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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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eismbahnbau nicht zum Abschluß gelangt ist, und diesen möglichst hinaus¬
zuziehen liegt im Interesse jedes Verkehrsministers.

Unter diesen Umständen ist allgemein aufgefallen, daß der Finanz¬
minister zur Motivirung der neuerdings beantragten Steuererhöhung in dem
eingebrachten Gesetzesentwurf als Grund der Unzulänglichkeit der Staatsein¬
nahmen nur "den höheren Bedarf für das Heer und den Wegfall der Kriegs¬
dienstabgabe" (beide Folge der neuen Reichsgesetzgebung), sowie "die Vermeh¬
rung der Staatsschuld" (nach dem Vorangeschickten sind darunter die Kriegs¬
anlehen gemeint) angibt, das Eisenbahndeficit aber verschweigt: also thatsächlich
die ganze Schuld der verschlimmerten Finanzlage auf das Reich abzuwälzen
sucht, während gleichzeitig der Ueberblick über die Ergebnisse der Staatsein¬
nahmen und Ausgaben bis vor Beginn des Kriegs als "ein sehr erwünschter"
bezeichnet wird. Die Tendenz, den Staatsbürgern die Freude an den
neuen Rechtszuständen zu verderben, um die glücklichen Zeiten vor dem Jahre
1871, als man noch die Kosten deutschen Grenzschutzes auf den Nordbund
abladen zu können glaubte, in die Erinnerung zurückzurufen, konnte wohl
kaum in einer plumperen Weise ausgesprochen werden, als hier durch den
Finanzminister geschah, und man schließt nicht ohne Grund aus diesem Auftreten
auf eine gegenwärtig stärker hervortretende Verstimmung einzelner Minister
über das Reich, wie denn auch sonst die Zurückhaltung der Negierung gegen¬
über der Einzugsfeierlichkeit in Berlin, sowie rücksichtlich des allgemeinen
deutschen Kirchengebets am 18. d. M. in den letzten Tagen vielfach aufgefallen
ist. Bereits hat auch der Beobachter, der feit dem 1. Juni in die Hände
einer Actiengesellschaft der vereinigten großdeutsch-demokratischen Partei über¬
gegangen ist, und jetzt von dem bisherigen Redacteur des Frankfurter Jour¬
nals, von Hasenkamp und einem der früheren Redacteure der demokratischen
Korrespondenz in der alten Richtung, wenn auch in etwas anständigeren
Ton redigirt wird, diese Steuererhöhung und ihre ministerielle Motivirung
mit Jubel begrüßt; er rechnet mit Sicherheit auf einen raschen und gründ¬
lichen Umschwung der öffentlichen Meinung im Sinn des Particularismus
und der Demokratie: er hatte ja die "Steuerschraube ohne Ende" zu Gunsten
des Cäsarismus und Militarismus längst vorausgesagt und prophezeit, daß
man häufig "den Schweiß des Volks" dem "Moloch der Gewalt" opfern
werde. Dazu das Dotationsgesetz! Gern hätte man zwar den Franzosen
seiner Zeit die Milliarden im Interesse der Völkerverbrüderung erlassen; wenn
dagegen jetzt ein kleiner Theil derselben als Nationalbank den verdientesten
Männern Deutschlands zugewendet wird, so ist es das arme steuerzahlende
Volk, dem man zur Bereicherung der militärischen Aristokratie auch noch den
letzten Heller auspreßt. Die Erbitterung unserer Particularisten und Demo¬
kraten über das Dotationsgesetz hat übrigens noch einen tieferen Grund.


eismbahnbau nicht zum Abschluß gelangt ist, und diesen möglichst hinaus¬
zuziehen liegt im Interesse jedes Verkehrsministers.

Unter diesen Umständen ist allgemein aufgefallen, daß der Finanz¬
minister zur Motivirung der neuerdings beantragten Steuererhöhung in dem
eingebrachten Gesetzesentwurf als Grund der Unzulänglichkeit der Staatsein¬
nahmen nur „den höheren Bedarf für das Heer und den Wegfall der Kriegs¬
dienstabgabe" (beide Folge der neuen Reichsgesetzgebung), sowie „die Vermeh¬
rung der Staatsschuld" (nach dem Vorangeschickten sind darunter die Kriegs¬
anlehen gemeint) angibt, das Eisenbahndeficit aber verschweigt: also thatsächlich
die ganze Schuld der verschlimmerten Finanzlage auf das Reich abzuwälzen
sucht, während gleichzeitig der Ueberblick über die Ergebnisse der Staatsein¬
nahmen und Ausgaben bis vor Beginn des Kriegs als „ein sehr erwünschter"
bezeichnet wird. Die Tendenz, den Staatsbürgern die Freude an den
neuen Rechtszuständen zu verderben, um die glücklichen Zeiten vor dem Jahre
1871, als man noch die Kosten deutschen Grenzschutzes auf den Nordbund
abladen zu können glaubte, in die Erinnerung zurückzurufen, konnte wohl
kaum in einer plumperen Weise ausgesprochen werden, als hier durch den
Finanzminister geschah, und man schließt nicht ohne Grund aus diesem Auftreten
auf eine gegenwärtig stärker hervortretende Verstimmung einzelner Minister
über das Reich, wie denn auch sonst die Zurückhaltung der Negierung gegen¬
über der Einzugsfeierlichkeit in Berlin, sowie rücksichtlich des allgemeinen
deutschen Kirchengebets am 18. d. M. in den letzten Tagen vielfach aufgefallen
ist. Bereits hat auch der Beobachter, der feit dem 1. Juni in die Hände
einer Actiengesellschaft der vereinigten großdeutsch-demokratischen Partei über¬
gegangen ist, und jetzt von dem bisherigen Redacteur des Frankfurter Jour¬
nals, von Hasenkamp und einem der früheren Redacteure der demokratischen
Korrespondenz in der alten Richtung, wenn auch in etwas anständigeren
Ton redigirt wird, diese Steuererhöhung und ihre ministerielle Motivirung
mit Jubel begrüßt; er rechnet mit Sicherheit auf einen raschen und gründ¬
lichen Umschwung der öffentlichen Meinung im Sinn des Particularismus
und der Demokratie: er hatte ja die „Steuerschraube ohne Ende" zu Gunsten
des Cäsarismus und Militarismus längst vorausgesagt und prophezeit, daß
man häufig „den Schweiß des Volks" dem „Moloch der Gewalt" opfern
werde. Dazu das Dotationsgesetz! Gern hätte man zwar den Franzosen
seiner Zeit die Milliarden im Interesse der Völkerverbrüderung erlassen; wenn
dagegen jetzt ein kleiner Theil derselben als Nationalbank den verdientesten
Männern Deutschlands zugewendet wird, so ist es das arme steuerzahlende
Volk, dem man zur Bereicherung der militärischen Aristokratie auch noch den
letzten Heller auspreßt. Die Erbitterung unserer Particularisten und Demo¬
kraten über das Dotationsgesetz hat übrigens noch einen tieferen Grund.


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[0039] eismbahnbau nicht zum Abschluß gelangt ist, und diesen möglichst hinaus¬ zuziehen liegt im Interesse jedes Verkehrsministers. Unter diesen Umständen ist allgemein aufgefallen, daß der Finanz¬ minister zur Motivirung der neuerdings beantragten Steuererhöhung in dem eingebrachten Gesetzesentwurf als Grund der Unzulänglichkeit der Staatsein¬ nahmen nur „den höheren Bedarf für das Heer und den Wegfall der Kriegs¬ dienstabgabe" (beide Folge der neuen Reichsgesetzgebung), sowie „die Vermeh¬ rung der Staatsschuld" (nach dem Vorangeschickten sind darunter die Kriegs¬ anlehen gemeint) angibt, das Eisenbahndeficit aber verschweigt: also thatsächlich die ganze Schuld der verschlimmerten Finanzlage auf das Reich abzuwälzen sucht, während gleichzeitig der Ueberblick über die Ergebnisse der Staatsein¬ nahmen und Ausgaben bis vor Beginn des Kriegs als „ein sehr erwünschter" bezeichnet wird. Die Tendenz, den Staatsbürgern die Freude an den neuen Rechtszuständen zu verderben, um die glücklichen Zeiten vor dem Jahre 1871, als man noch die Kosten deutschen Grenzschutzes auf den Nordbund abladen zu können glaubte, in die Erinnerung zurückzurufen, konnte wohl kaum in einer plumperen Weise ausgesprochen werden, als hier durch den Finanzminister geschah, und man schließt nicht ohne Grund aus diesem Auftreten auf eine gegenwärtig stärker hervortretende Verstimmung einzelner Minister über das Reich, wie denn auch sonst die Zurückhaltung der Negierung gegen¬ über der Einzugsfeierlichkeit in Berlin, sowie rücksichtlich des allgemeinen deutschen Kirchengebets am 18. d. M. in den letzten Tagen vielfach aufgefallen ist. Bereits hat auch der Beobachter, der feit dem 1. Juni in die Hände einer Actiengesellschaft der vereinigten großdeutsch-demokratischen Partei über¬ gegangen ist, und jetzt von dem bisherigen Redacteur des Frankfurter Jour¬ nals, von Hasenkamp und einem der früheren Redacteure der demokratischen Korrespondenz in der alten Richtung, wenn auch in etwas anständigeren Ton redigirt wird, diese Steuererhöhung und ihre ministerielle Motivirung mit Jubel begrüßt; er rechnet mit Sicherheit auf einen raschen und gründ¬ lichen Umschwung der öffentlichen Meinung im Sinn des Particularismus und der Demokratie: er hatte ja die „Steuerschraube ohne Ende" zu Gunsten des Cäsarismus und Militarismus längst vorausgesagt und prophezeit, daß man häufig „den Schweiß des Volks" dem „Moloch der Gewalt" opfern werde. Dazu das Dotationsgesetz! Gern hätte man zwar den Franzosen seiner Zeit die Milliarden im Interesse der Völkerverbrüderung erlassen; wenn dagegen jetzt ein kleiner Theil derselben als Nationalbank den verdientesten Männern Deutschlands zugewendet wird, so ist es das arme steuerzahlende Volk, dem man zur Bereicherung der militärischen Aristokratie auch noch den letzten Heller auspreßt. Die Erbitterung unserer Particularisten und Demo¬ kraten über das Dotationsgesetz hat übrigens noch einen tieferen Grund.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/39>, abgerufen am 24.07.2024.