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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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gegen seine derartigen Compositionen sagen und einwenden was man will,
das muß man zugestehen, daß er den Geist seiner Zeit darin unübertrefflich
ausgedrückt, Lust und Liebe für diese Musikgattung wieder wachgerufen, der
Familie ein lange Verlornes Gut wieder zurückgegeben hat. Abgesehen aber
auch davon, sind seine Lieder, so viele Nachfolger er auch gefunden, im All¬
gemeinen bis zur Stunde noch nicht übertroffen. Seine Werke, mit den
Opuszahlen 41, 48, 59, 88 und 100, bieten eine Reihe köstlichster, edelster
und innig empfundener mehrstimmiger Tondichtungen, die stets Lieblinge der
musikalischen Welt bleiben werden. Es sind glückliche Gaben der Musik und
entwickelten Dilettantenkräften gerade angemessen. Neben Mendelssohn tritt
ebenbürtig/Spohr mit seinem 0p. 120, sechs vierstimmige Lieder enthaltend.
Dieselben, obwohl tiefer und kunstreicher als die Mendelssohn'schen, haben
ihrer Schwierigkeit wegen weniger Verbreitung gefunden, aber es sind Lieder¬
perlen der seltensten Art und wo sie gesungen werden können, zählen sie ge¬
wiß zu den Lieblingen ihrer Gattung. Möchten nur auch bald 'sechs noch
ungedruckte, leichtere derartige Lieder Spohrs ebenfalls veröffentlicht werden.
Zu den beiden genannten Liedermeistern gesellen sich Hauptmann 0p. 25,
32 und 47 und Schumann Op. 55 und 59, Romanzen und Balladen 0p.
67 und 75. Gesänge für Frauenstimmen 0p. 29, 69, 91 und 114, und in
einer ganz eigenthümlichen Compositionsform: das spanische Liederspiel 0p.
74, Minnespiel 0p. 101 und spanische Liebeslieder 0p. 138, Gesangscyclen,
aus ein- und mehrstimmigen, geistig zusammengehörigen Liedernummern be¬
stehend. Hauptmanns Compositionen sind in hohem Grade edel und melo¬
disch, formvollendet und bei aller Kunst und einem gesunden, treffenden Hu¬
mor doch fehr sangbar und einfach. Schumann ist kühner und origineller,
herb, hart und rücksichtslos in den Zumuthungen an die Leistungsfähigkeit
der Stimme, an die Trefffähigkeit der Sänger; aber durch Geist, eigenthüm¬
liche melodische und figurale Erfindung, ungewöhnliche Harmoniefolgen weiß
er einen dämonischen Zauber auf die Ausführenden, wie auf die Zuhörer zu
üben. Wer einmal die ersten Schwierigkeiten und Härten der Schumann'schen
Lieder überwunden hat, wird sich unendlich von ihnen angezogen und gefesselt
finden. Zu den besten Arbeiten auf diesem Gebiete, dürften ferner zu zählen
fein: A. Walter's 0p. 14, drei Lieder, I. Dürrner's 0p. 26, sechs Lie¬
der zu G. Vi erim g's 0p. 11, 26. 34 und 39, sowie 0p. 37, drei Gesänge
für Frauenstimmen. Ferner von E. F. Richter 0x, 12, 14 und 18, von
K. Reinecke 0p. 14, 58 und 80, von Fr. Lachner 0p. 110. Die neue
Zeit hat sich mit einer gewissen Vorliebe auf diese Compositionsgattung ge¬
worfen und es ist in ihr vieles Gute und Schöne produzirt worden (Apel 0p. 26,
C. Ecker 0p. 12, K. Grimm 0p. 8, I. Geuchemer 0p. 8, O. Jahr 7 Lieder,
E. Petzold 0p. 17, R. Radecke 0p. 28, W. Ruß 0x. 6, Fr. Wüllner


gegen seine derartigen Compositionen sagen und einwenden was man will,
das muß man zugestehen, daß er den Geist seiner Zeit darin unübertrefflich
ausgedrückt, Lust und Liebe für diese Musikgattung wieder wachgerufen, der
Familie ein lange Verlornes Gut wieder zurückgegeben hat. Abgesehen aber
auch davon, sind seine Lieder, so viele Nachfolger er auch gefunden, im All¬
gemeinen bis zur Stunde noch nicht übertroffen. Seine Werke, mit den
Opuszahlen 41, 48, 59, 88 und 100, bieten eine Reihe köstlichster, edelster
und innig empfundener mehrstimmiger Tondichtungen, die stets Lieblinge der
musikalischen Welt bleiben werden. Es sind glückliche Gaben der Musik und
entwickelten Dilettantenkräften gerade angemessen. Neben Mendelssohn tritt
ebenbürtig/Spohr mit seinem 0p. 120, sechs vierstimmige Lieder enthaltend.
Dieselben, obwohl tiefer und kunstreicher als die Mendelssohn'schen, haben
ihrer Schwierigkeit wegen weniger Verbreitung gefunden, aber es sind Lieder¬
perlen der seltensten Art und wo sie gesungen werden können, zählen sie ge¬
wiß zu den Lieblingen ihrer Gattung. Möchten nur auch bald 'sechs noch
ungedruckte, leichtere derartige Lieder Spohrs ebenfalls veröffentlicht werden.
Zu den beiden genannten Liedermeistern gesellen sich Hauptmann 0p. 25,
32 und 47 und Schumann Op. 55 und 59, Romanzen und Balladen 0p.
67 und 75. Gesänge für Frauenstimmen 0p. 29, 69, 91 und 114, und in
einer ganz eigenthümlichen Compositionsform: das spanische Liederspiel 0p.
74, Minnespiel 0p. 101 und spanische Liebeslieder 0p. 138, Gesangscyclen,
aus ein- und mehrstimmigen, geistig zusammengehörigen Liedernummern be¬
stehend. Hauptmanns Compositionen sind in hohem Grade edel und melo¬
disch, formvollendet und bei aller Kunst und einem gesunden, treffenden Hu¬
mor doch fehr sangbar und einfach. Schumann ist kühner und origineller,
herb, hart und rücksichtslos in den Zumuthungen an die Leistungsfähigkeit
der Stimme, an die Trefffähigkeit der Sänger; aber durch Geist, eigenthüm¬
liche melodische und figurale Erfindung, ungewöhnliche Harmoniefolgen weiß
er einen dämonischen Zauber auf die Ausführenden, wie auf die Zuhörer zu
üben. Wer einmal die ersten Schwierigkeiten und Härten der Schumann'schen
Lieder überwunden hat, wird sich unendlich von ihnen angezogen und gefesselt
finden. Zu den besten Arbeiten auf diesem Gebiete, dürften ferner zu zählen
fein: A. Walter's 0p. 14, drei Lieder, I. Dürrner's 0p. 26, sechs Lie¬
der zu G. Vi erim g's 0p. 11, 26. 34 und 39, sowie 0p. 37, drei Gesänge
für Frauenstimmen. Ferner von E. F. Richter 0x, 12, 14 und 18, von
K. Reinecke 0p. 14, 58 und 80, von Fr. Lachner 0p. 110. Die neue
Zeit hat sich mit einer gewissen Vorliebe auf diese Compositionsgattung ge¬
worfen und es ist in ihr vieles Gute und Schöne produzirt worden (Apel 0p. 26,
C. Ecker 0p. 12, K. Grimm 0p. 8, I. Geuchemer 0p. 8, O. Jahr 7 Lieder,
E. Petzold 0p. 17, R. Radecke 0p. 28, W. Ruß 0x. 6, Fr. Wüllner


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[0423] gegen seine derartigen Compositionen sagen und einwenden was man will, das muß man zugestehen, daß er den Geist seiner Zeit darin unübertrefflich ausgedrückt, Lust und Liebe für diese Musikgattung wieder wachgerufen, der Familie ein lange Verlornes Gut wieder zurückgegeben hat. Abgesehen aber auch davon, sind seine Lieder, so viele Nachfolger er auch gefunden, im All¬ gemeinen bis zur Stunde noch nicht übertroffen. Seine Werke, mit den Opuszahlen 41, 48, 59, 88 und 100, bieten eine Reihe köstlichster, edelster und innig empfundener mehrstimmiger Tondichtungen, die stets Lieblinge der musikalischen Welt bleiben werden. Es sind glückliche Gaben der Musik und entwickelten Dilettantenkräften gerade angemessen. Neben Mendelssohn tritt ebenbürtig/Spohr mit seinem 0p. 120, sechs vierstimmige Lieder enthaltend. Dieselben, obwohl tiefer und kunstreicher als die Mendelssohn'schen, haben ihrer Schwierigkeit wegen weniger Verbreitung gefunden, aber es sind Lieder¬ perlen der seltensten Art und wo sie gesungen werden können, zählen sie ge¬ wiß zu den Lieblingen ihrer Gattung. Möchten nur auch bald 'sechs noch ungedruckte, leichtere derartige Lieder Spohrs ebenfalls veröffentlicht werden. Zu den beiden genannten Liedermeistern gesellen sich Hauptmann 0p. 25, 32 und 47 und Schumann Op. 55 und 59, Romanzen und Balladen 0p. 67 und 75. Gesänge für Frauenstimmen 0p. 29, 69, 91 und 114, und in einer ganz eigenthümlichen Compositionsform: das spanische Liederspiel 0p. 74, Minnespiel 0p. 101 und spanische Liebeslieder 0p. 138, Gesangscyclen, aus ein- und mehrstimmigen, geistig zusammengehörigen Liedernummern be¬ stehend. Hauptmanns Compositionen sind in hohem Grade edel und melo¬ disch, formvollendet und bei aller Kunst und einem gesunden, treffenden Hu¬ mor doch fehr sangbar und einfach. Schumann ist kühner und origineller, herb, hart und rücksichtslos in den Zumuthungen an die Leistungsfähigkeit der Stimme, an die Trefffähigkeit der Sänger; aber durch Geist, eigenthüm¬ liche melodische und figurale Erfindung, ungewöhnliche Harmoniefolgen weiß er einen dämonischen Zauber auf die Ausführenden, wie auf die Zuhörer zu üben. Wer einmal die ersten Schwierigkeiten und Härten der Schumann'schen Lieder überwunden hat, wird sich unendlich von ihnen angezogen und gefesselt finden. Zu den besten Arbeiten auf diesem Gebiete, dürften ferner zu zählen fein: A. Walter's 0p. 14, drei Lieder, I. Dürrner's 0p. 26, sechs Lie¬ der zu G. Vi erim g's 0p. 11, 26. 34 und 39, sowie 0p. 37, drei Gesänge für Frauenstimmen. Ferner von E. F. Richter 0x, 12, 14 und 18, von K. Reinecke 0p. 14, 58 und 80, von Fr. Lachner 0p. 110. Die neue Zeit hat sich mit einer gewissen Vorliebe auf diese Compositionsgattung ge¬ worfen und es ist in ihr vieles Gute und Schöne produzirt worden (Apel 0p. 26, C. Ecker 0p. 12, K. Grimm 0p. 8, I. Geuchemer 0p. 8, O. Jahr 7 Lieder, E. Petzold 0p. 17, R. Radecke 0p. 28, W. Ruß 0x. 6, Fr. Wüllner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/423>, abgerufen am 24.07.2024.