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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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selbst sie in Flammen, um den Angriff zu verhindern, daß er sich der Ge¬
bäude bediene. niedergebrannt zu werden ist immer das unabwendbare
Schicksal aller in der Schlachtlinie aller regulären Armeen der Welt gelegenen
Gebäude gewesen. Aber im Kriege der Geknechteten gegen die sie Knechten¬
den, dem einzigen zu rechtfertigenden in der Welt, geht das durchaus nicht
an. Die Commune bediente sich des Feuers lediglich als Vertheidigungsmit¬
tels. Sie gebrauchte es, um den Bersailler Truppen jene langen, geraden
Hauptstraßen zu versperren, welche Haußmann ausdrücklich für Artilleriefeuer
durchgebrochen hatte, sie gebrauchte es, um ihren Rückzug zu decken, in der¬
selben Weise wie die Bersailler bei ihrem Vorrücken ihre Bomben gebrauch¬
ten, welche mindestens ebensoviele Gebäude zerstörten als das Feuer der Com¬
mune." "Wenn die Handlungen der Pariser Arbeiter Wandalismus waren,
so war es der Vandalismus verzweifelter Vertheidigung, nicht der Bandalis¬
mus des Triumphs, wie der, welchen die Christen gegen die wirklich unschätz¬
baren Kunstschätze des heidnischen Alterthums begingen, und selbst dieser Van¬
dalismus ist von dem Geschichtschreiber gerechtfertigt worden als ein unver¬
meidlicher und vergleichsweise unbedeutender Begleiter des titanischen Kampfes
einer sich erhebenden neuen und einer zusammenbrechenden alten Gesellschaft."

"Aber die Commune hat doch vier und sechzig Geiseln mit dem Erzbischof
von Paris an der Spitze hinrichten lassen! Die Bourgeoisie und ihre Armee
1848 führten einen aus den Kriegsgewohnheiten längst verschwundenen Brauch
wieder ein, das Todtschießen ihrer wehrlosen Gefangenen. Dieser brutale
Brauch ist seitdem mehr oder weniger streng festgehalten worden von den
Unterdrückern aller Volkserhebungen in Europa und Indien, womit der Be¬
weis geführt wurde, daß er einen wirklichen Fortschritt der Gesittung aus¬
macht. Andrerseits hatten die Preußen in Frankreich die Praxis, Geiseln zu
nehmen, unschuldige Leute, die ihnen mit ihrem Leben sür die Handlungen
Andrer standen, wieder aufgenommen. Als Thiers schon von Beginn des
Conflicts an die menschenfreundliche Praxis einführte, die Gefangenen aus
der Commune-Armee zu erschießen, war die Commune, um ihr Leben zu
schützen, genöthigt, die preußische Praxis mit den Geiseln zu adoptiren. Das
Leben der Geiseln war durch das fortgesetzte Erschießen von Gefangenen auf
Seiten der Bersailler verscherzt gewesen. Wie konnte man sie nach dem Blut¬
bade, mit dem Macmahon's Prätorianer ihren Einzug in Paris feierten,
noch irgend länger verschonen? Sollte selbst das letzte Abschreckungsmittel
für die rücksichtslose Wildheit der Bourgeois-Regierungen, das Nehmen von
Geiseln, zu einem bloßen Schein gemacht werden? Der wirkliche Mörder
des Erzbischofs Darboy ist Thiers. Die Commune hatte wieder und immer
wieder sich erboten, den Crzbischof und beliebig viele Priester obendrein gegen
den einzigen Blanqui, der sich damals in den Händen von Thiers befand,


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selbst sie in Flammen, um den Angriff zu verhindern, daß er sich der Ge¬
bäude bediene. niedergebrannt zu werden ist immer das unabwendbare
Schicksal aller in der Schlachtlinie aller regulären Armeen der Welt gelegenen
Gebäude gewesen. Aber im Kriege der Geknechteten gegen die sie Knechten¬
den, dem einzigen zu rechtfertigenden in der Welt, geht das durchaus nicht
an. Die Commune bediente sich des Feuers lediglich als Vertheidigungsmit¬
tels. Sie gebrauchte es, um den Bersailler Truppen jene langen, geraden
Hauptstraßen zu versperren, welche Haußmann ausdrücklich für Artilleriefeuer
durchgebrochen hatte, sie gebrauchte es, um ihren Rückzug zu decken, in der¬
selben Weise wie die Bersailler bei ihrem Vorrücken ihre Bomben gebrauch¬
ten, welche mindestens ebensoviele Gebäude zerstörten als das Feuer der Com¬
mune." „Wenn die Handlungen der Pariser Arbeiter Wandalismus waren,
so war es der Vandalismus verzweifelter Vertheidigung, nicht der Bandalis¬
mus des Triumphs, wie der, welchen die Christen gegen die wirklich unschätz¬
baren Kunstschätze des heidnischen Alterthums begingen, und selbst dieser Van¬
dalismus ist von dem Geschichtschreiber gerechtfertigt worden als ein unver¬
meidlicher und vergleichsweise unbedeutender Begleiter des titanischen Kampfes
einer sich erhebenden neuen und einer zusammenbrechenden alten Gesellschaft."

„Aber die Commune hat doch vier und sechzig Geiseln mit dem Erzbischof
von Paris an der Spitze hinrichten lassen! Die Bourgeoisie und ihre Armee
1848 führten einen aus den Kriegsgewohnheiten längst verschwundenen Brauch
wieder ein, das Todtschießen ihrer wehrlosen Gefangenen. Dieser brutale
Brauch ist seitdem mehr oder weniger streng festgehalten worden von den
Unterdrückern aller Volkserhebungen in Europa und Indien, womit der Be¬
weis geführt wurde, daß er einen wirklichen Fortschritt der Gesittung aus¬
macht. Andrerseits hatten die Preußen in Frankreich die Praxis, Geiseln zu
nehmen, unschuldige Leute, die ihnen mit ihrem Leben sür die Handlungen
Andrer standen, wieder aufgenommen. Als Thiers schon von Beginn des
Conflicts an die menschenfreundliche Praxis einführte, die Gefangenen aus
der Commune-Armee zu erschießen, war die Commune, um ihr Leben zu
schützen, genöthigt, die preußische Praxis mit den Geiseln zu adoptiren. Das
Leben der Geiseln war durch das fortgesetzte Erschießen von Gefangenen auf
Seiten der Bersailler verscherzt gewesen. Wie konnte man sie nach dem Blut¬
bade, mit dem Macmahon's Prätorianer ihren Einzug in Paris feierten,
noch irgend länger verschonen? Sollte selbst das letzte Abschreckungsmittel
für die rücksichtslose Wildheit der Bourgeois-Regierungen, das Nehmen von
Geiseln, zu einem bloßen Schein gemacht werden? Der wirkliche Mörder
des Erzbischofs Darboy ist Thiers. Die Commune hatte wieder und immer
wieder sich erboten, den Crzbischof und beliebig viele Priester obendrein gegen
den einzigen Blanqui, der sich damals in den Händen von Thiers befand,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/145>, abgerufen am 24.07.2024.