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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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ohne Motivirung ihm zugeschrieben hat, ("die Eisenbahn" 1839, Ur. 27).
Dagegen können wir, bevor wir zu den Mitarbeitern zweiten und dritten
Ranges übergehen, noch ein bis jetzt unter Goethe's Namen nicht bekanntes
Originalgedicht nachweisen, das von Goethe's Hand auf ein und demselben
Blatt, auf welchem das bekannte "Liebeslied eines amerikanischen Wilden" stand,
eingeliefert wurde. Die Gedichte sind auf das engste verbunden und sollten
in einer Gesammtausgabe so auf einander folgen, daß das Liebeslied zuerst,
nach diesem das "Todeslied eines Gefangenen" abgedruckt würde, wie es
Goethe im Journal auch jedenfalls beabsichtigte. Es lautet:


Kommt nur kühnlich, kommt nur alle
Und versammelt euch zum Schmause,
Denn ihr werdet mich mit Dräuen,
Mich mit Hoffnung nimmer beugen.
Seht, hier bin ich, bin gefangen,
Aber noch nicht überwunden.
Kommt, verzehret meine Glieder
Und verzehrt zugleich mit ihnen
Eure Ahnherrn, eure Väter,
Die zur Speise nur geworden.
Dieses Fleisch, das ich euch reiche,
Ist, ihr Thoren, euer eignes,
Und in meinen innern Knochen
Stiele*) das Mark von euren Ahnherrn,
Kommt nur, kommt, mit jedem Bisse
Kann sie euer Gaumen schmecken.

Was zunächst Herder's Theilnahme am Journal betrifft, so sind die
meisten Stücke in den Separatwerken desselben bekannt geworden, doch sind in
diesen mehrfache Aenderungen gegen das Journal bemerkbar, die der
Literarhistoriker mit Hülfe des Journals und unserer Journal-Uebersicht leicht
beherrschen wird. Nur ein Gedicht Herder's "Du kannst nicht mahlen! Du
nicht leiern!" welches mit Bezug auf die Tiefurter Preisfrage gemacht und
wie hervorgehoben in dem Journal nicht zu finden ist, dürfte die Herderschen
Werke noch bereichern (Orig. in ^. 3 am Ende). Von Wieland's Thätigkeit
für das Journal ist wenig nachweisbar, dagegen entfaltete Einsiede! eine sehr
bedeutende, obwohl von ihm bisher wenig gedruckt worden ist. Was wir
ihm nach der Inhaltsübersicht zuschreiben, kann unbedenklich als sein Pro-
duct gelten. Zur Geschichte seines Liedes "Hoch vom Olymp" können wir
noch hinzufügen, daß dasselbe der Herzogin Amalia zur Approbation vorlag
und dann erst in das Journal überging. Es entstand Ende December 1782,
wie alle Stücke des Journals im 14. Stück.



^ Die Goechhausm schrieb ab: "Stille."

ohne Motivirung ihm zugeschrieben hat, („die Eisenbahn" 1839, Ur. 27).
Dagegen können wir, bevor wir zu den Mitarbeitern zweiten und dritten
Ranges übergehen, noch ein bis jetzt unter Goethe's Namen nicht bekanntes
Originalgedicht nachweisen, das von Goethe's Hand auf ein und demselben
Blatt, auf welchem das bekannte „Liebeslied eines amerikanischen Wilden" stand,
eingeliefert wurde. Die Gedichte sind auf das engste verbunden und sollten
in einer Gesammtausgabe so auf einander folgen, daß das Liebeslied zuerst,
nach diesem das „Todeslied eines Gefangenen" abgedruckt würde, wie es
Goethe im Journal auch jedenfalls beabsichtigte. Es lautet:


Kommt nur kühnlich, kommt nur alle
Und versammelt euch zum Schmause,
Denn ihr werdet mich mit Dräuen,
Mich mit Hoffnung nimmer beugen.
Seht, hier bin ich, bin gefangen,
Aber noch nicht überwunden.
Kommt, verzehret meine Glieder
Und verzehrt zugleich mit ihnen
Eure Ahnherrn, eure Väter,
Die zur Speise nur geworden.
Dieses Fleisch, das ich euch reiche,
Ist, ihr Thoren, euer eignes,
Und in meinen innern Knochen
Stiele*) das Mark von euren Ahnherrn,
Kommt nur, kommt, mit jedem Bisse
Kann sie euer Gaumen schmecken.

Was zunächst Herder's Theilnahme am Journal betrifft, so sind die
meisten Stücke in den Separatwerken desselben bekannt geworden, doch sind in
diesen mehrfache Aenderungen gegen das Journal bemerkbar, die der
Literarhistoriker mit Hülfe des Journals und unserer Journal-Uebersicht leicht
beherrschen wird. Nur ein Gedicht Herder's „Du kannst nicht mahlen! Du
nicht leiern!" welches mit Bezug auf die Tiefurter Preisfrage gemacht und
wie hervorgehoben in dem Journal nicht zu finden ist, dürfte die Herderschen
Werke noch bereichern (Orig. in ^. 3 am Ende). Von Wieland's Thätigkeit
für das Journal ist wenig nachweisbar, dagegen entfaltete Einsiede! eine sehr
bedeutende, obwohl von ihm bisher wenig gedruckt worden ist. Was wir
ihm nach der Inhaltsübersicht zuschreiben, kann unbedenklich als sein Pro-
duct gelten. Zur Geschichte seines Liedes „Hoch vom Olymp" können wir
noch hinzufügen, daß dasselbe der Herzogin Amalia zur Approbation vorlag
und dann erst in das Journal überging. Es entstand Ende December 1782,
wie alle Stücke des Journals im 14. Stück.



^ Die Goechhausm schrieb ab: „Stille."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/299>, abgerufen am 24.07.2024.