Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bespricht er das auf Täuschung abzielende oder auf Selbsttäuschung beruhende
Verfahren der deutschen Publicisten, welche in ihren Darstellungen des Rhein¬
bundes Rechte deduciren, ohne zu beachten, daß da kein Recht sein kann, wo
entweder noch der Streit waltet oder die Gewalt befiehlt.

Daß der Rheinbund dem deutschen Volke größere Einheit verlieh, be-
streiten die Briefe mit der Bemerkung, daß es scheine, als ob der alte blinde
Trieb deutscher Fürsten und Völker, sich abzusondern von der deutschen Ein¬
heit, durch die Verbindung mit Frankreich vielmehr erst zum Bewußtsein ge¬
kommen sei und nun planmäßig verfahre. Denn es gebe wohl deutsche
Staaten, die mit Napoleon conföderirt seien, aber in Deutschland suche man
den Bund umsonst; zum Besten Deutschlands sei wenig oder nichts Bundes¬
mäßiges vorhanden. Mit der äußeren Unabhängigkeit der Bundesfürsten
stehe es so, daß sie nur auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers und Königs
sich bewaffnen dürften; die ihnen beigelegte Souveränetät erstrecke sich weder
auf ihr Verhältniß zu Frankreich noch auf ihr Bundesverhältniß unter ein¬
ander, sondern gelte nur ihren Unterthanen gegenüber. So sei die Unab¬
hängigkeit des ganzen Vaterlands dahin, wohl nicht auf immer, aber gewiß
auf lange Zeit. Der Augenblick gestatte höchstens eine Besserung im Inneren,
in dem Verhältniß zwischen Fürsten und Unterthanen.

Wenn die deutschen Publicisten uns zu überreden versuchten, der Rhei¬
nische Bund sei eine freiwillig, der Zweckmäßigkeit wegen abgeschlossene Ver¬
bindung der deutschen Fürsten unter einander, so wisse man nicht, ob diese
Darstellung der Sache auf geheimen Nachrichten oder auf dem Widerstreben,
unsere Schwäche und Erbärmlichkeit zu bekennen, beruhe. Der äußere An¬
schein spreche jedenfalls gegen die Nichtigkeit dieser Darstellung. Wenn aber
auch wahr sei, daß der Gedanke des Rheinischen Bundes in Deutschland und
nicht in Frankreich entstanden sei, so komme doch noch viel auf den Unter¬
schied an, ob die Deutschen, welche bei diesem Bunde etwas wollten und
thaten, eine gemeinsame freie Verbindung unter sich und darnach mit Frank¬
reich oder vielmehr eine Verbindung der einzelnen deutschen Staaten mit
Frankreich und dadurch unter sich erstrebten.

Zu weiterer Aufklärung über das Wesen des Rheinbundes wird im Fol¬
genden darauf hingewiesen, daß kein Actenstück bekannt geworden sei, wonach
der Protector die Zustimmung der Nheinbundsfürsten zu dem Tilsiter Frieden
oder zur Aufnahme neuer Bundesglieder für nöthig erachtet hätte. Vielmehr
scheine der Protector als solcher die Macht zu haben, über Krieg und Frie¬
den, wie über die Veränderungen des Bundes allein zu entscheiden. Dem
Bunde im Ganzen, wie im Einzelnen, stehe sonach dem Protector gegenüber
kein anderer Anspruch zu, als der auf Schutz. Bei diesem Schutze aber habe
Frankreich ebensoviel Interesse als Deutschland, und dem Keime nach liege


bespricht er das auf Täuschung abzielende oder auf Selbsttäuschung beruhende
Verfahren der deutschen Publicisten, welche in ihren Darstellungen des Rhein¬
bundes Rechte deduciren, ohne zu beachten, daß da kein Recht sein kann, wo
entweder noch der Streit waltet oder die Gewalt befiehlt.

Daß der Rheinbund dem deutschen Volke größere Einheit verlieh, be-
streiten die Briefe mit der Bemerkung, daß es scheine, als ob der alte blinde
Trieb deutscher Fürsten und Völker, sich abzusondern von der deutschen Ein¬
heit, durch die Verbindung mit Frankreich vielmehr erst zum Bewußtsein ge¬
kommen sei und nun planmäßig verfahre. Denn es gebe wohl deutsche
Staaten, die mit Napoleon conföderirt seien, aber in Deutschland suche man
den Bund umsonst; zum Besten Deutschlands sei wenig oder nichts Bundes¬
mäßiges vorhanden. Mit der äußeren Unabhängigkeit der Bundesfürsten
stehe es so, daß sie nur auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers und Königs
sich bewaffnen dürften; die ihnen beigelegte Souveränetät erstrecke sich weder
auf ihr Verhältniß zu Frankreich noch auf ihr Bundesverhältniß unter ein¬
ander, sondern gelte nur ihren Unterthanen gegenüber. So sei die Unab¬
hängigkeit des ganzen Vaterlands dahin, wohl nicht auf immer, aber gewiß
auf lange Zeit. Der Augenblick gestatte höchstens eine Besserung im Inneren,
in dem Verhältniß zwischen Fürsten und Unterthanen.

Wenn die deutschen Publicisten uns zu überreden versuchten, der Rhei¬
nische Bund sei eine freiwillig, der Zweckmäßigkeit wegen abgeschlossene Ver¬
bindung der deutschen Fürsten unter einander, so wisse man nicht, ob diese
Darstellung der Sache auf geheimen Nachrichten oder auf dem Widerstreben,
unsere Schwäche und Erbärmlichkeit zu bekennen, beruhe. Der äußere An¬
schein spreche jedenfalls gegen die Nichtigkeit dieser Darstellung. Wenn aber
auch wahr sei, daß der Gedanke des Rheinischen Bundes in Deutschland und
nicht in Frankreich entstanden sei, so komme doch noch viel auf den Unter¬
schied an, ob die Deutschen, welche bei diesem Bunde etwas wollten und
thaten, eine gemeinsame freie Verbindung unter sich und darnach mit Frank¬
reich oder vielmehr eine Verbindung der einzelnen deutschen Staaten mit
Frankreich und dadurch unter sich erstrebten.

Zu weiterer Aufklärung über das Wesen des Rheinbundes wird im Fol¬
genden darauf hingewiesen, daß kein Actenstück bekannt geworden sei, wonach
der Protector die Zustimmung der Nheinbundsfürsten zu dem Tilsiter Frieden
oder zur Aufnahme neuer Bundesglieder für nöthig erachtet hätte. Vielmehr
scheine der Protector als solcher die Macht zu haben, über Krieg und Frie¬
den, wie über die Veränderungen des Bundes allein zu entscheiden. Dem
Bunde im Ganzen, wie im Einzelnen, stehe sonach dem Protector gegenüber
kein anderer Anspruch zu, als der auf Schutz. Bei diesem Schutze aber habe
Frankreich ebensoviel Interesse als Deutschland, und dem Keime nach liege


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126710"/>
              <p xml:id="ID_1298" prev="#ID_1297"> bespricht er das auf Täuschung abzielende oder auf Selbsttäuschung beruhende<lb/>
Verfahren der deutschen Publicisten, welche in ihren Darstellungen des Rhein¬<lb/>
bundes Rechte deduciren, ohne zu beachten, daß da kein Recht sein kann, wo<lb/>
entweder noch der Streit waltet oder die Gewalt befiehlt.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_1299"> Daß der Rheinbund dem deutschen Volke größere Einheit verlieh, be-<lb/>
streiten die Briefe mit der Bemerkung, daß es scheine, als ob der alte blinde<lb/>
Trieb deutscher Fürsten und Völker, sich abzusondern von der deutschen Ein¬<lb/>
heit, durch die Verbindung mit Frankreich vielmehr erst zum Bewußtsein ge¬<lb/>
kommen sei und nun planmäßig verfahre. Denn es gebe wohl deutsche<lb/>
Staaten, die mit Napoleon conföderirt seien, aber in Deutschland suche man<lb/>
den Bund umsonst; zum Besten Deutschlands sei wenig oder nichts Bundes¬<lb/>
mäßiges vorhanden. Mit der äußeren Unabhängigkeit der Bundesfürsten<lb/>
stehe es so, daß sie nur auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers und Königs<lb/>
sich bewaffnen dürften; die ihnen beigelegte Souveränetät erstrecke sich weder<lb/>
auf ihr Verhältniß zu Frankreich noch auf ihr Bundesverhältniß unter ein¬<lb/>
ander, sondern gelte nur ihren Unterthanen gegenüber. So sei die Unab¬<lb/>
hängigkeit des ganzen Vaterlands dahin, wohl nicht auf immer, aber gewiß<lb/>
auf lange Zeit. Der Augenblick gestatte höchstens eine Besserung im Inneren,<lb/>
in dem Verhältniß zwischen Fürsten und Unterthanen.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_1300"> Wenn die deutschen Publicisten uns zu überreden versuchten, der Rhei¬<lb/>
nische Bund sei eine freiwillig, der Zweckmäßigkeit wegen abgeschlossene Ver¬<lb/>
bindung der deutschen Fürsten unter einander, so wisse man nicht, ob diese<lb/>
Darstellung der Sache auf geheimen Nachrichten oder auf dem Widerstreben,<lb/>
unsere Schwäche und Erbärmlichkeit zu bekennen, beruhe. Der äußere An¬<lb/>
schein spreche jedenfalls gegen die Nichtigkeit dieser Darstellung. Wenn aber<lb/>
auch wahr sei, daß der Gedanke des Rheinischen Bundes in Deutschland und<lb/>
nicht in Frankreich entstanden sei, so komme doch noch viel auf den Unter¬<lb/>
schied an, ob die Deutschen, welche bei diesem Bunde etwas wollten und<lb/>
thaten, eine gemeinsame freie Verbindung unter sich und darnach mit Frank¬<lb/>
reich oder vielmehr eine Verbindung der einzelnen deutschen Staaten mit<lb/>
Frankreich und dadurch unter sich erstrebten.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_1301" next="#ID_1302"> Zu weiterer Aufklärung über das Wesen des Rheinbundes wird im Fol¬<lb/>
genden darauf hingewiesen, daß kein Actenstück bekannt geworden sei, wonach<lb/>
der Protector die Zustimmung der Nheinbundsfürsten zu dem Tilsiter Frieden<lb/>
oder zur Aufnahme neuer Bundesglieder für nöthig erachtet hätte. Vielmehr<lb/>
scheine der Protector als solcher die Macht zu haben, über Krieg und Frie¬<lb/>
den, wie über die Veränderungen des Bundes allein zu entscheiden. Dem<lb/>
Bunde im Ganzen, wie im Einzelnen, stehe sonach dem Protector gegenüber<lb/>
kein anderer Anspruch zu, als der auf Schutz. Bei diesem Schutze aber habe<lb/>
Frankreich ebensoviel Interesse als Deutschland, und dem Keime nach liege</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0434] bespricht er das auf Täuschung abzielende oder auf Selbsttäuschung beruhende Verfahren der deutschen Publicisten, welche in ihren Darstellungen des Rhein¬ bundes Rechte deduciren, ohne zu beachten, daß da kein Recht sein kann, wo entweder noch der Streit waltet oder die Gewalt befiehlt. Daß der Rheinbund dem deutschen Volke größere Einheit verlieh, be- streiten die Briefe mit der Bemerkung, daß es scheine, als ob der alte blinde Trieb deutscher Fürsten und Völker, sich abzusondern von der deutschen Ein¬ heit, durch die Verbindung mit Frankreich vielmehr erst zum Bewußtsein ge¬ kommen sei und nun planmäßig verfahre. Denn es gebe wohl deutsche Staaten, die mit Napoleon conföderirt seien, aber in Deutschland suche man den Bund umsonst; zum Besten Deutschlands sei wenig oder nichts Bundes¬ mäßiges vorhanden. Mit der äußeren Unabhängigkeit der Bundesfürsten stehe es so, daß sie nur auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers und Königs sich bewaffnen dürften; die ihnen beigelegte Souveränetät erstrecke sich weder auf ihr Verhältniß zu Frankreich noch auf ihr Bundesverhältniß unter ein¬ ander, sondern gelte nur ihren Unterthanen gegenüber. So sei die Unab¬ hängigkeit des ganzen Vaterlands dahin, wohl nicht auf immer, aber gewiß auf lange Zeit. Der Augenblick gestatte höchstens eine Besserung im Inneren, in dem Verhältniß zwischen Fürsten und Unterthanen. Wenn die deutschen Publicisten uns zu überreden versuchten, der Rhei¬ nische Bund sei eine freiwillig, der Zweckmäßigkeit wegen abgeschlossene Ver¬ bindung der deutschen Fürsten unter einander, so wisse man nicht, ob diese Darstellung der Sache auf geheimen Nachrichten oder auf dem Widerstreben, unsere Schwäche und Erbärmlichkeit zu bekennen, beruhe. Der äußere An¬ schein spreche jedenfalls gegen die Nichtigkeit dieser Darstellung. Wenn aber auch wahr sei, daß der Gedanke des Rheinischen Bundes in Deutschland und nicht in Frankreich entstanden sei, so komme doch noch viel auf den Unter¬ schied an, ob die Deutschen, welche bei diesem Bunde etwas wollten und thaten, eine gemeinsame freie Verbindung unter sich und darnach mit Frank¬ reich oder vielmehr eine Verbindung der einzelnen deutschen Staaten mit Frankreich und dadurch unter sich erstrebten. Zu weiterer Aufklärung über das Wesen des Rheinbundes wird im Fol¬ genden darauf hingewiesen, daß kein Actenstück bekannt geworden sei, wonach der Protector die Zustimmung der Nheinbundsfürsten zu dem Tilsiter Frieden oder zur Aufnahme neuer Bundesglieder für nöthig erachtet hätte. Vielmehr scheine der Protector als solcher die Macht zu haben, über Krieg und Frie¬ den, wie über die Veränderungen des Bundes allein zu entscheiden. Dem Bunde im Ganzen, wie im Einzelnen, stehe sonach dem Protector gegenüber kein anderer Anspruch zu, als der auf Schutz. Bei diesem Schutze aber habe Frankreich ebensoviel Interesse als Deutschland, und dem Keime nach liege

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/434
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/434>, abgerufen am 24.07.2024.