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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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eine Erhöhung der Steuern zu vermeiden, erklärte er für ein Muster von
grober politischer und finanzieller Quacksalberei.

Disraeli trat jetzt auf. um seine Meinung dahin auszusprechen, daß die
Erhöhung der Einkommensteuer vor Allem nicht der Rettungsanker für ver¬
zweifelte und in Noth befindliche Minister werden dürfe. Als Gegenvorschläge
empfahl er, die Abschaffung des Stellenkaufs in der Armee und die Uebergabe
der Häusersteuer zu den Communalabgaben fallen zu lassen, und versprach,
wenn man in diesen Punkten nachgebe, alles Mögliche bei der Einkommen¬
steuer zu bewilligen. Als es zur Abstimmung kam, wurde der Antrag Smith
mit 335 gegen 230 Stimmen abgelehnt. Aber es war damit der Widerstand
noch nicht beseitigt, denn jetzt wurde nur der von conservativer Seite gerü¬
stete Angriff zurückgeschlagen, während am 6. Mai ein Feind bekämpft werden
sollte, der sich zum Theil aus den Reihen der Partei des Ministeriums ge¬
bildet hatte. Das liberale Mitglied M'Cullagh Torrens stellte den Antrag,
die Einkommensteuer nicht auf 6. sondern auf 5 Pence zu erhöhen, und den
Ausfall durch einjährige Unterbrechung in der Tilgung der Zeitrenten zu
decken, welche sich in den Händen der Staatsschulden-Commission befinden.
Uebrigens behauptete er, daß die nothwendigen Bedürfnisse des Staates für
das nächste Jahr mit Hülfe der Fünfpencesteuer zu befriedigen seien, wenn
man in billiger Weise die überschießenden Kosten auf mehrere Jahre vertheile.
James White und mehrere andere Redner unterstützten den Antrag, aber nur
die unabhängigen Mitglieder der liberalen Partei wagten beizustimmen. da
die übrigen den Rücktritt des Ministeriums fürchten mußten. Als über den
Antrag Torrens abgestimmt wurde. hatte dieser 248 Stimmen für sich. aber
das Ministerium deren 294. also immer noch eine geringe Majorität.

Es war jetzt einerseits nach den lebhaften Kämpfen, aus denen die Mi¬
nister doch immer noch siegreich hervorgingen, eine Erschlaffung eingetreten,
andrerseits fürchtete man mit einer Fortsetzung des Streites zu viel Zeit zu
verlieren. Demnach war zu erwarten, daß die Vorlagen, nachdem sie in den
Comites durchberathen, wahrscheinlich angenommen werden würden. Doch
war das Ministerium davon, nachdem seine Majorität bei den letzten Debat¬
ten in wenigen Tagen von 85 auf 46 Stimmen herabgegangen, noch nicht
vollständig überzeugt, es mußte also immer fürchten, daß dieselbe einmal auf
Null herabsinken könnte. Nach Verlauf von zwei Monaten kam die Heeres-
reformbill im Unterhause endlich zur dritten Lesung. Diesmal wurde von
Duttlas der Antrag eingebracht, dieselbe zu verwerfen; er wurde jedoch mit
einer den früheren Abstimmungen entsprechenden Majorität, mit 289 gegen
231 Stimmen am 3. Juli abgelehnt. Mit Ausnahme des Organs der
Tories, des Standard, welcher die Folgen der Bill in sehr trübem Lichte dar¬
stellte und Befürchtungen aussprach, daß man die gefährlichste Menschenclasse


Grenzboten II. 1871. 58

eine Erhöhung der Steuern zu vermeiden, erklärte er für ein Muster von
grober politischer und finanzieller Quacksalberei.

Disraeli trat jetzt auf. um seine Meinung dahin auszusprechen, daß die
Erhöhung der Einkommensteuer vor Allem nicht der Rettungsanker für ver¬
zweifelte und in Noth befindliche Minister werden dürfe. Als Gegenvorschläge
empfahl er, die Abschaffung des Stellenkaufs in der Armee und die Uebergabe
der Häusersteuer zu den Communalabgaben fallen zu lassen, und versprach,
wenn man in diesen Punkten nachgebe, alles Mögliche bei der Einkommen¬
steuer zu bewilligen. Als es zur Abstimmung kam, wurde der Antrag Smith
mit 335 gegen 230 Stimmen abgelehnt. Aber es war damit der Widerstand
noch nicht beseitigt, denn jetzt wurde nur der von conservativer Seite gerü¬
stete Angriff zurückgeschlagen, während am 6. Mai ein Feind bekämpft werden
sollte, der sich zum Theil aus den Reihen der Partei des Ministeriums ge¬
bildet hatte. Das liberale Mitglied M'Cullagh Torrens stellte den Antrag,
die Einkommensteuer nicht auf 6. sondern auf 5 Pence zu erhöhen, und den
Ausfall durch einjährige Unterbrechung in der Tilgung der Zeitrenten zu
decken, welche sich in den Händen der Staatsschulden-Commission befinden.
Uebrigens behauptete er, daß die nothwendigen Bedürfnisse des Staates für
das nächste Jahr mit Hülfe der Fünfpencesteuer zu befriedigen seien, wenn
man in billiger Weise die überschießenden Kosten auf mehrere Jahre vertheile.
James White und mehrere andere Redner unterstützten den Antrag, aber nur
die unabhängigen Mitglieder der liberalen Partei wagten beizustimmen. da
die übrigen den Rücktritt des Ministeriums fürchten mußten. Als über den
Antrag Torrens abgestimmt wurde. hatte dieser 248 Stimmen für sich. aber
das Ministerium deren 294. also immer noch eine geringe Majorität.

Es war jetzt einerseits nach den lebhaften Kämpfen, aus denen die Mi¬
nister doch immer noch siegreich hervorgingen, eine Erschlaffung eingetreten,
andrerseits fürchtete man mit einer Fortsetzung des Streites zu viel Zeit zu
verlieren. Demnach war zu erwarten, daß die Vorlagen, nachdem sie in den
Comites durchberathen, wahrscheinlich angenommen werden würden. Doch
war das Ministerium davon, nachdem seine Majorität bei den letzten Debat¬
ten in wenigen Tagen von 85 auf 46 Stimmen herabgegangen, noch nicht
vollständig überzeugt, es mußte also immer fürchten, daß dieselbe einmal auf
Null herabsinken könnte. Nach Verlauf von zwei Monaten kam die Heeres-
reformbill im Unterhause endlich zur dritten Lesung. Diesmal wurde von
Duttlas der Antrag eingebracht, dieselbe zu verwerfen; er wurde jedoch mit
einer den früheren Abstimmungen entsprechenden Majorität, mit 289 gegen
231 Stimmen am 3. Juli abgelehnt. Mit Ausnahme des Organs der
Tories, des Standard, welcher die Folgen der Bill in sehr trübem Lichte dar¬
stellte und Befürchtungen aussprach, daß man die gefährlichste Menschenclasse


Grenzboten II. 1871. 58
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/465>, abgerufen am 24.07.2024.