und
demselben Verdammungsurtheil treffen wollte: gar manche unter ihnen hörten
nicht auf, große Dienste zu leisten und auch zahlreiche Tage hohen Glanzes
kann man in dieser Zeit schnellen Verfalls entdecken.

Die Presse schuldet dies vor allem Alexander Hamilton, der im Kampf¬
gewühl der Parteien und fast niedergedrückt durch seine zahlreichen politischen
Beschäftigungen, dennoch Zeit fand zu schreiben, und seine Mitbürger aufzu-


Grenzboten II. 1871. 63
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[0505] Krieges den oft wankenden Muth ihrer Bürger aufrecht, und als man nach dem Siege eine neue Regierung gründen mußte, da wandte man sich an sie. Ungesäumt legten sie die Feder nieder, um Congreßmitglieder zu werden, wie Caroll. Jay, Madison; oder Gesandte, wie Franklin und Adams; oder Minister, wie Jefferson und Hamilton; der Platz aber, den sie in der Presse frei ließen, wurde nicht wieder ausgefüllt. Gebildete, gut erzogene Personen, fähig die öffentlichen Geschäfte zu leiten, waren in den Colonien in nur ge¬ ringer Anzahl vorhanden: ein großer Theil der gebildeten Klassen hatte sich gegen die Revolution erklärt und fast der ganze Juristenstand und der Clerus waren ausgewandert oder als „Loyalisten" verschrien und verbannt. Die junge Republik hatte also nicht zuviel jener Männer, welche die Sache des Volkes zu der ihrigen gemacht hatten und die sie nun für die Regierung, die gesetzgebenden Körper und die Provinzialversammlungen nöthig hatte, weßhalb die Rekrutirung für die Presse von Tag zu Tag schlechter wurde. Aber die Journale sielen nicht nur aus den Händen der Häupter der Revo- tion in die obscurer Satelliten oder reiner Speculanten, auch die Fragen, welche der Journalismus zu behandeln hatte, verloren in derselben Zeit an Bedeutung und Interesse. Es handelte sich nun nicht mehr um das Heil der Nation, oder um die durch den Sieg geheiligten öffentlichen Freiheiten; die Parteikämpfe mit ihrem Gefolge von niedrigen Leidenschaften und dunklen Intriguen nahmen nun den ersten Rang ein, und die Rivalitäten zwischen Personen traten in heftiger Polemik an's Tageslicht. Außerdem nahmen die inneren Angelegenheiten der 13 kleinen Staaten, welche die Conföderation ausmachten, in den Journalen einen immer hervorragenderen Platz ein, und die provinzialen Streitigkeiten, alle Zeit so fruchtbar an Feindschaften und Scandalen, endigten damit, der amerikanischen Presse ihre moralische Auto¬ rität und ihre ehemalige Würde zu rauben. Vielfache Stimmen jedoch er¬ hoben sich und protestirten laut im Namen der Literatur gegen einen solchen Verfall, einen solchen Mißbrauch der Presse. Männer wie Hopkinson und Franklin ließen ihren Mahnruf erschallen, doch vergebens, die amerikanische Presse war von ihrem Piedestal herabgestiegen. Doch ungeachtet der mannig¬ fachen Excesse, welche alle Gebildeten und alle guten Bürger betrübten, würde man sehr unrecht thun, wenn man alle amerikanischen Journale mit ein und demselben Verdammungsurtheil treffen wollte: gar manche unter ihnen hörten nicht auf, große Dienste zu leisten und auch zahlreiche Tage hohen Glanzes kann man in dieser Zeit schnellen Verfalls entdecken. Die Presse schuldet dies vor allem Alexander Hamilton, der im Kampf¬ gewühl der Parteien und fast niedergedrückt durch seine zahlreichen politischen Beschäftigungen, dennoch Zeit fand zu schreiben, und seine Mitbürger aufzu- Grenzboten II. 1871. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/505>, abgerufen am 25.07.2024.