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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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wobei der Platz vom Erbauer weniger in Betracht gezogen worden sei. Dem
ist aber in Wirklichkeit nicht so, denn wenn auch die Sicherung größerer
Städte durch deren Befestigung sehr wünschenswert!) ist, damit deren
größere Hülfsquellen erhalten und die Ausbeutung derselben vermieden wer¬
den, so tritt doch dabei deren strategischer Werth zunächst in den Vorder¬
grund. Die größeren Städte sind fast durchweg an den größeren Communi-
eationsplätzen erwachsen, sie sind daher gleichzeitig die Beherrscher der Strom¬
übergänge, die Centralpunkte der großen Verkehrswege. Daraus entsteht ihre
Wichtigkeit als Pivot für die mit ihnen in Verbindung stehende Feldarmee.
Viele unserer heutigen größeren befestigten Städte gingen aus den Römer-
colonien hervor, die damals wesentlich strategische Punkte waren und bis auf
die Neuzeit geblieben sind, so namentlich viele Städte am Rhein. -- Ferner
ist nicht verbürgt, daß der Feind größere unbefestigte Städte mehr verschonen
würde, selbst wenn sie in strategischer Beziehung indifferent gelegen sind, im
Gegentheil, er wird sie eben so aufsuchen, um sie auszubeuten und je nach
Belieben darüber schalten und walten. Dagegen könnte wohl eingewendet
werden, daß offene Städte einer Schädigung, besonders durch ein Bombarde¬
ment, weniger exponirt seien als befestigte, und im Allgemeinen ist das auch
zuzugestehen; allein dadurch ist einer offenen Stadt noch keineswegs ein Frei¬
brief gegen die Heimsuchung des Krieges ausgestellt; sie kann je nach Bedürf¬
niß von Freund oder Feind besetzt, verbarrikadirt oder sonst passager befestigt,
dabei bombardirt und gestürmt werden, wie ein fester Platz. Mithin ist sehr
zu bezweifeln, daß die offene Stadt bei einer feindlichen Invasion immer
sicher sei, von Barbarei und übermüthiger Zerstörung verschont zu bleiben,
besonders nach den Erfahrungen des letzten Krieges im Benehmen unserer
Gegner. Wären die Franzosen so tief in unser Land eingedrungen, wie die
Deutschen in das ihre, unsre offnen Städte hätten da wohl in Bezug auf
Zerstörung und Greuel Wunderdinge erleben können.

Die Gegner der Stadtbefestigungen weisen besonders auch auf die Be¬
lästigungen im Frieden hin, welche für befestigte Städte erwachsen. Diese Be¬
lästigungen sind zweifellos vorhanden. Häufig treten beschwerliche Berkehrs-
hemmungen ein; durch die Anziehung des Festungsgürtels ist der Ausdehnung
der Stadt meist ein Damm gesetzt. Ja, das Wohl der Industrie und des
Handels -- sagen Jene - - und von Hunderttausenden strebsamer Bürger sei
in fortwährender Gefahr, so daß im Frieden mehr sociale Schäden hervor¬
gerufen würden, als im Kriege Nutzen daraus entstehe. Die Lebensadern
und Nerven des Staates würden dadurch geradezu unterbunden. -- Der
Versasser widerlegt diese Einwendungen im II. Capitel § 19 und 20; er
nennt sie zum Theil so übertrieben, daß sie in lautes Neelamgeschrei der
Interessenten ausarten. Wohl habe das Errichten von industriellen Etablisse-


wobei der Platz vom Erbauer weniger in Betracht gezogen worden sei. Dem
ist aber in Wirklichkeit nicht so, denn wenn auch die Sicherung größerer
Städte durch deren Befestigung sehr wünschenswert!) ist, damit deren
größere Hülfsquellen erhalten und die Ausbeutung derselben vermieden wer¬
den, so tritt doch dabei deren strategischer Werth zunächst in den Vorder¬
grund. Die größeren Städte sind fast durchweg an den größeren Communi-
eationsplätzen erwachsen, sie sind daher gleichzeitig die Beherrscher der Strom¬
übergänge, die Centralpunkte der großen Verkehrswege. Daraus entsteht ihre
Wichtigkeit als Pivot für die mit ihnen in Verbindung stehende Feldarmee.
Viele unserer heutigen größeren befestigten Städte gingen aus den Römer-
colonien hervor, die damals wesentlich strategische Punkte waren und bis auf
die Neuzeit geblieben sind, so namentlich viele Städte am Rhein. — Ferner
ist nicht verbürgt, daß der Feind größere unbefestigte Städte mehr verschonen
würde, selbst wenn sie in strategischer Beziehung indifferent gelegen sind, im
Gegentheil, er wird sie eben so aufsuchen, um sie auszubeuten und je nach
Belieben darüber schalten und walten. Dagegen könnte wohl eingewendet
werden, daß offene Städte einer Schädigung, besonders durch ein Bombarde¬
ment, weniger exponirt seien als befestigte, und im Allgemeinen ist das auch
zuzugestehen; allein dadurch ist einer offenen Stadt noch keineswegs ein Frei¬
brief gegen die Heimsuchung des Krieges ausgestellt; sie kann je nach Bedürf¬
niß von Freund oder Feind besetzt, verbarrikadirt oder sonst passager befestigt,
dabei bombardirt und gestürmt werden, wie ein fester Platz. Mithin ist sehr
zu bezweifeln, daß die offene Stadt bei einer feindlichen Invasion immer
sicher sei, von Barbarei und übermüthiger Zerstörung verschont zu bleiben,
besonders nach den Erfahrungen des letzten Krieges im Benehmen unserer
Gegner. Wären die Franzosen so tief in unser Land eingedrungen, wie die
Deutschen in das ihre, unsre offnen Städte hätten da wohl in Bezug auf
Zerstörung und Greuel Wunderdinge erleben können.

Die Gegner der Stadtbefestigungen weisen besonders auch auf die Be¬
lästigungen im Frieden hin, welche für befestigte Städte erwachsen. Diese Be¬
lästigungen sind zweifellos vorhanden. Häufig treten beschwerliche Berkehrs-
hemmungen ein; durch die Anziehung des Festungsgürtels ist der Ausdehnung
der Stadt meist ein Damm gesetzt. Ja, das Wohl der Industrie und des
Handels — sagen Jene - - und von Hunderttausenden strebsamer Bürger sei
in fortwährender Gefahr, so daß im Frieden mehr sociale Schäden hervor¬
gerufen würden, als im Kriege Nutzen daraus entstehe. Die Lebensadern
und Nerven des Staates würden dadurch geradezu unterbunden. — Der
Versasser widerlegt diese Einwendungen im II. Capitel § 19 und 20; er
nennt sie zum Theil so übertrieben, daß sie in lautes Neelamgeschrei der
Interessenten ausarten. Wohl habe das Errichten von industriellen Etablisse-


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[0392] wobei der Platz vom Erbauer weniger in Betracht gezogen worden sei. Dem ist aber in Wirklichkeit nicht so, denn wenn auch die Sicherung größerer Städte durch deren Befestigung sehr wünschenswert!) ist, damit deren größere Hülfsquellen erhalten und die Ausbeutung derselben vermieden wer¬ den, so tritt doch dabei deren strategischer Werth zunächst in den Vorder¬ grund. Die größeren Städte sind fast durchweg an den größeren Communi- eationsplätzen erwachsen, sie sind daher gleichzeitig die Beherrscher der Strom¬ übergänge, die Centralpunkte der großen Verkehrswege. Daraus entsteht ihre Wichtigkeit als Pivot für die mit ihnen in Verbindung stehende Feldarmee. Viele unserer heutigen größeren befestigten Städte gingen aus den Römer- colonien hervor, die damals wesentlich strategische Punkte waren und bis auf die Neuzeit geblieben sind, so namentlich viele Städte am Rhein. — Ferner ist nicht verbürgt, daß der Feind größere unbefestigte Städte mehr verschonen würde, selbst wenn sie in strategischer Beziehung indifferent gelegen sind, im Gegentheil, er wird sie eben so aufsuchen, um sie auszubeuten und je nach Belieben darüber schalten und walten. Dagegen könnte wohl eingewendet werden, daß offene Städte einer Schädigung, besonders durch ein Bombarde¬ ment, weniger exponirt seien als befestigte, und im Allgemeinen ist das auch zuzugestehen; allein dadurch ist einer offenen Stadt noch keineswegs ein Frei¬ brief gegen die Heimsuchung des Krieges ausgestellt; sie kann je nach Bedürf¬ niß von Freund oder Feind besetzt, verbarrikadirt oder sonst passager befestigt, dabei bombardirt und gestürmt werden, wie ein fester Platz. Mithin ist sehr zu bezweifeln, daß die offene Stadt bei einer feindlichen Invasion immer sicher sei, von Barbarei und übermüthiger Zerstörung verschont zu bleiben, besonders nach den Erfahrungen des letzten Krieges im Benehmen unserer Gegner. Wären die Franzosen so tief in unser Land eingedrungen, wie die Deutschen in das ihre, unsre offnen Städte hätten da wohl in Bezug auf Zerstörung und Greuel Wunderdinge erleben können. Die Gegner der Stadtbefestigungen weisen besonders auch auf die Be¬ lästigungen im Frieden hin, welche für befestigte Städte erwachsen. Diese Be¬ lästigungen sind zweifellos vorhanden. Häufig treten beschwerliche Berkehrs- hemmungen ein; durch die Anziehung des Festungsgürtels ist der Ausdehnung der Stadt meist ein Damm gesetzt. Ja, das Wohl der Industrie und des Handels — sagen Jene - - und von Hunderttausenden strebsamer Bürger sei in fortwährender Gefahr, so daß im Frieden mehr sociale Schäden hervor¬ gerufen würden, als im Kriege Nutzen daraus entstehe. Die Lebensadern und Nerven des Staates würden dadurch geradezu unterbunden. — Der Versasser widerlegt diese Einwendungen im II. Capitel § 19 und 20; er nennt sie zum Theil so übertrieben, daß sie in lautes Neelamgeschrei der Interessenten ausarten. Wohl habe das Errichten von industriellen Etablisse-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/392>, abgerufen am 24.07.2024.