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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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der entfesselten individuellen Interessen alle Schwierigkeiten des ökonomischen
und socialen Lebens wie durch einen zauberhaften Mechanismus zu allgemei¬
nem Wohlgefallen sich lösen." Und weiter bekundet er, daß er, unbeküm¬
mert um den Streit über die Methode, die Methode seinem Stoffe anzupassen
versteht. Dieser Stoff ist im Wesentlichen ein historischer. Für die historische
Forschung gibt es seit Ranke, v> Sybel, Mommsen, Waitz u. A. nur eine
Methode, d. i. die exacte Methode kritischer Quellenforschung. Aber, wenn
wir uns im Betreff der Stellung nicht täuschen, welche Brentano in dem
Streit über das "laisLer Kurn;" oder die bewußte Leitung der wirthschaftlichen
Angelegenheiten durch die politische Gewalt einnimmt, so müssen wir doch gestehen,
daß uns auf dem von ihm betretenen Boden die wie auch immer verhüllte Polemik
gegen die "extremen Ökonomisten" und deren "Interessen-Harmonie" gänzlich
unverständlich erscheint. Denn jene "extremen Ökonomisten," welche sich als
Ideal des Wirthschaftslebens ein Conglomerat von unter einander unzusam¬
menhängenden Einzelwirthschaften vorstellten, und die Gewerkvereine perhor-
rescirten als die Erreichung dieses Jdealzustandes hemmend, müssen erst noch
geboren werden. Im Gegentheile: zu dem Ideale der Richtung, gegen welche
Br. polemistrt, gehört die völlige Freiheit der Bewegung, also auch
die Freiheit der Vereinigung zur Durchführung gemeinschaft¬
licher Interessen.

Und, was die Methode anbelangt, so sind wir zwar mit der von dem
Herrn Verf. getroffenen Wahl so sehr einverstanden, daß wir nicht zweifeln,
sein Werk werde zum Theil mit wegen dieser richtigen Wahl überall als eine
werthvolle Bereicherung der Literatur über den hier behandelten Gegenstand
begrüßt werden. Wie aber, wenn auf die Resultate der historischen Unter¬
suchung nun Schlüsse gebaut werden sollten, wie etwa der folgende: Auf
einem großen und im Uebrigen sehr mannigfaltige wirthschaftliche und gesell¬
schaftliche Gestaltungen zeigenden Culturgebiete entstanden doch überall in sehr
früher Zeit Gilden und ging die Entwickelung des Gildenwesens im Wesent¬
lichen in folgender gleichartiger Stufenfolge vor sich: Familiengilden, Schutz¬
gilden, Handwerkergilden. Ein Theil dieses Gebietes war den anderen in
dieser Entwickelung immer um einen Schritt voraus. Dort bildete sich aus
den Handwerkergilden als neueste Gitterform der Gewerkverein. Also müssen
auch in den anderen Theilen des Culturgebietes aus den äußerlich bereits
verfallenen Handwerkergilden Gewerkvereine oder gewerkvereinsähnliche Ver¬
bindungen entstehen. Wie, wenn ein solcher Schluß eben so bestimmt ge¬
zogen werden wollte, wie er, z. B. auf S. VIII der Vorrede, ziemlich ver¬
ständlich angedeutet wird? Dann müßten wir sagen: Der Verfasser wußte,
was zu thun war, um die Entwickelung des Gildenwesens auf germa¬
nischem Boden zu erforschen, und zu schildern. Aber um zu erforschen,


der entfesselten individuellen Interessen alle Schwierigkeiten des ökonomischen
und socialen Lebens wie durch einen zauberhaften Mechanismus zu allgemei¬
nem Wohlgefallen sich lösen." Und weiter bekundet er, daß er, unbeküm¬
mert um den Streit über die Methode, die Methode seinem Stoffe anzupassen
versteht. Dieser Stoff ist im Wesentlichen ein historischer. Für die historische
Forschung gibt es seit Ranke, v> Sybel, Mommsen, Waitz u. A. nur eine
Methode, d. i. die exacte Methode kritischer Quellenforschung. Aber, wenn
wir uns im Betreff der Stellung nicht täuschen, welche Brentano in dem
Streit über das „laisLer Kurn;" oder die bewußte Leitung der wirthschaftlichen
Angelegenheiten durch die politische Gewalt einnimmt, so müssen wir doch gestehen,
daß uns auf dem von ihm betretenen Boden die wie auch immer verhüllte Polemik
gegen die „extremen Ökonomisten" und deren „Interessen-Harmonie" gänzlich
unverständlich erscheint. Denn jene „extremen Ökonomisten," welche sich als
Ideal des Wirthschaftslebens ein Conglomerat von unter einander unzusam¬
menhängenden Einzelwirthschaften vorstellten, und die Gewerkvereine perhor-
rescirten als die Erreichung dieses Jdealzustandes hemmend, müssen erst noch
geboren werden. Im Gegentheile: zu dem Ideale der Richtung, gegen welche
Br. polemistrt, gehört die völlige Freiheit der Bewegung, also auch
die Freiheit der Vereinigung zur Durchführung gemeinschaft¬
licher Interessen.

Und, was die Methode anbelangt, so sind wir zwar mit der von dem
Herrn Verf. getroffenen Wahl so sehr einverstanden, daß wir nicht zweifeln,
sein Werk werde zum Theil mit wegen dieser richtigen Wahl überall als eine
werthvolle Bereicherung der Literatur über den hier behandelten Gegenstand
begrüßt werden. Wie aber, wenn auf die Resultate der historischen Unter¬
suchung nun Schlüsse gebaut werden sollten, wie etwa der folgende: Auf
einem großen und im Uebrigen sehr mannigfaltige wirthschaftliche und gesell¬
schaftliche Gestaltungen zeigenden Culturgebiete entstanden doch überall in sehr
früher Zeit Gilden und ging die Entwickelung des Gildenwesens im Wesent¬
lichen in folgender gleichartiger Stufenfolge vor sich: Familiengilden, Schutz¬
gilden, Handwerkergilden. Ein Theil dieses Gebietes war den anderen in
dieser Entwickelung immer um einen Schritt voraus. Dort bildete sich aus
den Handwerkergilden als neueste Gitterform der Gewerkverein. Also müssen
auch in den anderen Theilen des Culturgebietes aus den äußerlich bereits
verfallenen Handwerkergilden Gewerkvereine oder gewerkvereinsähnliche Ver¬
bindungen entstehen. Wie, wenn ein solcher Schluß eben so bestimmt ge¬
zogen werden wollte, wie er, z. B. auf S. VIII der Vorrede, ziemlich ver¬
ständlich angedeutet wird? Dann müßten wir sagen: Der Verfasser wußte,
was zu thun war, um die Entwickelung des Gildenwesens auf germa¬
nischem Boden zu erforschen, und zu schildern. Aber um zu erforschen,


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[0309] der entfesselten individuellen Interessen alle Schwierigkeiten des ökonomischen und socialen Lebens wie durch einen zauberhaften Mechanismus zu allgemei¬ nem Wohlgefallen sich lösen." Und weiter bekundet er, daß er, unbeküm¬ mert um den Streit über die Methode, die Methode seinem Stoffe anzupassen versteht. Dieser Stoff ist im Wesentlichen ein historischer. Für die historische Forschung gibt es seit Ranke, v> Sybel, Mommsen, Waitz u. A. nur eine Methode, d. i. die exacte Methode kritischer Quellenforschung. Aber, wenn wir uns im Betreff der Stellung nicht täuschen, welche Brentano in dem Streit über das „laisLer Kurn;" oder die bewußte Leitung der wirthschaftlichen Angelegenheiten durch die politische Gewalt einnimmt, so müssen wir doch gestehen, daß uns auf dem von ihm betretenen Boden die wie auch immer verhüllte Polemik gegen die „extremen Ökonomisten" und deren „Interessen-Harmonie" gänzlich unverständlich erscheint. Denn jene „extremen Ökonomisten," welche sich als Ideal des Wirthschaftslebens ein Conglomerat von unter einander unzusam¬ menhängenden Einzelwirthschaften vorstellten, und die Gewerkvereine perhor- rescirten als die Erreichung dieses Jdealzustandes hemmend, müssen erst noch geboren werden. Im Gegentheile: zu dem Ideale der Richtung, gegen welche Br. polemistrt, gehört die völlige Freiheit der Bewegung, also auch die Freiheit der Vereinigung zur Durchführung gemeinschaft¬ licher Interessen. Und, was die Methode anbelangt, so sind wir zwar mit der von dem Herrn Verf. getroffenen Wahl so sehr einverstanden, daß wir nicht zweifeln, sein Werk werde zum Theil mit wegen dieser richtigen Wahl überall als eine werthvolle Bereicherung der Literatur über den hier behandelten Gegenstand begrüßt werden. Wie aber, wenn auf die Resultate der historischen Unter¬ suchung nun Schlüsse gebaut werden sollten, wie etwa der folgende: Auf einem großen und im Uebrigen sehr mannigfaltige wirthschaftliche und gesell¬ schaftliche Gestaltungen zeigenden Culturgebiete entstanden doch überall in sehr früher Zeit Gilden und ging die Entwickelung des Gildenwesens im Wesent¬ lichen in folgender gleichartiger Stufenfolge vor sich: Familiengilden, Schutz¬ gilden, Handwerkergilden. Ein Theil dieses Gebietes war den anderen in dieser Entwickelung immer um einen Schritt voraus. Dort bildete sich aus den Handwerkergilden als neueste Gitterform der Gewerkverein. Also müssen auch in den anderen Theilen des Culturgebietes aus den äußerlich bereits verfallenen Handwerkergilden Gewerkvereine oder gewerkvereinsähnliche Ver¬ bindungen entstehen. Wie, wenn ein solcher Schluß eben so bestimmt ge¬ zogen werden wollte, wie er, z. B. auf S. VIII der Vorrede, ziemlich ver¬ ständlich angedeutet wird? Dann müßten wir sagen: Der Verfasser wußte, was zu thun war, um die Entwickelung des Gildenwesens auf germa¬ nischem Boden zu erforschen, und zu schildern. Aber um zu erforschen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/309>, abgerufen am 24.07.2024.