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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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harten für die Aufgaben der Bibliothek gebricht, zum Bibliothekbeamten
machen oder in dieser Stellung lassen? Ich gewiß am letzten.

Ich stimme der Ansicht vollkommen bei, daß eine Bestimmung verwerflich
ist, wie sie sich noch in dem Reglement für die Universitätsbibliothek in Bonn
aus dem Jahre 1819 findet. "Der Oberbibliothekar muß jedesmal ein
Professor der Universität sein"; denn die Möglichkeit, daß Niemand aus dem
Lehrercollegium einer Universität dazu geschickt oder gewillt ist, den Posten
gehörig auszufüllen, ist begreiflich nicht ausgeschlossen. Freilich stellt die
Brochüre an den Vorstand der Bibliothek Anforderungen, denen, ich kann es
wohl sagen, ohne meinen Collegen zu nahe zu treten, nie ein Professor ge¬
nügen wird. Für den Leiter einer Universitätsbibliothek ist unerläßliche Bor¬
bedingung, daß derselbe mit der geschichtlichen Entwickelung sämmtlicher
Zweige der wissenschaftlichen Forschung, den verschiedenen, in jeder Disciplin
früher und jetzt (warum nicht auch zukünftig?) vorhandenen'Hauptrichtungen,
den Vertretern und Organen derselben derartig vertraut ist, daß er bei gleich¬
zeitiger Beachtung der erwähnten speciellen Gesichtspunkte stets das Richtige
trifft. Ein so gewiegter Bibliograph und Bibliothekenkenner wie Robert von
Mohl hatte in seiner Bescheidenheit sich zu der Aeußerung verleiten lassen:
"es kann bei Auswahl unter den Büchern an Mißgriffen positiver und nega¬
tiver Art nicht fehlen." Nein, ruft mein Gegner aus. "Allerdings kann und
soll es durchaus an solchen Mißgriffen fehlen." Aber will denn Jemand im
Ernst behaupten, daß es unter den NichtProfessoren Exemplare giebt, welche
so über alles Maß gespannten Anforderungen Genüge leisten können? Ich
wüßte dazu nur das eine Mittel, daß der Oberbibliothekar Instruktionen und
Inspirationen von dem unfehlbaren Papst in Rom bezöge.

Doch ich verzichte darauf, weitere Blößen zu benutzen, welche nicht im
bleibenden Wesen der Sache gegeben sind, sondern durch die Art der Sach¬
führung geschaffen werden. Vielleicht ist sogar, nachdem ich einmal zugestan¬
den habe, daß nur ein Docent die Leitung der Bibliothek übernehmen und
behalten soll, welcher mit Pflichttreue auch Sachkenntniß und Neigung ver¬
bindet, eine Verständigung leichter, als es den Anschein hat. Meine Gegner
setzen voraus, der Professor, der zugleich als Bibliothekar fungire, betrachte
diese Thätigkeit nur als "Ehrenamt, Nebenamt, Sineeure." Ich aber bin
weit davon entfernt, einem Docenten das Wort zu reden, der seine bibliothe¬
karischen Aufgaben nur so beiläufig erledigen und über die Achsel ansehen
würde. Vielmehr -verlange ich, daß der Professor auf der Bibliothek seinen
Mann ebenso voll stellt wie auf dem Katheder, und daß er sich der einen
Seite seines Berufs mit gleichem Eifer hingiebt wie der andern. Freilich
werden diese Bedingungen nicht von allen Docenten erfüllt werden;
dem einen wird die Lust, dem andern die Zeit, einem Dritten die


harten für die Aufgaben der Bibliothek gebricht, zum Bibliothekbeamten
machen oder in dieser Stellung lassen? Ich gewiß am letzten.

Ich stimme der Ansicht vollkommen bei, daß eine Bestimmung verwerflich
ist, wie sie sich noch in dem Reglement für die Universitätsbibliothek in Bonn
aus dem Jahre 1819 findet. „Der Oberbibliothekar muß jedesmal ein
Professor der Universität sein"; denn die Möglichkeit, daß Niemand aus dem
Lehrercollegium einer Universität dazu geschickt oder gewillt ist, den Posten
gehörig auszufüllen, ist begreiflich nicht ausgeschlossen. Freilich stellt die
Brochüre an den Vorstand der Bibliothek Anforderungen, denen, ich kann es
wohl sagen, ohne meinen Collegen zu nahe zu treten, nie ein Professor ge¬
nügen wird. Für den Leiter einer Universitätsbibliothek ist unerläßliche Bor¬
bedingung, daß derselbe mit der geschichtlichen Entwickelung sämmtlicher
Zweige der wissenschaftlichen Forschung, den verschiedenen, in jeder Disciplin
früher und jetzt (warum nicht auch zukünftig?) vorhandenen'Hauptrichtungen,
den Vertretern und Organen derselben derartig vertraut ist, daß er bei gleich¬
zeitiger Beachtung der erwähnten speciellen Gesichtspunkte stets das Richtige
trifft. Ein so gewiegter Bibliograph und Bibliothekenkenner wie Robert von
Mohl hatte in seiner Bescheidenheit sich zu der Aeußerung verleiten lassen:
„es kann bei Auswahl unter den Büchern an Mißgriffen positiver und nega¬
tiver Art nicht fehlen." Nein, ruft mein Gegner aus. „Allerdings kann und
soll es durchaus an solchen Mißgriffen fehlen." Aber will denn Jemand im
Ernst behaupten, daß es unter den NichtProfessoren Exemplare giebt, welche
so über alles Maß gespannten Anforderungen Genüge leisten können? Ich
wüßte dazu nur das eine Mittel, daß der Oberbibliothekar Instruktionen und
Inspirationen von dem unfehlbaren Papst in Rom bezöge.

Doch ich verzichte darauf, weitere Blößen zu benutzen, welche nicht im
bleibenden Wesen der Sache gegeben sind, sondern durch die Art der Sach¬
führung geschaffen werden. Vielleicht ist sogar, nachdem ich einmal zugestan¬
den habe, daß nur ein Docent die Leitung der Bibliothek übernehmen und
behalten soll, welcher mit Pflichttreue auch Sachkenntniß und Neigung ver¬
bindet, eine Verständigung leichter, als es den Anschein hat. Meine Gegner
setzen voraus, der Professor, der zugleich als Bibliothekar fungire, betrachte
diese Thätigkeit nur als „Ehrenamt, Nebenamt, Sineeure." Ich aber bin
weit davon entfernt, einem Docenten das Wort zu reden, der seine bibliothe¬
karischen Aufgaben nur so beiläufig erledigen und über die Achsel ansehen
würde. Vielmehr -verlange ich, daß der Professor auf der Bibliothek seinen
Mann ebenso voll stellt wie auf dem Katheder, und daß er sich der einen
Seite seines Berufs mit gleichem Eifer hingiebt wie der andern. Freilich
werden diese Bedingungen nicht von allen Docenten erfüllt werden;
dem einen wird die Lust, dem andern die Zeit, einem Dritten die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/359>, abgerufen am 25.07.2024.