Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den "württembergischen Staatsanzeiger" in dieser Sache Schweigen Gold ge¬
wesen.

Die eigenthümliche Lethargie, in welche der Schwabe nach jeder größeren
Aufregung in politischen und anderen Dingen zurück zu fallen pflegt, und
welche nach der Aufrüttelung durch die Kriegsmonate mit dem Abschlüsse des
Friedens nicht ausbleiben konnte, zeigte sich übrigens nicht allein gegenüber
dem Reichstag, sondern auch in anderen Fragen. Während in Bayern der
Streit um die Jnfallibilität den ganzen Staat erschütterte und der Sturm
dort noch heute nicht zur Ruhe gelangt ist, hat dagegen in Schwaben Klerus
und Volk, voran der Bischof und die katholische Facultät, sich um der Ein¬
heit der Kirche willen den Anforderungen Roms unbedingt unterworfen; und
doch hatte man gerade hier nach den früheren Erklärungen mehrerer kirchlichen
Notabilitäten und Angesichts der demokratisch-klerikalen Coalition besondere
Beweise von Charakterstärke erwartet. Das Ministerium ist daher -- fast
allein in ganz Deutschland -- in der glücklichen Lage, von der Stärke seines
weltlichen Arms auch nicht in einem einzigen Fall eine Probe ablegen zu
müssen; ja die ultramontane Presse macht jetzt nicht ohne Grund darauf auf¬
merksam, daß unsere Negierung auch allein im vorigen Jahre von den zu
Rom versammelten Kirchenvätern wegen ihres Verhaltens gegenüber der katho¬
lischen Kirche belobt worden sei. Unsere Quietisten und mehr noch die Ultra¬
montanen geben sich denn auch bereits der Hoffnung hin, daß in Bälde den
ebenso unnöthigen als langweiligen Angriffen auf die Jnfallibilitätslehre durch
die Staatsanwaltschaft und die Gerichte ein Ende gemacht werde, da ja,
namentlich in gemischten Bezirken, bei der hülfreichen Mitwirkung der Schöffen
an den höheren Gerichten und unter Anwendung der sonst geeignet erschei¬
nenden Mittel, nicht schwer fallen könne, fernere Angriffe auf jenes Dogma
als "Herabwürdigung der Lehren einer im Staat anerkannten Religionsgesell¬
schaft" oder künftighin als "Beschimvfrmg einer Einrichtung der katholischen
Kirche" mit der Strafe der Blasphemie, d. h. Gefängniß bis zu 3 Jahren
zu belegen. Damit wäre dann auch von selbst die Frage entschieden, welche
Tragweite der Erklärung des Ministeriums beizulegen sei, nach welcher dasselbe
den Concilsdecreten keinerlei Rechtswirkung auf staatliche Verhältnisse zuge¬
stehen will, ob namentlich die Justiz und die Gefängnisse nicht zu diesen
staatlichen Verhältnissen gehören. -- Uebrigens dürfte die schwäbische Bevöl¬
kerung rasch aus ihrem dermaligen Schlummer erwachen, denn schon auf den
21. d. M. ist der Landtag nach Stuttgart einberufen und was er bringen
wird, ist für die Meisten wenig erfreulich, nämlich neben der Ausgabe von
3 Millionen Papiergeld eine Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuer um
50 °/o, sämmtlicher übrigen Steuern um 23 "/<>.

Auch ohne die Erhöhung des Militäretats durch den Eintritt in das


den „württembergischen Staatsanzeiger" in dieser Sache Schweigen Gold ge¬
wesen.

Die eigenthümliche Lethargie, in welche der Schwabe nach jeder größeren
Aufregung in politischen und anderen Dingen zurück zu fallen pflegt, und
welche nach der Aufrüttelung durch die Kriegsmonate mit dem Abschlüsse des
Friedens nicht ausbleiben konnte, zeigte sich übrigens nicht allein gegenüber
dem Reichstag, sondern auch in anderen Fragen. Während in Bayern der
Streit um die Jnfallibilität den ganzen Staat erschütterte und der Sturm
dort noch heute nicht zur Ruhe gelangt ist, hat dagegen in Schwaben Klerus
und Volk, voran der Bischof und die katholische Facultät, sich um der Ein¬
heit der Kirche willen den Anforderungen Roms unbedingt unterworfen; und
doch hatte man gerade hier nach den früheren Erklärungen mehrerer kirchlichen
Notabilitäten und Angesichts der demokratisch-klerikalen Coalition besondere
Beweise von Charakterstärke erwartet. Das Ministerium ist daher — fast
allein in ganz Deutschland — in der glücklichen Lage, von der Stärke seines
weltlichen Arms auch nicht in einem einzigen Fall eine Probe ablegen zu
müssen; ja die ultramontane Presse macht jetzt nicht ohne Grund darauf auf¬
merksam, daß unsere Negierung auch allein im vorigen Jahre von den zu
Rom versammelten Kirchenvätern wegen ihres Verhaltens gegenüber der katho¬
lischen Kirche belobt worden sei. Unsere Quietisten und mehr noch die Ultra¬
montanen geben sich denn auch bereits der Hoffnung hin, daß in Bälde den
ebenso unnöthigen als langweiligen Angriffen auf die Jnfallibilitätslehre durch
die Staatsanwaltschaft und die Gerichte ein Ende gemacht werde, da ja,
namentlich in gemischten Bezirken, bei der hülfreichen Mitwirkung der Schöffen
an den höheren Gerichten und unter Anwendung der sonst geeignet erschei¬
nenden Mittel, nicht schwer fallen könne, fernere Angriffe auf jenes Dogma
als „Herabwürdigung der Lehren einer im Staat anerkannten Religionsgesell¬
schaft" oder künftighin als „Beschimvfrmg einer Einrichtung der katholischen
Kirche" mit der Strafe der Blasphemie, d. h. Gefängniß bis zu 3 Jahren
zu belegen. Damit wäre dann auch von selbst die Frage entschieden, welche
Tragweite der Erklärung des Ministeriums beizulegen sei, nach welcher dasselbe
den Concilsdecreten keinerlei Rechtswirkung auf staatliche Verhältnisse zuge¬
stehen will, ob namentlich die Justiz und die Gefängnisse nicht zu diesen
staatlichen Verhältnissen gehören. — Uebrigens dürfte die schwäbische Bevöl¬
kerung rasch aus ihrem dermaligen Schlummer erwachen, denn schon auf den
21. d. M. ist der Landtag nach Stuttgart einberufen und was er bringen
wird, ist für die Meisten wenig erfreulich, nämlich neben der Ausgabe von
3 Millionen Papiergeld eine Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuer um
50 °/o, sämmtlicher übrigen Steuern um 23 "/<>.

Auch ohne die Erhöhung des Militäretats durch den Eintritt in das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126353"/>
          <p xml:id="ID_68" prev="#ID_67"> den &#x201E;württembergischen Staatsanzeiger" in dieser Sache Schweigen Gold ge¬<lb/>
wesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_69"> Die eigenthümliche Lethargie, in welche der Schwabe nach jeder größeren<lb/>
Aufregung in politischen und anderen Dingen zurück zu fallen pflegt, und<lb/>
welche nach der Aufrüttelung durch die Kriegsmonate mit dem Abschlüsse des<lb/>
Friedens nicht ausbleiben konnte, zeigte sich übrigens nicht allein gegenüber<lb/>
dem Reichstag, sondern auch in anderen Fragen. Während in Bayern der<lb/>
Streit um die Jnfallibilität den ganzen Staat erschütterte und der Sturm<lb/>
dort noch heute nicht zur Ruhe gelangt ist, hat dagegen in Schwaben Klerus<lb/>
und Volk, voran der Bischof und die katholische Facultät, sich um der Ein¬<lb/>
heit der Kirche willen den Anforderungen Roms unbedingt unterworfen; und<lb/>
doch hatte man gerade hier nach den früheren Erklärungen mehrerer kirchlichen<lb/>
Notabilitäten und Angesichts der demokratisch-klerikalen Coalition besondere<lb/>
Beweise von Charakterstärke erwartet. Das Ministerium ist daher &#x2014; fast<lb/>
allein in ganz Deutschland &#x2014; in der glücklichen Lage, von der Stärke seines<lb/>
weltlichen Arms auch nicht in einem einzigen Fall eine Probe ablegen zu<lb/>
müssen; ja die ultramontane Presse macht jetzt nicht ohne Grund darauf auf¬<lb/>
merksam, daß unsere Negierung auch allein im vorigen Jahre von den zu<lb/>
Rom versammelten Kirchenvätern wegen ihres Verhaltens gegenüber der katho¬<lb/>
lischen Kirche belobt worden sei. Unsere Quietisten und mehr noch die Ultra¬<lb/>
montanen geben sich denn auch bereits der Hoffnung hin, daß in Bälde den<lb/>
ebenso unnöthigen als langweiligen Angriffen auf die Jnfallibilitätslehre durch<lb/>
die Staatsanwaltschaft und die Gerichte ein Ende gemacht werde, da ja,<lb/>
namentlich in gemischten Bezirken, bei der hülfreichen Mitwirkung der Schöffen<lb/>
an den höheren Gerichten und unter Anwendung der sonst geeignet erschei¬<lb/>
nenden Mittel, nicht schwer fallen könne, fernere Angriffe auf jenes Dogma<lb/>
als &#x201E;Herabwürdigung der Lehren einer im Staat anerkannten Religionsgesell¬<lb/>
schaft" oder künftighin als &#x201E;Beschimvfrmg einer Einrichtung der katholischen<lb/>
Kirche" mit der Strafe der Blasphemie, d. h. Gefängniß bis zu 3 Jahren<lb/>
zu belegen. Damit wäre dann auch von selbst die Frage entschieden, welche<lb/>
Tragweite der Erklärung des Ministeriums beizulegen sei, nach welcher dasselbe<lb/>
den Concilsdecreten keinerlei Rechtswirkung auf staatliche Verhältnisse zuge¬<lb/>
stehen will, ob namentlich die Justiz und die Gefängnisse nicht zu diesen<lb/>
staatlichen Verhältnissen gehören. &#x2014; Uebrigens dürfte die schwäbische Bevöl¬<lb/>
kerung rasch aus ihrem dermaligen Schlummer erwachen, denn schon auf den<lb/>
21. d. M. ist der Landtag nach Stuttgart einberufen und was er bringen<lb/>
wird, ist für die Meisten wenig erfreulich, nämlich neben der Ausgabe von<lb/>
3 Millionen Papiergeld eine Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuer um<lb/>
50 °/o, sämmtlicher übrigen Steuern um 23 "/&lt;&gt;.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_70" next="#ID_71"> Auch ohne die Erhöhung des Militäretats durch den Eintritt in das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] den „württembergischen Staatsanzeiger" in dieser Sache Schweigen Gold ge¬ wesen. Die eigenthümliche Lethargie, in welche der Schwabe nach jeder größeren Aufregung in politischen und anderen Dingen zurück zu fallen pflegt, und welche nach der Aufrüttelung durch die Kriegsmonate mit dem Abschlüsse des Friedens nicht ausbleiben konnte, zeigte sich übrigens nicht allein gegenüber dem Reichstag, sondern auch in anderen Fragen. Während in Bayern der Streit um die Jnfallibilität den ganzen Staat erschütterte und der Sturm dort noch heute nicht zur Ruhe gelangt ist, hat dagegen in Schwaben Klerus und Volk, voran der Bischof und die katholische Facultät, sich um der Ein¬ heit der Kirche willen den Anforderungen Roms unbedingt unterworfen; und doch hatte man gerade hier nach den früheren Erklärungen mehrerer kirchlichen Notabilitäten und Angesichts der demokratisch-klerikalen Coalition besondere Beweise von Charakterstärke erwartet. Das Ministerium ist daher — fast allein in ganz Deutschland — in der glücklichen Lage, von der Stärke seines weltlichen Arms auch nicht in einem einzigen Fall eine Probe ablegen zu müssen; ja die ultramontane Presse macht jetzt nicht ohne Grund darauf auf¬ merksam, daß unsere Negierung auch allein im vorigen Jahre von den zu Rom versammelten Kirchenvätern wegen ihres Verhaltens gegenüber der katho¬ lischen Kirche belobt worden sei. Unsere Quietisten und mehr noch die Ultra¬ montanen geben sich denn auch bereits der Hoffnung hin, daß in Bälde den ebenso unnöthigen als langweiligen Angriffen auf die Jnfallibilitätslehre durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte ein Ende gemacht werde, da ja, namentlich in gemischten Bezirken, bei der hülfreichen Mitwirkung der Schöffen an den höheren Gerichten und unter Anwendung der sonst geeignet erschei¬ nenden Mittel, nicht schwer fallen könne, fernere Angriffe auf jenes Dogma als „Herabwürdigung der Lehren einer im Staat anerkannten Religionsgesell¬ schaft" oder künftighin als „Beschimvfrmg einer Einrichtung der katholischen Kirche" mit der Strafe der Blasphemie, d. h. Gefängniß bis zu 3 Jahren zu belegen. Damit wäre dann auch von selbst die Frage entschieden, welche Tragweite der Erklärung des Ministeriums beizulegen sei, nach welcher dasselbe den Concilsdecreten keinerlei Rechtswirkung auf staatliche Verhältnisse zuge¬ stehen will, ob namentlich die Justiz und die Gefängnisse nicht zu diesen staatlichen Verhältnissen gehören. — Uebrigens dürfte die schwäbische Bevöl¬ kerung rasch aus ihrem dermaligen Schlummer erwachen, denn schon auf den 21. d. M. ist der Landtag nach Stuttgart einberufen und was er bringen wird, ist für die Meisten wenig erfreulich, nämlich neben der Ausgabe von 3 Millionen Papiergeld eine Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuer um 50 °/o, sämmtlicher übrigen Steuern um 23 "/<>. Auch ohne die Erhöhung des Militäretats durch den Eintritt in das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/37>, abgerufen am 24.07.2024.