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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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schaftsmäßig betriebenen Arbeit. Aber das ist Communismus, "unmöglicher"
Communismus! Je nun, jene Mitglieder der herrschenden Classe, welche ver¬
ständig genug sind, um die Unmöglichkeit der Fortsetzung des jetzigen Systems
zu begreifen, sind die zudringlichen und aus vollem Halse predigenden Apostel
der cooperativen Production geworden. Wenn die cooperative Production
nicht ein Schein und eine Falle bleiben soll, wenn sie an die Stelle des capi-
talistischen Systems treten soll, wenn vereinigte cooperative Gesellschaften die
nationale Production nach gemeinsamem Plan regeln, sie unter ihre Aufsicht
nehmen und der steten Anarchie, den periodischen Kämpfen, welche die ver-
hängnißvolle Begleitung der capitalistischen Production sind, ein Ende machen
sollen -- was wäre das anders als Kommunismus, "möglicher" Commu¬
nismus?"

Die arbeitende Classe erwartete durchaus keine Wunder von der Commune.
Sie hat keine fertigen Utopien durch Volksbeschluß einzuführen. Sie weiß,
daß sie, um ihre eigne Befreiung und mit ihr die höhere Form, zu welcher
die jetzige Gesellschaft hinneigt, durch ihre eignen wirthschaftlichen Hülfsmittel
zu erringen, durch lange Kämpfe, durch eine Reihe geschichtlicher Processe,
welche Zustände und Menschen umbilden, hindurchgehen muß. Sie hat keine
Ideale zu verwirklichen, sondern nur die Elemente der neuen Gesellschaft frei
zu machen, mit denen die alte zusammenfaltende Bourgeois-Gesellschaft selber
schwanger ist. Im vollen Bewußtsein ihrer geschichtlichen Mission und mit
dem heldenmüthigen Entschlüsse, nach ihr zu handeln, kann die arbeitende
Classe getrost lächeln über das grobe Schimpfen der Herrendiener mit Feder
und Tintenfaß und über die lehrhafte Gönnerschaft wohlwollender Doetrinäre
der Bourgeoisie, die ihre einfältigen Plattheiten und ihre Parteischrullen im
Orakelton wissenschaftlicher Unfehlbarkeit ergießt.

Als die Commune die Leitung der Revolution in die Hand nahm, als
einfache Arbeiter zum ersten Male sich in das Privilegium ihrer "natürlichen
Obern" einzudrängen wagten, als sie unter Umständen von beispielloser Schwie¬
rigkeit ihre Aufgabe bescheiden, gewissenhaft und wirksam erfüllten, verfiel
die alte Welt in Wuthkrämpfe beim Anblick der rothen Fahne, wie sie als
Symbol der Republik der Arbeit über dem Stadthause flatterte."

Der Verfasser dieses Panegyrikus auf die pariser Märzrevolution weist,
dann nach, daß die Mittelclasse mit derselben und mit dem Regiment der
Commune zufrieden gewesen sei und ihr in Gestalt der "Union liepudlieams"
gegen Thiers beigestanden habe, und daß nur die "fürchterlichste Lüge" be¬
haupten könne, die Mehrheit der Nationalversammlung vertrete die franzö¬
sischen Bauern; diese Mehrheit habe vielmehr vor Allem gefürchtet, daß drei
Monate freien Verkehrs des von der Commune regierten Paris mit den Pro¬
vinzen eine allgemeine Erhebung der Bauern zur Folge haben würde. Dann


schaftsmäßig betriebenen Arbeit. Aber das ist Communismus, „unmöglicher"
Communismus! Je nun, jene Mitglieder der herrschenden Classe, welche ver¬
ständig genug sind, um die Unmöglichkeit der Fortsetzung des jetzigen Systems
zu begreifen, sind die zudringlichen und aus vollem Halse predigenden Apostel
der cooperativen Production geworden. Wenn die cooperative Production
nicht ein Schein und eine Falle bleiben soll, wenn sie an die Stelle des capi-
talistischen Systems treten soll, wenn vereinigte cooperative Gesellschaften die
nationale Production nach gemeinsamem Plan regeln, sie unter ihre Aufsicht
nehmen und der steten Anarchie, den periodischen Kämpfen, welche die ver-
hängnißvolle Begleitung der capitalistischen Production sind, ein Ende machen
sollen — was wäre das anders als Kommunismus, „möglicher" Commu¬
nismus?"

Die arbeitende Classe erwartete durchaus keine Wunder von der Commune.
Sie hat keine fertigen Utopien durch Volksbeschluß einzuführen. Sie weiß,
daß sie, um ihre eigne Befreiung und mit ihr die höhere Form, zu welcher
die jetzige Gesellschaft hinneigt, durch ihre eignen wirthschaftlichen Hülfsmittel
zu erringen, durch lange Kämpfe, durch eine Reihe geschichtlicher Processe,
welche Zustände und Menschen umbilden, hindurchgehen muß. Sie hat keine
Ideale zu verwirklichen, sondern nur die Elemente der neuen Gesellschaft frei
zu machen, mit denen die alte zusammenfaltende Bourgeois-Gesellschaft selber
schwanger ist. Im vollen Bewußtsein ihrer geschichtlichen Mission und mit
dem heldenmüthigen Entschlüsse, nach ihr zu handeln, kann die arbeitende
Classe getrost lächeln über das grobe Schimpfen der Herrendiener mit Feder
und Tintenfaß und über die lehrhafte Gönnerschaft wohlwollender Doetrinäre
der Bourgeoisie, die ihre einfältigen Plattheiten und ihre Parteischrullen im
Orakelton wissenschaftlicher Unfehlbarkeit ergießt.

Als die Commune die Leitung der Revolution in die Hand nahm, als
einfache Arbeiter zum ersten Male sich in das Privilegium ihrer „natürlichen
Obern" einzudrängen wagten, als sie unter Umständen von beispielloser Schwie¬
rigkeit ihre Aufgabe bescheiden, gewissenhaft und wirksam erfüllten, verfiel
die alte Welt in Wuthkrämpfe beim Anblick der rothen Fahne, wie sie als
Symbol der Republik der Arbeit über dem Stadthause flatterte."

Der Verfasser dieses Panegyrikus auf die pariser Märzrevolution weist,
dann nach, daß die Mittelclasse mit derselben und mit dem Regiment der
Commune zufrieden gewesen sei und ihr in Gestalt der „Union liepudlieams"
gegen Thiers beigestanden habe, und daß nur die „fürchterlichste Lüge" be¬
haupten könne, die Mehrheit der Nationalversammlung vertrete die franzö¬
sischen Bauern; diese Mehrheit habe vielmehr vor Allem gefürchtet, daß drei
Monate freien Verkehrs des von der Commune regierten Paris mit den Pro¬
vinzen eine allgemeine Erhebung der Bauern zur Folge haben würde. Dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/141>, abgerufen am 24.07.2024.