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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Zweckes bedienten, um dessen Erreichung heutzutage ein Gewerkverein keinen
Finger mehr rühren würde.

Daß die Schilderung dieser Kämpfe ihren Stoff aus verschiedenen Indu¬
striezweigen, nämlich 1. aus Gewerben, welche dem Gesetze der Elisabeth unter¬
worfen waren (Wollenmanufactur, Schiffbauer, Hutmacher, Schneider), 2. aus
zünftigen Gewerben, welche durch königliche Verordnung Corporationsrechte
erhalten hatten (Strumpfwirker, Messerschmiede) und 3. aus ganz freien Ge¬
werben (Kattundruckerei, Baumwollen- und Seiden-Spinnerei und Weberei)
entlehnt, macht das Bild belebt und beweiset zugleich , wie durchgreifend die
Umwälzungen waren, welche der Uebergang vom Klein- zum Großbetriebe
hervorrief, wie gleichartig der dadurch erzeugte Druck und wie ähnlich die
Mittel der Bedrückten, ihre Lage zu verbessern.

Das zweite Capitel, überschrieben: "der moderne englische Ge¬
werkverein" dünkt uns der werthvollste Theil des in so vielen Richtungen
lehrreichen Buches. Im Eingange schildert der Verf. die verschiedenen Phasen
der Entwickelung der englischen Gewerkvereine folgendermaßen: "Die erste
Phase beginnt mit dem Entstehen der ersten rein ephemeren Coalitionen und
umfaßt die Zeit, in der die alte Ordnung der Industrie zwar gesetzmäßig
noch bestand, factisch jedoch überall in Auflösung begriffen war. Wurde hier
die alte Ordnung verletzt und kamen die Arbeiter in Folge dessen in Noth,
so gab ihnen doch das Gesetz noch Anspruch auf gerichtliche Beseitigung der
sie drückenden Nothstände. Demgemäß beabsichtigen die Arbeitereoalitionen
vor Allem gerichtliche Durchführung der bestehenden Gesetze im Fall ihrer
Verletzung. Nur wo die Arbeiter gar nicht das Lehrlingsgesetz, den Act SM
Eliz. o. 4, kennen, oder wo die Richter seine Durchführung verweigern, finden
sich Arbeitseinstellungen; Gewaltthätigkeiten nur da, wo die Abschaffung der
schützenden Gesetze bereits alle Hoffnung aus gesetzliche Hülfe zerstört hat, wie
bei den Tuchmachern" (1805), "oder bet solch schamloser Ausbeutung der
Arbeiter durch die Arbeitgeber, wie im Falle der Strumpfwirker" (Notting¬
ham 1779.)

"Die zweite Phase umfaßt die Periode von der Zeit des Widerrufes der
alten gesetzlichen Regelungen der Arbeit bei fortbestehendem Verbote der
Selbsthülfe mittelst Koalition; für die meisten Gewerbe also die Zeit seit der
Abschaffung des Gesetzes der Elisabeth im Jahre 1814 bis 1824. Für ein¬
zelne Gewerbe, wie für die Tuchmacher, war die alte Ordnung allerdings be¬
reits früher gesetzlich aufgehoben. Sehr wenige Gewerbe dagegen in Städten
mit Corporationsrechten, wie die "IKames' ^Vatörmsn s,va I.igtit<zrwkn" zu
London, werden noch jetzt rechtsgültig von einer Zunft nach jenen alten Ge¬
setzen geleitet. In dieser zweiten Periode wuchern die Gewerkvereine in allen
Gewerben hervor. Die Charakteristik derselben in dieser Zeit ist tiefe Noth


Zweckes bedienten, um dessen Erreichung heutzutage ein Gewerkverein keinen
Finger mehr rühren würde.

Daß die Schilderung dieser Kämpfe ihren Stoff aus verschiedenen Indu¬
striezweigen, nämlich 1. aus Gewerben, welche dem Gesetze der Elisabeth unter¬
worfen waren (Wollenmanufactur, Schiffbauer, Hutmacher, Schneider), 2. aus
zünftigen Gewerben, welche durch königliche Verordnung Corporationsrechte
erhalten hatten (Strumpfwirker, Messerschmiede) und 3. aus ganz freien Ge¬
werben (Kattundruckerei, Baumwollen- und Seiden-Spinnerei und Weberei)
entlehnt, macht das Bild belebt und beweiset zugleich , wie durchgreifend die
Umwälzungen waren, welche der Uebergang vom Klein- zum Großbetriebe
hervorrief, wie gleichartig der dadurch erzeugte Druck und wie ähnlich die
Mittel der Bedrückten, ihre Lage zu verbessern.

Das zweite Capitel, überschrieben: „der moderne englische Ge¬
werkverein" dünkt uns der werthvollste Theil des in so vielen Richtungen
lehrreichen Buches. Im Eingange schildert der Verf. die verschiedenen Phasen
der Entwickelung der englischen Gewerkvereine folgendermaßen: „Die erste
Phase beginnt mit dem Entstehen der ersten rein ephemeren Coalitionen und
umfaßt die Zeit, in der die alte Ordnung der Industrie zwar gesetzmäßig
noch bestand, factisch jedoch überall in Auflösung begriffen war. Wurde hier
die alte Ordnung verletzt und kamen die Arbeiter in Folge dessen in Noth,
so gab ihnen doch das Gesetz noch Anspruch auf gerichtliche Beseitigung der
sie drückenden Nothstände. Demgemäß beabsichtigen die Arbeitereoalitionen
vor Allem gerichtliche Durchführung der bestehenden Gesetze im Fall ihrer
Verletzung. Nur wo die Arbeiter gar nicht das Lehrlingsgesetz, den Act SM
Eliz. o. 4, kennen, oder wo die Richter seine Durchführung verweigern, finden
sich Arbeitseinstellungen; Gewaltthätigkeiten nur da, wo die Abschaffung der
schützenden Gesetze bereits alle Hoffnung aus gesetzliche Hülfe zerstört hat, wie
bei den Tuchmachern" (1805), „oder bet solch schamloser Ausbeutung der
Arbeiter durch die Arbeitgeber, wie im Falle der Strumpfwirker" (Notting¬
ham 1779.)

„Die zweite Phase umfaßt die Periode von der Zeit des Widerrufes der
alten gesetzlichen Regelungen der Arbeit bei fortbestehendem Verbote der
Selbsthülfe mittelst Koalition; für die meisten Gewerbe also die Zeit seit der
Abschaffung des Gesetzes der Elisabeth im Jahre 1814 bis 1824. Für ein¬
zelne Gewerbe, wie für die Tuchmacher, war die alte Ordnung allerdings be¬
reits früher gesetzlich aufgehoben. Sehr wenige Gewerbe dagegen in Städten
mit Corporationsrechten, wie die „IKames' ^Vatörmsn s,va I.igtit<zrwkn" zu
London, werden noch jetzt rechtsgültig von einer Zunft nach jenen alten Ge¬
setzen geleitet. In dieser zweiten Periode wuchern die Gewerkvereine in allen
Gewerben hervor. Die Charakteristik derselben in dieser Zeit ist tiefe Noth


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[0316] Zweckes bedienten, um dessen Erreichung heutzutage ein Gewerkverein keinen Finger mehr rühren würde. Daß die Schilderung dieser Kämpfe ihren Stoff aus verschiedenen Indu¬ striezweigen, nämlich 1. aus Gewerben, welche dem Gesetze der Elisabeth unter¬ worfen waren (Wollenmanufactur, Schiffbauer, Hutmacher, Schneider), 2. aus zünftigen Gewerben, welche durch königliche Verordnung Corporationsrechte erhalten hatten (Strumpfwirker, Messerschmiede) und 3. aus ganz freien Ge¬ werben (Kattundruckerei, Baumwollen- und Seiden-Spinnerei und Weberei) entlehnt, macht das Bild belebt und beweiset zugleich , wie durchgreifend die Umwälzungen waren, welche der Uebergang vom Klein- zum Großbetriebe hervorrief, wie gleichartig der dadurch erzeugte Druck und wie ähnlich die Mittel der Bedrückten, ihre Lage zu verbessern. Das zweite Capitel, überschrieben: „der moderne englische Ge¬ werkverein" dünkt uns der werthvollste Theil des in so vielen Richtungen lehrreichen Buches. Im Eingange schildert der Verf. die verschiedenen Phasen der Entwickelung der englischen Gewerkvereine folgendermaßen: „Die erste Phase beginnt mit dem Entstehen der ersten rein ephemeren Coalitionen und umfaßt die Zeit, in der die alte Ordnung der Industrie zwar gesetzmäßig noch bestand, factisch jedoch überall in Auflösung begriffen war. Wurde hier die alte Ordnung verletzt und kamen die Arbeiter in Folge dessen in Noth, so gab ihnen doch das Gesetz noch Anspruch auf gerichtliche Beseitigung der sie drückenden Nothstände. Demgemäß beabsichtigen die Arbeitereoalitionen vor Allem gerichtliche Durchführung der bestehenden Gesetze im Fall ihrer Verletzung. Nur wo die Arbeiter gar nicht das Lehrlingsgesetz, den Act SM Eliz. o. 4, kennen, oder wo die Richter seine Durchführung verweigern, finden sich Arbeitseinstellungen; Gewaltthätigkeiten nur da, wo die Abschaffung der schützenden Gesetze bereits alle Hoffnung aus gesetzliche Hülfe zerstört hat, wie bei den Tuchmachern" (1805), „oder bet solch schamloser Ausbeutung der Arbeiter durch die Arbeitgeber, wie im Falle der Strumpfwirker" (Notting¬ ham 1779.) „Die zweite Phase umfaßt die Periode von der Zeit des Widerrufes der alten gesetzlichen Regelungen der Arbeit bei fortbestehendem Verbote der Selbsthülfe mittelst Koalition; für die meisten Gewerbe also die Zeit seit der Abschaffung des Gesetzes der Elisabeth im Jahre 1814 bis 1824. Für ein¬ zelne Gewerbe, wie für die Tuchmacher, war die alte Ordnung allerdings be¬ reits früher gesetzlich aufgehoben. Sehr wenige Gewerbe dagegen in Städten mit Corporationsrechten, wie die „IKames' ^Vatörmsn s,va I.igtit<zrwkn" zu London, werden noch jetzt rechtsgültig von einer Zunft nach jenen alten Ge¬ setzen geleitet. In dieser zweiten Periode wuchern die Gewerkvereine in allen Gewerben hervor. Die Charakteristik derselben in dieser Zeit ist tiefe Noth

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/316>, abgerufen am 25.07.2024.