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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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auf einer höheren Unterrichtsanstalt -- Universität, Polytechnicum, landwirth-
schaftliche Schule. Handelsakademie -- auszubilden, diese Mittel auf öffentliche
Kosten zu gewähren. Die Entstehung der ersten Anstalt, welche zur Auf¬
nahme der Blüthe der geistigen Jugend eines Staates der Union bestimmt
ward, und die echt amerikanische Geschichte ihres Gründers sind interessant
genug, um sie hier zu erzählen.

Esra Cornell war ein "Kind seiner Werke," ein seit-maäs mau. Vom
Wirbel bis zur Zeh ein echter Zankee: erfinderisch, nie um einen Ausweg
verlegen, kühn, unermüdlich, hart gegen sich selbst und der Entbehrung ge¬
wachsen, werkthätig, menschenfreundlich, ja für gemeinnützige Zwecke von einer
Freigebigkeit, die man herabsetzt, wenn man sie "fürstlich" nennt. Aber auch,
wo es galt, von einer Schlauheit, die zu Mitteln greift, zu denen unsre euro¬
päische Moral philisterhaft den Kopf schüttelt. In der Wiege großer Ame¬
rikaner, in Massachusetts, ward er 1808 seinem Vater, einem dürftigen Far¬
mer, bescheert; der Knabe aber zog mit den Seinen nach Neuyork. Mitten
in diesem Staate, an den Ufern des Cayuga-Sees, liegt reizend und gesund
das Städtchen Ithaka. Dort arbeitete sich aus eigenem Drang eine bedeu¬
tende mechanische Anlage in dem jungen Esra heraus. Den Nachbarn zu
helfen mit Rath und That, wo es galt eine Brücke zu schlagen, einen Damm
aufzuwerfen, eine Wasserleitung zu graben oder eine Mühle zu bauen, das
war seine Lust. Ein neuer Pflug, den er erfand, sollte die erste Staffel zu
seinem Glück werden. Er brachte ihn nach Washington, um sich darauf ein
Patent geben zu lassen, gerade um die Zeit, wo in Amerika der erste elek¬
trische Telegraph gelegt werden sollte. Der Congreß hatte dieserhalb mit
einem Mr. Smith einen Contract abgeschlossen, und an dem Tage, wo Cor¬
nell in das Patent Office trat, rathschlagte der Unternehmer gerade mit den
Beamten, wie er es anstellen solle, um sich vor Schaden zu wahren. Den
Draht wollte Smith nämlich von Washington nach Baltimore in einer Blei¬
röhre unterirdisch leiten und hinterher stellte sick heraus, daß die übel ver¬
anschlagten Kosten für das Auswerfen eines kleinen Grabens, der die Röhre
aufnehmen sollte, seinem Unternehmergewinn den Garaus zu machen drohte.
"Wenn ich nur dabei durch irgend eine Maschine die Handarbeit ersparen
könnte!" Der oberste Beamte hatte eben bewiesen, daß dies ein Ding der
Unmöglichkeit sei, als Cornell, der aufmerksam gelauscht hatte, erklärte: Hier
mein neuer Pflug wird das zu Stande bringen!" Der Versuch wurde gemacht
und gelang vortrefflich. Cornell spannte zwei Pferde vor und fuhr tapfer
drauf los. Zehn oder zwölf englische Meilen sind gelegt, als er eines Tags
in Washington vor M. Smith steht. Wie er so neben seinem Fuhrwerk
hergeschritten war, hatte ihn der Gedanke getroffen, der billigere Weg für
den Telegraphen gehe durch die Luft. "Aber in meinem Contract steht, bis


auf einer höheren Unterrichtsanstalt — Universität, Polytechnicum, landwirth-
schaftliche Schule. Handelsakademie — auszubilden, diese Mittel auf öffentliche
Kosten zu gewähren. Die Entstehung der ersten Anstalt, welche zur Auf¬
nahme der Blüthe der geistigen Jugend eines Staates der Union bestimmt
ward, und die echt amerikanische Geschichte ihres Gründers sind interessant
genug, um sie hier zu erzählen.

Esra Cornell war ein „Kind seiner Werke," ein seit-maäs mau. Vom
Wirbel bis zur Zeh ein echter Zankee: erfinderisch, nie um einen Ausweg
verlegen, kühn, unermüdlich, hart gegen sich selbst und der Entbehrung ge¬
wachsen, werkthätig, menschenfreundlich, ja für gemeinnützige Zwecke von einer
Freigebigkeit, die man herabsetzt, wenn man sie „fürstlich" nennt. Aber auch,
wo es galt, von einer Schlauheit, die zu Mitteln greift, zu denen unsre euro¬
päische Moral philisterhaft den Kopf schüttelt. In der Wiege großer Ame¬
rikaner, in Massachusetts, ward er 1808 seinem Vater, einem dürftigen Far¬
mer, bescheert; der Knabe aber zog mit den Seinen nach Neuyork. Mitten
in diesem Staate, an den Ufern des Cayuga-Sees, liegt reizend und gesund
das Städtchen Ithaka. Dort arbeitete sich aus eigenem Drang eine bedeu¬
tende mechanische Anlage in dem jungen Esra heraus. Den Nachbarn zu
helfen mit Rath und That, wo es galt eine Brücke zu schlagen, einen Damm
aufzuwerfen, eine Wasserleitung zu graben oder eine Mühle zu bauen, das
war seine Lust. Ein neuer Pflug, den er erfand, sollte die erste Staffel zu
seinem Glück werden. Er brachte ihn nach Washington, um sich darauf ein
Patent geben zu lassen, gerade um die Zeit, wo in Amerika der erste elek¬
trische Telegraph gelegt werden sollte. Der Congreß hatte dieserhalb mit
einem Mr. Smith einen Contract abgeschlossen, und an dem Tage, wo Cor¬
nell in das Patent Office trat, rathschlagte der Unternehmer gerade mit den
Beamten, wie er es anstellen solle, um sich vor Schaden zu wahren. Den
Draht wollte Smith nämlich von Washington nach Baltimore in einer Blei¬
röhre unterirdisch leiten und hinterher stellte sick heraus, daß die übel ver¬
anschlagten Kosten für das Auswerfen eines kleinen Grabens, der die Röhre
aufnehmen sollte, seinem Unternehmergewinn den Garaus zu machen drohte.
„Wenn ich nur dabei durch irgend eine Maschine die Handarbeit ersparen
könnte!" Der oberste Beamte hatte eben bewiesen, daß dies ein Ding der
Unmöglichkeit sei, als Cornell, der aufmerksam gelauscht hatte, erklärte: Hier
mein neuer Pflug wird das zu Stande bringen!" Der Versuch wurde gemacht
und gelang vortrefflich. Cornell spannte zwei Pferde vor und fuhr tapfer
drauf los. Zehn oder zwölf englische Meilen sind gelegt, als er eines Tags
in Washington vor M. Smith steht. Wie er so neben seinem Fuhrwerk
hergeschritten war, hatte ihn der Gedanke getroffen, der billigere Weg für
den Telegraphen gehe durch die Luft. „Aber in meinem Contract steht, bis


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[0166] auf einer höheren Unterrichtsanstalt — Universität, Polytechnicum, landwirth- schaftliche Schule. Handelsakademie — auszubilden, diese Mittel auf öffentliche Kosten zu gewähren. Die Entstehung der ersten Anstalt, welche zur Auf¬ nahme der Blüthe der geistigen Jugend eines Staates der Union bestimmt ward, und die echt amerikanische Geschichte ihres Gründers sind interessant genug, um sie hier zu erzählen. Esra Cornell war ein „Kind seiner Werke," ein seit-maäs mau. Vom Wirbel bis zur Zeh ein echter Zankee: erfinderisch, nie um einen Ausweg verlegen, kühn, unermüdlich, hart gegen sich selbst und der Entbehrung ge¬ wachsen, werkthätig, menschenfreundlich, ja für gemeinnützige Zwecke von einer Freigebigkeit, die man herabsetzt, wenn man sie „fürstlich" nennt. Aber auch, wo es galt, von einer Schlauheit, die zu Mitteln greift, zu denen unsre euro¬ päische Moral philisterhaft den Kopf schüttelt. In der Wiege großer Ame¬ rikaner, in Massachusetts, ward er 1808 seinem Vater, einem dürftigen Far¬ mer, bescheert; der Knabe aber zog mit den Seinen nach Neuyork. Mitten in diesem Staate, an den Ufern des Cayuga-Sees, liegt reizend und gesund das Städtchen Ithaka. Dort arbeitete sich aus eigenem Drang eine bedeu¬ tende mechanische Anlage in dem jungen Esra heraus. Den Nachbarn zu helfen mit Rath und That, wo es galt eine Brücke zu schlagen, einen Damm aufzuwerfen, eine Wasserleitung zu graben oder eine Mühle zu bauen, das war seine Lust. Ein neuer Pflug, den er erfand, sollte die erste Staffel zu seinem Glück werden. Er brachte ihn nach Washington, um sich darauf ein Patent geben zu lassen, gerade um die Zeit, wo in Amerika der erste elek¬ trische Telegraph gelegt werden sollte. Der Congreß hatte dieserhalb mit einem Mr. Smith einen Contract abgeschlossen, und an dem Tage, wo Cor¬ nell in das Patent Office trat, rathschlagte der Unternehmer gerade mit den Beamten, wie er es anstellen solle, um sich vor Schaden zu wahren. Den Draht wollte Smith nämlich von Washington nach Baltimore in einer Blei¬ röhre unterirdisch leiten und hinterher stellte sick heraus, daß die übel ver¬ anschlagten Kosten für das Auswerfen eines kleinen Grabens, der die Röhre aufnehmen sollte, seinem Unternehmergewinn den Garaus zu machen drohte. „Wenn ich nur dabei durch irgend eine Maschine die Handarbeit ersparen könnte!" Der oberste Beamte hatte eben bewiesen, daß dies ein Ding der Unmöglichkeit sei, als Cornell, der aufmerksam gelauscht hatte, erklärte: Hier mein neuer Pflug wird das zu Stande bringen!" Der Versuch wurde gemacht und gelang vortrefflich. Cornell spannte zwei Pferde vor und fuhr tapfer drauf los. Zehn oder zwölf englische Meilen sind gelegt, als er eines Tags in Washington vor M. Smith steht. Wie er so neben seinem Fuhrwerk hergeschritten war, hatte ihn der Gedanke getroffen, der billigere Weg für den Telegraphen gehe durch die Luft. „Aber in meinem Contract steht, bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/166>, abgerufen am 24.07.2024.