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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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sogleich begannen, die einzelnen Sehenswürdigkeiten zu mustern und zu zer¬
gliedern.

Was zunächst die Fresken des Giotto, Buffalmaeo und des ganzen Ge¬
folges von Schülern Giotto's betrifft, so sei hier wiederum auf Crowe und
Cavalcaselle's Werk verwiesen; denn was nützt es, der ausführlichen Schilde¬
rung gegenüber, die dort allen diesen Malereien zu Theil wird, auf irgend
eine anmuthige Jungfrauengestalt, auf diesen oder jenen schönen Kopf, auf
diese oder jene drastische Bewegung und andere Vorzüge im Einzelnen hinzu¬
weisen? Genug, daß alle Wölbungen, alle Pfeiler und Capellen davon be¬
deckt sind. Auch den prunkvollen, vergoldeten Barokeinbauten von Kanzeln,
Treppen, Sängertribünen beim Chor, die trotz des verschiedenen Stils doch
so meisterhaft zum Ganzen stimmen und die malerischsten Blicke gewähren,
widmeten wir ebenso wie dem Hochaltar, der über dem Grabe des Heiligen
steht, nur eine summarische Aufmerksamkeit, da der größte Theil unsrer Zeit
von der Betrachtung der zahlreichen bemalten Glasfenster in Anspruch ge¬
nommen wurde, durch welche die Capellen und die ganze Kirche Licht erhal¬
ten. Dieselben sind in der That die reinsten und schönsten Muster für einen
echten Stil der Glasmalerei, die wir bis jetzt in Italien gesehen haben, und
zugleich wohl die ältesten. Sie lassen noch deutlich das ursprüngliche Motiv
durchblicken, aus welchem die bunten Glasscheiben des Mittelalters entstanden
sind, nämlich den vor die Fensteröffnungen gehängten Teppichen. Ob ihr
Ursprung wirklich aus dem Kloster Tegernsee herzuleiten sei, lassen wir dahin¬
gestellt. Ja, teppichartig allein dürfen solche Fenster behandelt sein, denn
man kann sich allenfalls gefallen lassen, daß dünne, durchsichtige Gewebe
den allzugroßen Andrang von Licht und Luft von der Lichtöffnung abwehren,
aber man findet thöricht, wenn Gemälde vor das letztere gestellt werden,
und um so thörichter, je schöner, je mehr diese für sich etwas sein, je mehr
sie sprechen wollen. Dann ist es eine Anmaßung von ihnen, die einzige
Stelle, von wo das Licht herkommt, mit ihren Reizen verstellen und oben¬
drein dasselbe zu einem Kampfe gegen sich selbst dienstbar machen zu wollen.

Auch in den Fenstern der Unterkirche von S. Francesco befinden sich
nun zwar Darstellungen von Figuren und Geschichten, allein nicht nur, daß
dieselben, wenigstens in der Mehrzahl und in den ältern gleichzeitig mit der
Kirche entstandenen, ganz architektonisch-conventionell, wie es sich an solcher
Stelle gebührt, behandelt sind, sondern sie nehmen auch immer nur einen
kleinen Raum ein gegenüber den sie umrahmenden geometrischen Figuren und
Blattornamenten. Sodann zeichnen sich die echten alten Fenster hier nicht
bloß durch eine höchst harmonische und noble Farbenzusammenstellung aus,
sondern es ist ihnen zugleich eine ruhige, fast kühle Stimmung eigen, die
dennoch keineswegs kalt oder hart erscheint. Weiß bildet meistens den Grund-


sogleich begannen, die einzelnen Sehenswürdigkeiten zu mustern und zu zer¬
gliedern.

Was zunächst die Fresken des Giotto, Buffalmaeo und des ganzen Ge¬
folges von Schülern Giotto's betrifft, so sei hier wiederum auf Crowe und
Cavalcaselle's Werk verwiesen; denn was nützt es, der ausführlichen Schilde¬
rung gegenüber, die dort allen diesen Malereien zu Theil wird, auf irgend
eine anmuthige Jungfrauengestalt, auf diesen oder jenen schönen Kopf, auf
diese oder jene drastische Bewegung und andere Vorzüge im Einzelnen hinzu¬
weisen? Genug, daß alle Wölbungen, alle Pfeiler und Capellen davon be¬
deckt sind. Auch den prunkvollen, vergoldeten Barokeinbauten von Kanzeln,
Treppen, Sängertribünen beim Chor, die trotz des verschiedenen Stils doch
so meisterhaft zum Ganzen stimmen und die malerischsten Blicke gewähren,
widmeten wir ebenso wie dem Hochaltar, der über dem Grabe des Heiligen
steht, nur eine summarische Aufmerksamkeit, da der größte Theil unsrer Zeit
von der Betrachtung der zahlreichen bemalten Glasfenster in Anspruch ge¬
nommen wurde, durch welche die Capellen und die ganze Kirche Licht erhal¬
ten. Dieselben sind in der That die reinsten und schönsten Muster für einen
echten Stil der Glasmalerei, die wir bis jetzt in Italien gesehen haben, und
zugleich wohl die ältesten. Sie lassen noch deutlich das ursprüngliche Motiv
durchblicken, aus welchem die bunten Glasscheiben des Mittelalters entstanden
sind, nämlich den vor die Fensteröffnungen gehängten Teppichen. Ob ihr
Ursprung wirklich aus dem Kloster Tegernsee herzuleiten sei, lassen wir dahin¬
gestellt. Ja, teppichartig allein dürfen solche Fenster behandelt sein, denn
man kann sich allenfalls gefallen lassen, daß dünne, durchsichtige Gewebe
den allzugroßen Andrang von Licht und Luft von der Lichtöffnung abwehren,
aber man findet thöricht, wenn Gemälde vor das letztere gestellt werden,
und um so thörichter, je schöner, je mehr diese für sich etwas sein, je mehr
sie sprechen wollen. Dann ist es eine Anmaßung von ihnen, die einzige
Stelle, von wo das Licht herkommt, mit ihren Reizen verstellen und oben¬
drein dasselbe zu einem Kampfe gegen sich selbst dienstbar machen zu wollen.

Auch in den Fenstern der Unterkirche von S. Francesco befinden sich
nun zwar Darstellungen von Figuren und Geschichten, allein nicht nur, daß
dieselben, wenigstens in der Mehrzahl und in den ältern gleichzeitig mit der
Kirche entstandenen, ganz architektonisch-conventionell, wie es sich an solcher
Stelle gebührt, behandelt sind, sondern sie nehmen auch immer nur einen
kleinen Raum ein gegenüber den sie umrahmenden geometrischen Figuren und
Blattornamenten. Sodann zeichnen sich die echten alten Fenster hier nicht
bloß durch eine höchst harmonische und noble Farbenzusammenstellung aus,
sondern es ist ihnen zugleich eine ruhige, fast kühle Stimmung eigen, die
dennoch keineswegs kalt oder hart erscheint. Weiß bildet meistens den Grund-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/474>, abgerufen am 24.07.2024.