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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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für sie wirken würde wie eine Entziehung des Landes oder irgend welchen be¬
weglichen Eigenthumes für Eigenthümer, welche jetzt durch die Gesetze geschützt
seien. Dazu bemerkt nun Brentano auf S. 124: "Und in der That
hatten hierin die Arbeiter Recht. Denn was ist das Land Anderes, als eine
Gelegenheit, Einkünfte zu beziehen, und was hatten die Arbeiter durch ihre
siebenjährige Lehrzeit und durch die während dieser Jahre aufgebrachten Er¬
ziehungskosten Anders erworben, als eine Gelegenheit zur Beziehung von
Einkünften? Und schuldete unser Zeitalter, welches bei einer Expropriation
den Landeigenthümer für den Verlust dieser Gelegenheit entschädigt, nicht auch
jenen Arbeitern eine solche Entschädigung, zum Mindesten bis zum Betrage
der in den 7 Jahren auf Bildung im Gewerbe verwendeten Kosten? Aber
wir kennen nur Rechte des Capitals, und auch diese nur, wenn sie in ver¬
käuflichen Waaren fixirt sind." Merkt denn der eifrige Vertheidiger der "Re¬
gierungseinmischung" nicht, daß eben jene Regierungseinmischung, welche den
jungen Mann zu einer siebenjährigen Lehrzeit zwang, ihn dadurch in die
mißlichste Lage versetzen mußte? Und daß den Anspruch, den zu erwerben sie
ihn gezwungen hatte, keine Macht der Erde zu befriedigen im Stande war,
wenn es in dem fraglichen Industriezweige an Beschäftigung fehlte? Ist denn
die Aehnlichkeit zwischen dem Ansprüche des Expropriirten auf Entschädigung
und dem vermeintlichen Ansprüche des Ausgelernter auf einen bestimmten,
garantirten Lohn wirklich so frappant, daß man sich zu einer Schlußfolgerung
wie der obigen dadurch verführen lassen konnte?

Das rein Historische ist auch in diesem Abschnitte des Brentano'schen
Buches lehrreich und interessant. Er schildert uns die Kämpfe, welche seit
dem 13. bis zu Anfange unseres Jahrhunderts in verschiedenen Gewerbs-
zweigen um die Aufrechterhaltung oder Beseitigung des als Codification der
Zunftordnungen bezeichneten Act Sed- Eliz. c. 4 geführt wurden; er zeigt uns
daß die Unternehmer in den zum Großbetrieb sich entwickelten Industrie¬
zweigen sich -- u. E. mit Recht -- mehr und mehr von den für sie nicht
mehr passenden Zunftfesseln zu befreien strebten und daß jedem solchen Eman¬
cipationsversuche andererseits Coalitionen, Gewerkvereine. Arbeitseinstellungen
auf dem Fuße folgten. Die Darstellung läßt darüber keinen Zweifel, daß in
England diese Kämpfe durch eine übelangebrachte Parteinahme der Staats¬
gewalt für die ohnehin mächtigeren Classen vielfach verbittert und verschärft
wurden, daß der in sehr mannigfaltigen Formen geübte Druck auf die soge¬
nannte "Arbeiterclasse" diese in der That oft an den Rand des Verderbens
brachte, in die elendeste Lage versetzte, und daß die so Bedrückten bisweilen
die rechten Mittel zu finden wußten, um sich zu erleichtern, öfter aber, in
Folge ihres Mangels an Einsicht, sich unrichtiger Mittel zur Erreichung eines


für sie wirken würde wie eine Entziehung des Landes oder irgend welchen be¬
weglichen Eigenthumes für Eigenthümer, welche jetzt durch die Gesetze geschützt
seien. Dazu bemerkt nun Brentano auf S. 124: „Und in der That
hatten hierin die Arbeiter Recht. Denn was ist das Land Anderes, als eine
Gelegenheit, Einkünfte zu beziehen, und was hatten die Arbeiter durch ihre
siebenjährige Lehrzeit und durch die während dieser Jahre aufgebrachten Er¬
ziehungskosten Anders erworben, als eine Gelegenheit zur Beziehung von
Einkünften? Und schuldete unser Zeitalter, welches bei einer Expropriation
den Landeigenthümer für den Verlust dieser Gelegenheit entschädigt, nicht auch
jenen Arbeitern eine solche Entschädigung, zum Mindesten bis zum Betrage
der in den 7 Jahren auf Bildung im Gewerbe verwendeten Kosten? Aber
wir kennen nur Rechte des Capitals, und auch diese nur, wenn sie in ver¬
käuflichen Waaren fixirt sind." Merkt denn der eifrige Vertheidiger der „Re¬
gierungseinmischung" nicht, daß eben jene Regierungseinmischung, welche den
jungen Mann zu einer siebenjährigen Lehrzeit zwang, ihn dadurch in die
mißlichste Lage versetzen mußte? Und daß den Anspruch, den zu erwerben sie
ihn gezwungen hatte, keine Macht der Erde zu befriedigen im Stande war,
wenn es in dem fraglichen Industriezweige an Beschäftigung fehlte? Ist denn
die Aehnlichkeit zwischen dem Ansprüche des Expropriirten auf Entschädigung
und dem vermeintlichen Ansprüche des Ausgelernter auf einen bestimmten,
garantirten Lohn wirklich so frappant, daß man sich zu einer Schlußfolgerung
wie der obigen dadurch verführen lassen konnte?

Das rein Historische ist auch in diesem Abschnitte des Brentano'schen
Buches lehrreich und interessant. Er schildert uns die Kämpfe, welche seit
dem 13. bis zu Anfange unseres Jahrhunderts in verschiedenen Gewerbs-
zweigen um die Aufrechterhaltung oder Beseitigung des als Codification der
Zunftordnungen bezeichneten Act Sed- Eliz. c. 4 geführt wurden; er zeigt uns
daß die Unternehmer in den zum Großbetrieb sich entwickelten Industrie¬
zweigen sich — u. E. mit Recht — mehr und mehr von den für sie nicht
mehr passenden Zunftfesseln zu befreien strebten und daß jedem solchen Eman¬
cipationsversuche andererseits Coalitionen, Gewerkvereine. Arbeitseinstellungen
auf dem Fuße folgten. Die Darstellung läßt darüber keinen Zweifel, daß in
England diese Kämpfe durch eine übelangebrachte Parteinahme der Staats¬
gewalt für die ohnehin mächtigeren Classen vielfach verbittert und verschärft
wurden, daß der in sehr mannigfaltigen Formen geübte Druck auf die soge¬
nannte „Arbeiterclasse" diese in der That oft an den Rand des Verderbens
brachte, in die elendeste Lage versetzte, und daß die so Bedrückten bisweilen
die rechten Mittel zu finden wußten, um sich zu erleichtern, öfter aber, in
Folge ihres Mangels an Einsicht, sich unrichtiger Mittel zur Erreichung eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/315>, abgerufen am 25.07.2024.