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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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an sich tragen. In der Kunst speciell ist dies der Fall, wenn die betreffenden
Werke nicht nur der Ausdruck ihrer Zeit sind, sondern wenn sie das Mensch¬
liche, welches ja Anfang. Mitte und Ende aller Kunst ist, so tief fassen, daß
ihre Auffassung für alle Zeiten Geltung hat. Man würde sich jedoch irren,
wenn man annehmen wollte, solche Werke seien neben ihrer Lebensfähigkeit
für alle Zeiten nicht auch zugleich der Ausdruck ihrer Zeit. Vielmehr ist
kein Werk denkbar, welches, bei aller Ewigkeit, nicht in erster Linie ein Ge¬
bilde seiner Zeit wäre. Ist nun diese Zeit so angethan, daß die in ihr gel¬
tenden allgemeinen Weltanschauungen, ihre Ideale u. f. w. für die Zukunft
bleibende Bedeutung haben, so wird ein poetisches Werk, welches wie in einem
Brennspiegel die geistigen Strahlen des Jahrhunderts sammelt, ein Werk
also welches für seine Zeit modern ist, gerade weil es modern ist, auch ewig
sein. Es wird sich also darum handeln, einerseits, ob ein Dichter wirtlich
im Herzen seines Jahrhunderts wohnt und die vollsten Lebensströme desselben
in sein Werk zu leiten weiß-, andrerseits, ob diese Zeit mit ihrem Gefühls-,
Gedanken- und Thatenleben eine für die ganze Zukunft der Menschheit bedeu¬
tende sei. Der Historiker wird, wahrscheinlich mit Recht, jedem Jahrhun¬
dert eine solche Bedeutung vindiciren wollen, nur daß nicht jedes Jahrhun¬
dert seinen Centralgenius gefunden hat, der die tiefsten Geheimnisse der Zeit
ausgesprochen hätte. Unserm Jahrhundert jedenfalls und dem dasselbe be¬
wegenden Kampfe von Idealismus und Materialismus wird man, abgesehen
von den politischen Umwälzungen, seine ewige Bedeutung kaum abzusprechen
geneigt sein; der moderne dichterische Erfasser dieser Zeit also, -- ist er nur
wirklich im vollsten Sinne des Wortes modern, wird somit auch ewig sein,
was Menschen so nennen. Jordan erfüllt diese Bedingung. Er ist durch und
durch modern. Er hat sich dem Zeitgeiste zugesellt, ist sein Vertrauter. Er
hört Alles, was geheimnißvoll durch die Gegenwart zieht; er weiß auch, was
daran neu ist und was als ewige Weltströmung seit Jahrtausenden den Erd¬
ball umfluthet. Ihm ist nichts Menschliches, noch weniger etwas Zeitgenössi¬
sches fremd. Er hat tief hineingeblickt in die wunderbaren Schachte, welche
die Naturforschung eröffnet hat; auch in den geheimen Werkstätten der Phi¬
losophie ist er vertraut. Sein früheres, wohl des fremdartigen Titels und
der darin herrschenden, ich möchte sagen oft metaphysischen Sprache wegen
nicht sehr verbreitetes, gedankenreiches Werk "Demiurgos" giebt hierfür Zeug¬
niß. Der Dichter hat von Jugend an mit ächt norddeutschen Fleiße sich ein
gewaltiges Wissen gesammelt, das mit den Jahren, nach einem auch im
Reiche des Geistes geltenden Gesetze, sich progressionsweise mehren mußte.
Als Mitglied des Frankfurter Parlaments, hat er auch an dem politischen
Leben seines Volkes regen, thätigen Antheil genommen und endlich, seitdem
er als wandernder Rhapsode von Land zu Land, von Stadt zu Stadt zieht,


an sich tragen. In der Kunst speciell ist dies der Fall, wenn die betreffenden
Werke nicht nur der Ausdruck ihrer Zeit sind, sondern wenn sie das Mensch¬
liche, welches ja Anfang. Mitte und Ende aller Kunst ist, so tief fassen, daß
ihre Auffassung für alle Zeiten Geltung hat. Man würde sich jedoch irren,
wenn man annehmen wollte, solche Werke seien neben ihrer Lebensfähigkeit
für alle Zeiten nicht auch zugleich der Ausdruck ihrer Zeit. Vielmehr ist
kein Werk denkbar, welches, bei aller Ewigkeit, nicht in erster Linie ein Ge¬
bilde seiner Zeit wäre. Ist nun diese Zeit so angethan, daß die in ihr gel¬
tenden allgemeinen Weltanschauungen, ihre Ideale u. f. w. für die Zukunft
bleibende Bedeutung haben, so wird ein poetisches Werk, welches wie in einem
Brennspiegel die geistigen Strahlen des Jahrhunderts sammelt, ein Werk
also welches für seine Zeit modern ist, gerade weil es modern ist, auch ewig
sein. Es wird sich also darum handeln, einerseits, ob ein Dichter wirtlich
im Herzen seines Jahrhunderts wohnt und die vollsten Lebensströme desselben
in sein Werk zu leiten weiß-, andrerseits, ob diese Zeit mit ihrem Gefühls-,
Gedanken- und Thatenleben eine für die ganze Zukunft der Menschheit bedeu¬
tende sei. Der Historiker wird, wahrscheinlich mit Recht, jedem Jahrhun¬
dert eine solche Bedeutung vindiciren wollen, nur daß nicht jedes Jahrhun¬
dert seinen Centralgenius gefunden hat, der die tiefsten Geheimnisse der Zeit
ausgesprochen hätte. Unserm Jahrhundert jedenfalls und dem dasselbe be¬
wegenden Kampfe von Idealismus und Materialismus wird man, abgesehen
von den politischen Umwälzungen, seine ewige Bedeutung kaum abzusprechen
geneigt sein; der moderne dichterische Erfasser dieser Zeit also, — ist er nur
wirklich im vollsten Sinne des Wortes modern, wird somit auch ewig sein,
was Menschen so nennen. Jordan erfüllt diese Bedingung. Er ist durch und
durch modern. Er hat sich dem Zeitgeiste zugesellt, ist sein Vertrauter. Er
hört Alles, was geheimnißvoll durch die Gegenwart zieht; er weiß auch, was
daran neu ist und was als ewige Weltströmung seit Jahrtausenden den Erd¬
ball umfluthet. Ihm ist nichts Menschliches, noch weniger etwas Zeitgenössi¬
sches fremd. Er hat tief hineingeblickt in die wunderbaren Schachte, welche
die Naturforschung eröffnet hat; auch in den geheimen Werkstätten der Phi¬
losophie ist er vertraut. Sein früheres, wohl des fremdartigen Titels und
der darin herrschenden, ich möchte sagen oft metaphysischen Sprache wegen
nicht sehr verbreitetes, gedankenreiches Werk „Demiurgos" giebt hierfür Zeug¬
niß. Der Dichter hat von Jugend an mit ächt norddeutschen Fleiße sich ein
gewaltiges Wissen gesammelt, das mit den Jahren, nach einem auch im
Reiche des Geistes geltenden Gesetze, sich progressionsweise mehren mußte.
Als Mitglied des Frankfurter Parlaments, hat er auch an dem politischen
Leben seines Volkes regen, thätigen Antheil genommen und endlich, seitdem
er als wandernder Rhapsode von Land zu Land, von Stadt zu Stadt zieht,


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[0149] an sich tragen. In der Kunst speciell ist dies der Fall, wenn die betreffenden Werke nicht nur der Ausdruck ihrer Zeit sind, sondern wenn sie das Mensch¬ liche, welches ja Anfang. Mitte und Ende aller Kunst ist, so tief fassen, daß ihre Auffassung für alle Zeiten Geltung hat. Man würde sich jedoch irren, wenn man annehmen wollte, solche Werke seien neben ihrer Lebensfähigkeit für alle Zeiten nicht auch zugleich der Ausdruck ihrer Zeit. Vielmehr ist kein Werk denkbar, welches, bei aller Ewigkeit, nicht in erster Linie ein Ge¬ bilde seiner Zeit wäre. Ist nun diese Zeit so angethan, daß die in ihr gel¬ tenden allgemeinen Weltanschauungen, ihre Ideale u. f. w. für die Zukunft bleibende Bedeutung haben, so wird ein poetisches Werk, welches wie in einem Brennspiegel die geistigen Strahlen des Jahrhunderts sammelt, ein Werk also welches für seine Zeit modern ist, gerade weil es modern ist, auch ewig sein. Es wird sich also darum handeln, einerseits, ob ein Dichter wirtlich im Herzen seines Jahrhunderts wohnt und die vollsten Lebensströme desselben in sein Werk zu leiten weiß-, andrerseits, ob diese Zeit mit ihrem Gefühls-, Gedanken- und Thatenleben eine für die ganze Zukunft der Menschheit bedeu¬ tende sei. Der Historiker wird, wahrscheinlich mit Recht, jedem Jahrhun¬ dert eine solche Bedeutung vindiciren wollen, nur daß nicht jedes Jahrhun¬ dert seinen Centralgenius gefunden hat, der die tiefsten Geheimnisse der Zeit ausgesprochen hätte. Unserm Jahrhundert jedenfalls und dem dasselbe be¬ wegenden Kampfe von Idealismus und Materialismus wird man, abgesehen von den politischen Umwälzungen, seine ewige Bedeutung kaum abzusprechen geneigt sein; der moderne dichterische Erfasser dieser Zeit also, — ist er nur wirklich im vollsten Sinne des Wortes modern, wird somit auch ewig sein, was Menschen so nennen. Jordan erfüllt diese Bedingung. Er ist durch und durch modern. Er hat sich dem Zeitgeiste zugesellt, ist sein Vertrauter. Er hört Alles, was geheimnißvoll durch die Gegenwart zieht; er weiß auch, was daran neu ist und was als ewige Weltströmung seit Jahrtausenden den Erd¬ ball umfluthet. Ihm ist nichts Menschliches, noch weniger etwas Zeitgenössi¬ sches fremd. Er hat tief hineingeblickt in die wunderbaren Schachte, welche die Naturforschung eröffnet hat; auch in den geheimen Werkstätten der Phi¬ losophie ist er vertraut. Sein früheres, wohl des fremdartigen Titels und der darin herrschenden, ich möchte sagen oft metaphysischen Sprache wegen nicht sehr verbreitetes, gedankenreiches Werk „Demiurgos" giebt hierfür Zeug¬ niß. Der Dichter hat von Jugend an mit ächt norddeutschen Fleiße sich ein gewaltiges Wissen gesammelt, das mit den Jahren, nach einem auch im Reiche des Geistes geltenden Gesetze, sich progressionsweise mehren mußte. Als Mitglied des Frankfurter Parlaments, hat er auch an dem politischen Leben seines Volkes regen, thätigen Antheil genommen und endlich, seitdem er als wandernder Rhapsode von Land zu Land, von Stadt zu Stadt zieht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/149>, abgerufen am 24.07.2024.