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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Nicht blos eine Begleiterin der Cultur, sondern ein Bestandtheil der¬
selben ist die Industrie, das Kunstgewerbe, Die einheimische Industrie hat
bekanntlich wesentlich zur Machtentfaltung Preußens beigetragen. Wir er¬
innern blos an Dreyse und Krupp. In Rußland werden immerwährend
neue "nationale" Erfindungen von Kriegsmaschinen geprüft -- bewährt hat
sich noch keine. Seit dem Jahre 1866 hat man nach einander vier Arten
von Hinterladungsgewehren eingeführt, noch immer scheint man sich nicht
für eins entschieden zu haben, vielleicht weil sie alle nichts taugen. Und wenn
sie gut sind, wo soll man die Soldaten hernehmen, welche sie richtig hand¬
haben? Fädejew verräth uns nicht nur, daß die Russen schlecht schießen, son¬
dern auch, daß sie sich förmlich vor ihren eigenen Flinten fürchten. Natür¬
lich! Sie sind für solche Naturkinder zu künstlich. Hauen und allenfalls
Stechen ist allerdings viel einfacher und leichter zu begreifen. Darum die
Vorliebe für das Handgemenge. -- General Fadejew will Panzer eingeführt
haben. Meint er denn, wenn ein schußfester, praktisch brauchbarer Panzer
erfunden wird, daß die Russen ihn eher tragen werden, als wir im Westen?
Wenn sie uns wirklich zuvorkämen, so kann er sich darauf verlassen, daß das
mit untauglichen geschehe.

Von der wissenschaftlichen Intelligenz können wir ganz schweigen. Wenn
es auch ein paar hochgebildete Offiziere als weiße Raben in der russischen
Armee giebt, die reichen doch nicht für den Generalstab eines Heeres von
mehr als einer Million aus. Und jeder Lieutenant muß sich mindestens auf
einer Landkarte zurecht finden. Werden das die zu Officieren beförderten Unter¬
offiziere Moskowiens vermögen?

Nein, unerschöpflich ist zwar sein Männervorrath, drei Millionen Sol¬
daten kann es immerhin stellen; und ganz Asien mag es wohl damit bezwin¬
gen; aber von den Culturstaaten Europas wird diese Flut ohnmächtig ab¬
prallen. Die Zeit des slawischen Weltreichs ist noch nicht da. Jetzt kommen
erst recht die Germanen an die Reihe.




Herders französische Aeiseeindrücke.

Ernst Laas hat zu Anfang dieses Jahres in d. Bl. aufgezeigt, wie Goethe in
Straßburg sich der schroffen Gegensätze des französischen und des deutschen Geistes
bewußt ward, wie der Widerwille gegen das Kalt-Vornehme und Greisenhafte


Nicht blos eine Begleiterin der Cultur, sondern ein Bestandtheil der¬
selben ist die Industrie, das Kunstgewerbe, Die einheimische Industrie hat
bekanntlich wesentlich zur Machtentfaltung Preußens beigetragen. Wir er¬
innern blos an Dreyse und Krupp. In Rußland werden immerwährend
neue „nationale" Erfindungen von Kriegsmaschinen geprüft — bewährt hat
sich noch keine. Seit dem Jahre 1866 hat man nach einander vier Arten
von Hinterladungsgewehren eingeführt, noch immer scheint man sich nicht
für eins entschieden zu haben, vielleicht weil sie alle nichts taugen. Und wenn
sie gut sind, wo soll man die Soldaten hernehmen, welche sie richtig hand¬
haben? Fädejew verräth uns nicht nur, daß die Russen schlecht schießen, son¬
dern auch, daß sie sich förmlich vor ihren eigenen Flinten fürchten. Natür¬
lich! Sie sind für solche Naturkinder zu künstlich. Hauen und allenfalls
Stechen ist allerdings viel einfacher und leichter zu begreifen. Darum die
Vorliebe für das Handgemenge. — General Fadejew will Panzer eingeführt
haben. Meint er denn, wenn ein schußfester, praktisch brauchbarer Panzer
erfunden wird, daß die Russen ihn eher tragen werden, als wir im Westen?
Wenn sie uns wirklich zuvorkämen, so kann er sich darauf verlassen, daß das
mit untauglichen geschehe.

Von der wissenschaftlichen Intelligenz können wir ganz schweigen. Wenn
es auch ein paar hochgebildete Offiziere als weiße Raben in der russischen
Armee giebt, die reichen doch nicht für den Generalstab eines Heeres von
mehr als einer Million aus. Und jeder Lieutenant muß sich mindestens auf
einer Landkarte zurecht finden. Werden das die zu Officieren beförderten Unter¬
offiziere Moskowiens vermögen?

Nein, unerschöpflich ist zwar sein Männervorrath, drei Millionen Sol¬
daten kann es immerhin stellen; und ganz Asien mag es wohl damit bezwin¬
gen; aber von den Culturstaaten Europas wird diese Flut ohnmächtig ab¬
prallen. Die Zeit des slawischen Weltreichs ist noch nicht da. Jetzt kommen
erst recht die Germanen an die Reihe.




Herders französische Aeiseeindrücke.

Ernst Laas hat zu Anfang dieses Jahres in d. Bl. aufgezeigt, wie Goethe in
Straßburg sich der schroffen Gegensätze des französischen und des deutschen Geistes
bewußt ward, wie der Widerwille gegen das Kalt-Vornehme und Greisenhafte


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[0262] Nicht blos eine Begleiterin der Cultur, sondern ein Bestandtheil der¬ selben ist die Industrie, das Kunstgewerbe, Die einheimische Industrie hat bekanntlich wesentlich zur Machtentfaltung Preußens beigetragen. Wir er¬ innern blos an Dreyse und Krupp. In Rußland werden immerwährend neue „nationale" Erfindungen von Kriegsmaschinen geprüft — bewährt hat sich noch keine. Seit dem Jahre 1866 hat man nach einander vier Arten von Hinterladungsgewehren eingeführt, noch immer scheint man sich nicht für eins entschieden zu haben, vielleicht weil sie alle nichts taugen. Und wenn sie gut sind, wo soll man die Soldaten hernehmen, welche sie richtig hand¬ haben? Fädejew verräth uns nicht nur, daß die Russen schlecht schießen, son¬ dern auch, daß sie sich förmlich vor ihren eigenen Flinten fürchten. Natür¬ lich! Sie sind für solche Naturkinder zu künstlich. Hauen und allenfalls Stechen ist allerdings viel einfacher und leichter zu begreifen. Darum die Vorliebe für das Handgemenge. — General Fadejew will Panzer eingeführt haben. Meint er denn, wenn ein schußfester, praktisch brauchbarer Panzer erfunden wird, daß die Russen ihn eher tragen werden, als wir im Westen? Wenn sie uns wirklich zuvorkämen, so kann er sich darauf verlassen, daß das mit untauglichen geschehe. Von der wissenschaftlichen Intelligenz können wir ganz schweigen. Wenn es auch ein paar hochgebildete Offiziere als weiße Raben in der russischen Armee giebt, die reichen doch nicht für den Generalstab eines Heeres von mehr als einer Million aus. Und jeder Lieutenant muß sich mindestens auf einer Landkarte zurecht finden. Werden das die zu Officieren beförderten Unter¬ offiziere Moskowiens vermögen? Nein, unerschöpflich ist zwar sein Männervorrath, drei Millionen Sol¬ daten kann es immerhin stellen; und ganz Asien mag es wohl damit bezwin¬ gen; aber von den Culturstaaten Europas wird diese Flut ohnmächtig ab¬ prallen. Die Zeit des slawischen Weltreichs ist noch nicht da. Jetzt kommen erst recht die Germanen an die Reihe. Herders französische Aeiseeindrücke. Ernst Laas hat zu Anfang dieses Jahres in d. Bl. aufgezeigt, wie Goethe in Straßburg sich der schroffen Gegensätze des französischen und des deutschen Geistes bewußt ward, wie der Widerwille gegen das Kalt-Vornehme und Greisenhafte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/262>, abgerufen am 24.07.2024.