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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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stattete. Es war daher in der That das erste seiner Art, das auf dem heu¬
tigen Territorium der V. Se. erschien, und als solches verdient es Erwäh¬
nung in der Geschichte. Nicht minder von historischem Interesse ist (was viel¬
fach von amerikanischen Geschichtsschreibern unbeachtet gelassen wird), daß in
demselben Jahre Gouverneur Flecher zu Neu-Iork eine "London Gazette" in
dieser Colonie nachdrucken ließ; sie enthielt Details über ein Seegefecht mit
den Franzosen. Das erste Bostoner Zeitungsunternehmen wurde nicht ver¬
gessen, sondern zur gegebenen Zeit erfolgreich wieder aufgenommen und zwar
in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts. Wenn schon um diese Zeit in
den englischen Colonien Journale entstehen, die ihre Existenz behaupten, so
ist das ein unleugbarer Beweis sowohl von der geistigen Thätigkeit dieses
werdenden Staates als auch von der Schnelligkeit, mit welcher die Ideen und
Gebräuche des Mutterlandes sich auf das amerikanische Festland verpflanzten.
Denn wie gering mußten die Aussichten eines Journals in Amerika in den
Jahren um 1740 sein, da in London, damals schon die bedeutendste Stadt
der Welt, ein Zeitungsblatt noch eine Neuigkeit war, und die ganze Be¬
völkerung der Ansiedelungen kaum 200,000 Seelen betrug, die über einen
300 Meilen langen Küstenstrich zerstreut und in 11 oder 12 Colonien ver¬
theilt wohnten. Die Colonien selbst befanden sich theilweise noch im Zustande
der Kindheit, wurden durch getrennte Administrationen verwaltet, durch ver¬
schiedene Gesetze regiert, und standen in keiner Verbindung mit einander. Die
Colonien von Neu-England, welche die bedeutendste Gruppe ausmachten, zähl¬
ten nicht über 80,000 Bewohner, und Boston, das durch die Zahl seiner
Einwohner, durch die Thätigkeit seines Handels den ersten Platz unter den
amerikanischen Städten einnahm, zählte damals nicht mehr als 8000 Seelen.
Die Bevölkerung war aber nicht allein dünn vertheilt, es fehlte ihr auch an
den allerunentbehrlichsten Industrieen. Ein Journal kann nicht ohne eine
Druckerei existiren, und nichts war leichter, als die Pressen zu zählen, welche
damals auf dem amerikanischen Festlande in Thätigkeit waren. Im Jahre
1671, 60 Jahre nach dem ersten Etablissement der Engländer in Virginien,
konnte der Gouverneur William Berkeley in einem Rapport sagen: "Gott sei
gedankt, wir haben hier weder Freischulen, noch Druckereien und ich hoffe auch,
daß wir deren in den ersten hundert Jahren hier nicht haben werden, denn Unter¬
richt hat Anmaßung, Heresien und Secten in der Welt erzeugt; die Buchdrucker¬
kunst aber hat neben allen diesen Uebeln noch die Angriffe gegen die Regierungen
verbreitet." Der Wunsch Berkeley's wäre beinahe in Erfüllung gegangen,
denn 60 Jahre verflossen, ehe sich Virginien, die reichste und bevölkertste der
Colonien. rühmen konnte, eine Druckerei zu besitzen; die Mehrzahl der an¬
deren Colonien hatte deren kaum vor Mitte des 18. Jahrhunderts. Alle
Drucker, sowie das Material zum Druck kamen von Europa herüber, und


stattete. Es war daher in der That das erste seiner Art, das auf dem heu¬
tigen Territorium der V. Se. erschien, und als solches verdient es Erwäh¬
nung in der Geschichte. Nicht minder von historischem Interesse ist (was viel¬
fach von amerikanischen Geschichtsschreibern unbeachtet gelassen wird), daß in
demselben Jahre Gouverneur Flecher zu Neu-Iork eine „London Gazette" in
dieser Colonie nachdrucken ließ; sie enthielt Details über ein Seegefecht mit
den Franzosen. Das erste Bostoner Zeitungsunternehmen wurde nicht ver¬
gessen, sondern zur gegebenen Zeit erfolgreich wieder aufgenommen und zwar
in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts. Wenn schon um diese Zeit in
den englischen Colonien Journale entstehen, die ihre Existenz behaupten, so
ist das ein unleugbarer Beweis sowohl von der geistigen Thätigkeit dieses
werdenden Staates als auch von der Schnelligkeit, mit welcher die Ideen und
Gebräuche des Mutterlandes sich auf das amerikanische Festland verpflanzten.
Denn wie gering mußten die Aussichten eines Journals in Amerika in den
Jahren um 1740 sein, da in London, damals schon die bedeutendste Stadt
der Welt, ein Zeitungsblatt noch eine Neuigkeit war, und die ganze Be¬
völkerung der Ansiedelungen kaum 200,000 Seelen betrug, die über einen
300 Meilen langen Küstenstrich zerstreut und in 11 oder 12 Colonien ver¬
theilt wohnten. Die Colonien selbst befanden sich theilweise noch im Zustande
der Kindheit, wurden durch getrennte Administrationen verwaltet, durch ver¬
schiedene Gesetze regiert, und standen in keiner Verbindung mit einander. Die
Colonien von Neu-England, welche die bedeutendste Gruppe ausmachten, zähl¬
ten nicht über 80,000 Bewohner, und Boston, das durch die Zahl seiner
Einwohner, durch die Thätigkeit seines Handels den ersten Platz unter den
amerikanischen Städten einnahm, zählte damals nicht mehr als 8000 Seelen.
Die Bevölkerung war aber nicht allein dünn vertheilt, es fehlte ihr auch an
den allerunentbehrlichsten Industrieen. Ein Journal kann nicht ohne eine
Druckerei existiren, und nichts war leichter, als die Pressen zu zählen, welche
damals auf dem amerikanischen Festlande in Thätigkeit waren. Im Jahre
1671, 60 Jahre nach dem ersten Etablissement der Engländer in Virginien,
konnte der Gouverneur William Berkeley in einem Rapport sagen: „Gott sei
gedankt, wir haben hier weder Freischulen, noch Druckereien und ich hoffe auch,
daß wir deren in den ersten hundert Jahren hier nicht haben werden, denn Unter¬
richt hat Anmaßung, Heresien und Secten in der Welt erzeugt; die Buchdrucker¬
kunst aber hat neben allen diesen Uebeln noch die Angriffe gegen die Regierungen
verbreitet." Der Wunsch Berkeley's wäre beinahe in Erfüllung gegangen,
denn 60 Jahre verflossen, ehe sich Virginien, die reichste und bevölkertste der
Colonien. rühmen konnte, eine Druckerei zu besitzen; die Mehrzahl der an¬
deren Colonien hatte deren kaum vor Mitte des 18. Jahrhunderts. Alle
Drucker, sowie das Material zum Druck kamen von Europa herüber, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/451>, abgerufen am 24.07.2024.