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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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auszubeuten, an den durchaus, wir sagen nicht republikanisch, sondern anti¬
monarchisch ausgefallenen Nachwahlen gescheitert ist. Der Bauer kennt nur
eine Monarchie: den auf den Clerus sich stützenden bonapartischen Cäsarismus.
Trennen sich Clerus und Bonapartismus, so fällt er sofort Einflüssen an¬
derer Gattung anheim. Bei den Hauptwahlen wurde er allerdings noch durch
sein eigenstes Interesse, durch das Friedensbedürfniß geleitet, bei den Nach¬
wahlen wurde er von der Strömung der großstädtischen öffentlichen Meinung
fortgerissen. Er hat für die Republik gestimmt, weil ihm der Graf von
Chambord und die Orleans gleichgültig sind, und weil die Desorganisation
des Bonapartismus ihm unmöglich machte, im Sinne des letzten Ple¬
biscits zu stimmen.

So beherrschen denn gegenwärtig die Republikaner die Lage. Aber welche
Republikaner, die bürgerlichen unter Thiers Führung, oder die radicalen?
Zunächst ohne Zweifel die bürgerlichen. Der Sieg der Thiers'schen Regierung
über die Commune hat dem Bürgerthum für den Augenblick eine Macht in
die Hände gespielt, die es lange nicht besessen hat und die es zum Theil, sei¬
nen Traditionen getreu, in ziemlich engherziger Weise auszubeuten suchte
Aber in Gambetta, der um so gefährlicher ist, je mehr er bemüht ist, mit
berechneter Mäßigung aufzutreten, hat der Radicalismus bereits seinen Führer
gefunden und in die Nationalversammlung entsandt. Der Kampf der Par¬
teien scheint sich daher zunächst zu einer Machtfrage zwischen Thiers und
Gambetta zuzuspitzen. Der Ausgang dieses Kampfes, die Wirkung, die der¬
selbe auf die gegenwärtig zu Boden liegenden Parteien ausüben wird, läßt
sich augenblicklich um so weniger voraussehen, da ein ganz neues Element
sich anschickt, die Kampfhahn zu betreten: das sind die politisirenden Gene¬
rale. Der schreiblustigste unter ihnen, Faidherbe, hat bereits sein Pronun-
eiamento für Gambetta in die Welt geschickt, und andere werden folgen.*)
Eine üppige Entwickelung dieses Elementes -- das bis jetzt in Frankreich
unter der Wucht des Staatsgedankens nicht hat aufkommen können -- würde
das französische Parteiwesen in ganz neue, aber gewiß nicht seltsamere Bahnen
als die bisher betretenen drängen.


D. Red.



*) General Chamzy ist bereits gefolgt-

auszubeuten, an den durchaus, wir sagen nicht republikanisch, sondern anti¬
monarchisch ausgefallenen Nachwahlen gescheitert ist. Der Bauer kennt nur
eine Monarchie: den auf den Clerus sich stützenden bonapartischen Cäsarismus.
Trennen sich Clerus und Bonapartismus, so fällt er sofort Einflüssen an¬
derer Gattung anheim. Bei den Hauptwahlen wurde er allerdings noch durch
sein eigenstes Interesse, durch das Friedensbedürfniß geleitet, bei den Nach¬
wahlen wurde er von der Strömung der großstädtischen öffentlichen Meinung
fortgerissen. Er hat für die Republik gestimmt, weil ihm der Graf von
Chambord und die Orleans gleichgültig sind, und weil die Desorganisation
des Bonapartismus ihm unmöglich machte, im Sinne des letzten Ple¬
biscits zu stimmen.

So beherrschen denn gegenwärtig die Republikaner die Lage. Aber welche
Republikaner, die bürgerlichen unter Thiers Führung, oder die radicalen?
Zunächst ohne Zweifel die bürgerlichen. Der Sieg der Thiers'schen Regierung
über die Commune hat dem Bürgerthum für den Augenblick eine Macht in
die Hände gespielt, die es lange nicht besessen hat und die es zum Theil, sei¬
nen Traditionen getreu, in ziemlich engherziger Weise auszubeuten suchte
Aber in Gambetta, der um so gefährlicher ist, je mehr er bemüht ist, mit
berechneter Mäßigung aufzutreten, hat der Radicalismus bereits seinen Führer
gefunden und in die Nationalversammlung entsandt. Der Kampf der Par¬
teien scheint sich daher zunächst zu einer Machtfrage zwischen Thiers und
Gambetta zuzuspitzen. Der Ausgang dieses Kampfes, die Wirkung, die der¬
selbe auf die gegenwärtig zu Boden liegenden Parteien ausüben wird, läßt
sich augenblicklich um so weniger voraussehen, da ein ganz neues Element
sich anschickt, die Kampfhahn zu betreten: das sind die politisirenden Gene¬
rale. Der schreiblustigste unter ihnen, Faidherbe, hat bereits sein Pronun-
eiamento für Gambetta in die Welt geschickt, und andere werden folgen.*)
Eine üppige Entwickelung dieses Elementes — das bis jetzt in Frankreich
unter der Wucht des Staatsgedankens nicht hat aufkommen können — würde
das französische Parteiwesen in ganz neue, aber gewiß nicht seltsamere Bahnen
als die bisher betretenen drängen.


D. Red.



*) General Chamzy ist bereits gefolgt-
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[0341] auszubeuten, an den durchaus, wir sagen nicht republikanisch, sondern anti¬ monarchisch ausgefallenen Nachwahlen gescheitert ist. Der Bauer kennt nur eine Monarchie: den auf den Clerus sich stützenden bonapartischen Cäsarismus. Trennen sich Clerus und Bonapartismus, so fällt er sofort Einflüssen an¬ derer Gattung anheim. Bei den Hauptwahlen wurde er allerdings noch durch sein eigenstes Interesse, durch das Friedensbedürfniß geleitet, bei den Nach¬ wahlen wurde er von der Strömung der großstädtischen öffentlichen Meinung fortgerissen. Er hat für die Republik gestimmt, weil ihm der Graf von Chambord und die Orleans gleichgültig sind, und weil die Desorganisation des Bonapartismus ihm unmöglich machte, im Sinne des letzten Ple¬ biscits zu stimmen. So beherrschen denn gegenwärtig die Republikaner die Lage. Aber welche Republikaner, die bürgerlichen unter Thiers Führung, oder die radicalen? Zunächst ohne Zweifel die bürgerlichen. Der Sieg der Thiers'schen Regierung über die Commune hat dem Bürgerthum für den Augenblick eine Macht in die Hände gespielt, die es lange nicht besessen hat und die es zum Theil, sei¬ nen Traditionen getreu, in ziemlich engherziger Weise auszubeuten suchte Aber in Gambetta, der um so gefährlicher ist, je mehr er bemüht ist, mit berechneter Mäßigung aufzutreten, hat der Radicalismus bereits seinen Führer gefunden und in die Nationalversammlung entsandt. Der Kampf der Par¬ teien scheint sich daher zunächst zu einer Machtfrage zwischen Thiers und Gambetta zuzuspitzen. Der Ausgang dieses Kampfes, die Wirkung, die der¬ selbe auf die gegenwärtig zu Boden liegenden Parteien ausüben wird, läßt sich augenblicklich um so weniger voraussehen, da ein ganz neues Element sich anschickt, die Kampfhahn zu betreten: das sind die politisirenden Gene¬ rale. Der schreiblustigste unter ihnen, Faidherbe, hat bereits sein Pronun- eiamento für Gambetta in die Welt geschickt, und andere werden folgen.*) Eine üppige Entwickelung dieses Elementes — das bis jetzt in Frankreich unter der Wucht des Staatsgedankens nicht hat aufkommen können — würde das französische Parteiwesen in ganz neue, aber gewiß nicht seltsamere Bahnen als die bisher betretenen drängen. D. Red. *) General Chamzy ist bereits gefolgt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/341>, abgerufen am 24.07.2024.