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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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ton, sodann Grün, Blau und Violett; Roth und Gelb treten erst in zweiter
Stelle hinzu. Nur einige spätere Scheiben zeigen die rothgoldene Gluth, wie
sie im 14. Jahrhundert üblich wurde. So das erste Fenster der ersten Ca-
pelle links. Nimmt man noch zwei Fenster der dritten Capelle links aus,
die modern sind und sowohl durch die Farben, wie durch die großen, ohne
Vermittlung hineingepflanzten Figuren, erschrecklich roh und verletzend inmit¬
ten der Harmonie der übrigen hervorspringen, so ist in allen den übrigen
jener lichte, milde Ton beobachtet. Ferner sind hier noch ganz mosaikartig
nur kleine Stückchen bunten Glases zusammengefügt, wodurch ein ungewöhn¬
licher teppichartiger Reichthum ornamentalen Details entsteht. Diese Eigen¬
thümlichkeiten der Mehrzahl dieser Glasscheiben verdanken vielleicht dem ge¬
ringeren Grade von technischer Entwicklung der damaligen Glasmalerei ihre
Entstehung, kommen aber dem Stile derselben nichts destoweniger sehr zu
Gute. Zumal in dieser ohnehin sparsam beleuchteten Kirche hätten feurige
und dunkle Töne auch noch das wenige Licht genommen; so bilden die lich¬
ten, doch harmonischen Scheiben einen prächtigen Contrast zur dunklen Kirche.

Während nun aber solche und ähnliche Betrachtungen an diesen Fenstern
angestellt wurden, fingen auch sie an, sich mehr und mehr zu verdunkeln. De߬
halb vereinigten wir uns Reisenden auf einer Bank und sahen zu, wie sich der
Altar von tausend Lichtern entzündete, und horchten den frommen Gesängen,
die vom geheimnißvollen Grunde des Chores her ertönten. Welche Schatten,
welche Perspectiven, welche Effecte! Die Menge strömte ein und aus, und
wir fühlten uns ganz in eine schöne und naive Scene des Mittelalters ver¬
setzt. Auch wir kehrten andächtig bei uns ein, wenn auch vielleicht jeder in
anderer Weise. Als wir hinaustraten, sahen wir schaarenweise die biedern
Landleute von dannen ziehen, während das liebliche Glockenspiel ihnen noch ein
Avemaria als letzten Scheidegruß dieser unvergeßlichen Stätte der Kunst und
Andacht nachsandte. Noch einen flüchtigen Blick auf den weiten Kreuzgang
des Klosterhofs, auf die schöne Straßenperspective daneben, sowie auf die
eben hinter den Bergen scheidende Sonne, und wir gingen nach dem Gasthof,
um unsere Vorbereitungen zur Abreise zu treffen.




ton, sodann Grün, Blau und Violett; Roth und Gelb treten erst in zweiter
Stelle hinzu. Nur einige spätere Scheiben zeigen die rothgoldene Gluth, wie
sie im 14. Jahrhundert üblich wurde. So das erste Fenster der ersten Ca-
pelle links. Nimmt man noch zwei Fenster der dritten Capelle links aus,
die modern sind und sowohl durch die Farben, wie durch die großen, ohne
Vermittlung hineingepflanzten Figuren, erschrecklich roh und verletzend inmit¬
ten der Harmonie der übrigen hervorspringen, so ist in allen den übrigen
jener lichte, milde Ton beobachtet. Ferner sind hier noch ganz mosaikartig
nur kleine Stückchen bunten Glases zusammengefügt, wodurch ein ungewöhn¬
licher teppichartiger Reichthum ornamentalen Details entsteht. Diese Eigen¬
thümlichkeiten der Mehrzahl dieser Glasscheiben verdanken vielleicht dem ge¬
ringeren Grade von technischer Entwicklung der damaligen Glasmalerei ihre
Entstehung, kommen aber dem Stile derselben nichts destoweniger sehr zu
Gute. Zumal in dieser ohnehin sparsam beleuchteten Kirche hätten feurige
und dunkle Töne auch noch das wenige Licht genommen; so bilden die lich¬
ten, doch harmonischen Scheiben einen prächtigen Contrast zur dunklen Kirche.

Während nun aber solche und ähnliche Betrachtungen an diesen Fenstern
angestellt wurden, fingen auch sie an, sich mehr und mehr zu verdunkeln. De߬
halb vereinigten wir uns Reisenden auf einer Bank und sahen zu, wie sich der
Altar von tausend Lichtern entzündete, und horchten den frommen Gesängen,
die vom geheimnißvollen Grunde des Chores her ertönten. Welche Schatten,
welche Perspectiven, welche Effecte! Die Menge strömte ein und aus, und
wir fühlten uns ganz in eine schöne und naive Scene des Mittelalters ver¬
setzt. Auch wir kehrten andächtig bei uns ein, wenn auch vielleicht jeder in
anderer Weise. Als wir hinaustraten, sahen wir schaarenweise die biedern
Landleute von dannen ziehen, während das liebliche Glockenspiel ihnen noch ein
Avemaria als letzten Scheidegruß dieser unvergeßlichen Stätte der Kunst und
Andacht nachsandte. Noch einen flüchtigen Blick auf den weiten Kreuzgang
des Klosterhofs, auf die schöne Straßenperspective daneben, sowie auf die
eben hinter den Bergen scheidende Sonne, und wir gingen nach dem Gasthof,
um unsere Vorbereitungen zur Abreise zu treffen.




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[0475] ton, sodann Grün, Blau und Violett; Roth und Gelb treten erst in zweiter Stelle hinzu. Nur einige spätere Scheiben zeigen die rothgoldene Gluth, wie sie im 14. Jahrhundert üblich wurde. So das erste Fenster der ersten Ca- pelle links. Nimmt man noch zwei Fenster der dritten Capelle links aus, die modern sind und sowohl durch die Farben, wie durch die großen, ohne Vermittlung hineingepflanzten Figuren, erschrecklich roh und verletzend inmit¬ ten der Harmonie der übrigen hervorspringen, so ist in allen den übrigen jener lichte, milde Ton beobachtet. Ferner sind hier noch ganz mosaikartig nur kleine Stückchen bunten Glases zusammengefügt, wodurch ein ungewöhn¬ licher teppichartiger Reichthum ornamentalen Details entsteht. Diese Eigen¬ thümlichkeiten der Mehrzahl dieser Glasscheiben verdanken vielleicht dem ge¬ ringeren Grade von technischer Entwicklung der damaligen Glasmalerei ihre Entstehung, kommen aber dem Stile derselben nichts destoweniger sehr zu Gute. Zumal in dieser ohnehin sparsam beleuchteten Kirche hätten feurige und dunkle Töne auch noch das wenige Licht genommen; so bilden die lich¬ ten, doch harmonischen Scheiben einen prächtigen Contrast zur dunklen Kirche. Während nun aber solche und ähnliche Betrachtungen an diesen Fenstern angestellt wurden, fingen auch sie an, sich mehr und mehr zu verdunkeln. De߬ halb vereinigten wir uns Reisenden auf einer Bank und sahen zu, wie sich der Altar von tausend Lichtern entzündete, und horchten den frommen Gesängen, die vom geheimnißvollen Grunde des Chores her ertönten. Welche Schatten, welche Perspectiven, welche Effecte! Die Menge strömte ein und aus, und wir fühlten uns ganz in eine schöne und naive Scene des Mittelalters ver¬ setzt. Auch wir kehrten andächtig bei uns ein, wenn auch vielleicht jeder in anderer Weise. Als wir hinaustraten, sahen wir schaarenweise die biedern Landleute von dannen ziehen, während das liebliche Glockenspiel ihnen noch ein Avemaria als letzten Scheidegruß dieser unvergeßlichen Stätte der Kunst und Andacht nachsandte. Noch einen flüchtigen Blick auf den weiten Kreuzgang des Klosterhofs, auf die schöne Straßenperspective daneben, sowie auf die eben hinter den Bergen scheidende Sonne, und wir gingen nach dem Gasthof, um unsere Vorbereitungen zur Abreise zu treffen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/475>, abgerufen am 24.07.2024.