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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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blickt er sie mit freundlichem Blicke der Dankbarkeit an, weint nicht um
die verengte Wohnstätte und wünscht sich die Kindlichkeit nicht zurück,
um sie nicht verlassen zu dürfen. Ebenso Nationen. Auch im philo¬
sophischen Gewände sollte ihnen kein zusammenziehender Gesichtspunkt
einer ausschließlichen, engbrüstigen Kleinlichkeit aufgedrungen werden, der,
Patriotismus fehlgetauft, schon lange Deutschlands Gauen im politischen
Kindesalter zurückhielt und seiner eigentlichen Gestalt und Wesenheit ' nach
in den geistlichen Staaten und Reichsstädten am genauesten zu ersehen war.
Auch philosophisch geschmückt sollte keine Hand die Anzeichen und Mittel des
Aufschwungs zum Höheren, Vollendetern mit Bedenklichkeiten umgarnen und
durch Schrecken entwürdigen: beide verschwinden vor der ernstern, verdeut¬
lichenden Prüfung. Der hieraus entstehende, der in diesen Reden gepredigte
philosophische Quietismus würde nicht nur jede Anlage zur Nationalität,
sondern zur-wahren menschlichen Veredlung entnerven, und die Philosophie,
die etwas ähnliches unternehmen wollte, träte gegen das von ihr mißhandelte
Volk auf, wie einst Cybele gegen Atys oder der Mönchsgeist gegen den Bür¬
gersinn."

Hegel sagte nach der Schlacht bei Jena: "Wie ich schon früher that, so
wünschen nun Alle der französischen Armee Glück" und in der Bambergischen
Zeitung, die er eine Zeitlang herausgab, spottete er über "nordgermanischen
Patriotismus." Heinrich Dietrich vonBülow, der Bruder Bülows von Denne-
witz, verfaßte eine Schrift: "Der Feldzug von 1805", die man wenigstens so auf¬
faßte, als schildere sie die Nothwendigkeit und Liebenswürdigkeit der Universal¬
monarchie. Karl Grattenauer äußerte in seiner Vorlesung "über die Saga-
cität als herrschendes Princip der Zeit" (Glogau, 1808): "Im feurigen Busch
feiner Thaten sehen wir in Napoleon die unmittelbare Erscheinung Gottes;
wer nicht den Unsichtbaren erkennt in ihm, der erkennt ihn nie." "Gott ist,
denn er ist, und Gott ist in ihm." Die Universität Leipzig endlich versetzte
auf Betrieb des Oberhofgerichts-Assessor Erhard, allerdings, wie es scheint,
ohne legalen Corporationsbeschluß, den Namen Napoleons in die Sterne und
erfand ein Napoleons-Gestirn.

Der Particularismus trieb in dieser Zeit, die ja, wie sie der Anfang der
Erhebung ist, so auch die Grenze des tiefsten politischen Verfalls der deutschen
Nation bezeichnet, seine giftigsten Blüthen. Unter den Fürsten der kleinen
Staaten gab es wenige, die auch nur durch ihren Privatcharakter hervorragten.
D alberg ernannte als Kurfürst Erzkanzler noch vor Errichtung des Rhein¬
bundes unter grober Rechtsverletzung den Cardinal Fesch zu seinem Coadjutor
und Nachfolger. Der König Friedrich von Württemberg erließ trotz
Artikel 31 der Rheinbundsaete an alle mediatisirten Fürsten und Grafen seines


blickt er sie mit freundlichem Blicke der Dankbarkeit an, weint nicht um
die verengte Wohnstätte und wünscht sich die Kindlichkeit nicht zurück,
um sie nicht verlassen zu dürfen. Ebenso Nationen. Auch im philo¬
sophischen Gewände sollte ihnen kein zusammenziehender Gesichtspunkt
einer ausschließlichen, engbrüstigen Kleinlichkeit aufgedrungen werden, der,
Patriotismus fehlgetauft, schon lange Deutschlands Gauen im politischen
Kindesalter zurückhielt und seiner eigentlichen Gestalt und Wesenheit ' nach
in den geistlichen Staaten und Reichsstädten am genauesten zu ersehen war.
Auch philosophisch geschmückt sollte keine Hand die Anzeichen und Mittel des
Aufschwungs zum Höheren, Vollendetern mit Bedenklichkeiten umgarnen und
durch Schrecken entwürdigen: beide verschwinden vor der ernstern, verdeut¬
lichenden Prüfung. Der hieraus entstehende, der in diesen Reden gepredigte
philosophische Quietismus würde nicht nur jede Anlage zur Nationalität,
sondern zur-wahren menschlichen Veredlung entnerven, und die Philosophie,
die etwas ähnliches unternehmen wollte, träte gegen das von ihr mißhandelte
Volk auf, wie einst Cybele gegen Atys oder der Mönchsgeist gegen den Bür¬
gersinn."

Hegel sagte nach der Schlacht bei Jena: „Wie ich schon früher that, so
wünschen nun Alle der französischen Armee Glück" und in der Bambergischen
Zeitung, die er eine Zeitlang herausgab, spottete er über „nordgermanischen
Patriotismus." Heinrich Dietrich vonBülow, der Bruder Bülows von Denne-
witz, verfaßte eine Schrift: „Der Feldzug von 1805", die man wenigstens so auf¬
faßte, als schildere sie die Nothwendigkeit und Liebenswürdigkeit der Universal¬
monarchie. Karl Grattenauer äußerte in seiner Vorlesung „über die Saga-
cität als herrschendes Princip der Zeit" (Glogau, 1808): „Im feurigen Busch
feiner Thaten sehen wir in Napoleon die unmittelbare Erscheinung Gottes;
wer nicht den Unsichtbaren erkennt in ihm, der erkennt ihn nie." „Gott ist,
denn er ist, und Gott ist in ihm." Die Universität Leipzig endlich versetzte
auf Betrieb des Oberhofgerichts-Assessor Erhard, allerdings, wie es scheint,
ohne legalen Corporationsbeschluß, den Namen Napoleons in die Sterne und
erfand ein Napoleons-Gestirn.

Der Particularismus trieb in dieser Zeit, die ja, wie sie der Anfang der
Erhebung ist, so auch die Grenze des tiefsten politischen Verfalls der deutschen
Nation bezeichnet, seine giftigsten Blüthen. Unter den Fürsten der kleinen
Staaten gab es wenige, die auch nur durch ihren Privatcharakter hervorragten.
D alberg ernannte als Kurfürst Erzkanzler noch vor Errichtung des Rhein¬
bundes unter grober Rechtsverletzung den Cardinal Fesch zu seinem Coadjutor
und Nachfolger. Der König Friedrich von Württemberg erließ trotz
Artikel 31 der Rheinbundsaete an alle mediatisirten Fürsten und Grafen seines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/352>, abgerufen am 24.07.2024.