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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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ganze Initiative, die bisher vom Staate ausgeübt worden war, wurde in die
Hände der Commune gelegt.

Nachdem man die stehende Armee und die Polizei losgeworden, die Ele¬
mente der physischen Kraft der alten Regierung, beeilte sich die Commune,
die geistige Kraft der Repression zu brechen, die "Pfarrerskrast," indem sie
alle Kirchen als besitzende Körperschaften beseitigte und ihnen ihre Dotationen
entzog. Die Priester wurden in die Winkel des Privatlebens zurückgeschickt,
um sich da, gleich ihren Vorgängern, den Aposteln, von den Almosen der
Gläubigen zu nähren. Alle Erziehungsanstalten wurden dem Volke unent¬
geltlich geöffnet und zugleich von aller Einmischung der Kirche und des Staa¬
tes gesäubert. So wurde nicht nur die Bildung Allen zugänglich gemacht,
sondern auch die Wissenschaft selbst von den Fesseln befreit, welche Classenvor-
urtheil und Regierungsgewalt ihr angelegt hatten.

Die richterlichen Beamten sollten jener Scheinunabhängigkeit entkleidet
werden, welche nur dazu gedient hatte, ihre verworfene Dienstwilligkeit gegen
alle sich einander folgenden Regierungen zu vermänteln, denen sie einer nach
der andern den Huldigungseid geleistet und gebrochen hatten. Wie die übri¬
gen Staatsdiener sollten die Magistrate und Richter gewählt, verantwortlich
und absetzbar sein.

Natürlich sollte die Pariser Commune als ein Muster für alle großen
industriellen Mittelpuncte in Frankreich dienen. War das eommunale Re¬
gime einmal in Paris und den Centren zweiten Ranges aufgerichtet, so mußte
auch in den Provinzen die alte centralisirte Regierung der Selbstregierung
der Producirenden weichen. Die Landgemeinden jedes Bezirks hätten dann
ihre gemeinsamen Angelegenheiten durch eine Versammlung von Abgeordneten
in der Centralstadt verwaltet, und diese Districtsversammlungen Abgeordnete
in die Nationalversammlung zu Paris gesandt, wobei jeder Abgeordnete zu
jeder Zeit abberusbar und durch das in-ma^t lap6i'g,til, die formale Weisung
seiner Wähler, gebunden gewesen wäre. Die wenigen, aber wichtigen Func-
tionen, die noch für eine Centralregierung übrig geblieben wären, hätten nicht,
wie absichtlich falsch angegeben worden ist, abgeschafft, sondern von commu-
nalen und deßhalb streng verantwortlichen Agenten besorgt werden sollen.
Die Einheit des Volkes sollte durch die Einrichtung von Communen nicht
zerbrochen, sondern organisch gegliedert und durch die Zerstörung der Staats"
gewalt verwirklicht werden, welche den Anspruch erhob, die Verkörperung jener
Einheit unabhängig von und über der Nation zu sein, von der sie nur ein
parasitischer Auswuchs war. Während die rein repressiven Glieder der alten
Regierungsgewalt abgeschnitten werden sollten, sollten ihre nützlichen Functio-
nen einer Behörde, die sich anmaßte, über der Gesellschaft selbst zu stehen,
entrissen und den verantwortlichen Agenten der Gesellschaft zurückerstattet


ganze Initiative, die bisher vom Staate ausgeübt worden war, wurde in die
Hände der Commune gelegt.

Nachdem man die stehende Armee und die Polizei losgeworden, die Ele¬
mente der physischen Kraft der alten Regierung, beeilte sich die Commune,
die geistige Kraft der Repression zu brechen, die „Pfarrerskrast," indem sie
alle Kirchen als besitzende Körperschaften beseitigte und ihnen ihre Dotationen
entzog. Die Priester wurden in die Winkel des Privatlebens zurückgeschickt,
um sich da, gleich ihren Vorgängern, den Aposteln, von den Almosen der
Gläubigen zu nähren. Alle Erziehungsanstalten wurden dem Volke unent¬
geltlich geöffnet und zugleich von aller Einmischung der Kirche und des Staa¬
tes gesäubert. So wurde nicht nur die Bildung Allen zugänglich gemacht,
sondern auch die Wissenschaft selbst von den Fesseln befreit, welche Classenvor-
urtheil und Regierungsgewalt ihr angelegt hatten.

Die richterlichen Beamten sollten jener Scheinunabhängigkeit entkleidet
werden, welche nur dazu gedient hatte, ihre verworfene Dienstwilligkeit gegen
alle sich einander folgenden Regierungen zu vermänteln, denen sie einer nach
der andern den Huldigungseid geleistet und gebrochen hatten. Wie die übri¬
gen Staatsdiener sollten die Magistrate und Richter gewählt, verantwortlich
und absetzbar sein.

Natürlich sollte die Pariser Commune als ein Muster für alle großen
industriellen Mittelpuncte in Frankreich dienen. War das eommunale Re¬
gime einmal in Paris und den Centren zweiten Ranges aufgerichtet, so mußte
auch in den Provinzen die alte centralisirte Regierung der Selbstregierung
der Producirenden weichen. Die Landgemeinden jedes Bezirks hätten dann
ihre gemeinsamen Angelegenheiten durch eine Versammlung von Abgeordneten
in der Centralstadt verwaltet, und diese Districtsversammlungen Abgeordnete
in die Nationalversammlung zu Paris gesandt, wobei jeder Abgeordnete zu
jeder Zeit abberusbar und durch das in-ma^t lap6i'g,til, die formale Weisung
seiner Wähler, gebunden gewesen wäre. Die wenigen, aber wichtigen Func-
tionen, die noch für eine Centralregierung übrig geblieben wären, hätten nicht,
wie absichtlich falsch angegeben worden ist, abgeschafft, sondern von commu-
nalen und deßhalb streng verantwortlichen Agenten besorgt werden sollen.
Die Einheit des Volkes sollte durch die Einrichtung von Communen nicht
zerbrochen, sondern organisch gegliedert und durch die Zerstörung der Staats«
gewalt verwirklicht werden, welche den Anspruch erhob, die Verkörperung jener
Einheit unabhängig von und über der Nation zu sein, von der sie nur ein
parasitischer Auswuchs war. Während die rein repressiven Glieder der alten
Regierungsgewalt abgeschnitten werden sollten, sollten ihre nützlichen Functio-
nen einer Behörde, die sich anmaßte, über der Gesellschaft selbst zu stehen,
entrissen und den verantwortlichen Agenten der Gesellschaft zurückerstattet


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[0139] ganze Initiative, die bisher vom Staate ausgeübt worden war, wurde in die Hände der Commune gelegt. Nachdem man die stehende Armee und die Polizei losgeworden, die Ele¬ mente der physischen Kraft der alten Regierung, beeilte sich die Commune, die geistige Kraft der Repression zu brechen, die „Pfarrerskrast," indem sie alle Kirchen als besitzende Körperschaften beseitigte und ihnen ihre Dotationen entzog. Die Priester wurden in die Winkel des Privatlebens zurückgeschickt, um sich da, gleich ihren Vorgängern, den Aposteln, von den Almosen der Gläubigen zu nähren. Alle Erziehungsanstalten wurden dem Volke unent¬ geltlich geöffnet und zugleich von aller Einmischung der Kirche und des Staa¬ tes gesäubert. So wurde nicht nur die Bildung Allen zugänglich gemacht, sondern auch die Wissenschaft selbst von den Fesseln befreit, welche Classenvor- urtheil und Regierungsgewalt ihr angelegt hatten. Die richterlichen Beamten sollten jener Scheinunabhängigkeit entkleidet werden, welche nur dazu gedient hatte, ihre verworfene Dienstwilligkeit gegen alle sich einander folgenden Regierungen zu vermänteln, denen sie einer nach der andern den Huldigungseid geleistet und gebrochen hatten. Wie die übri¬ gen Staatsdiener sollten die Magistrate und Richter gewählt, verantwortlich und absetzbar sein. Natürlich sollte die Pariser Commune als ein Muster für alle großen industriellen Mittelpuncte in Frankreich dienen. War das eommunale Re¬ gime einmal in Paris und den Centren zweiten Ranges aufgerichtet, so mußte auch in den Provinzen die alte centralisirte Regierung der Selbstregierung der Producirenden weichen. Die Landgemeinden jedes Bezirks hätten dann ihre gemeinsamen Angelegenheiten durch eine Versammlung von Abgeordneten in der Centralstadt verwaltet, und diese Districtsversammlungen Abgeordnete in die Nationalversammlung zu Paris gesandt, wobei jeder Abgeordnete zu jeder Zeit abberusbar und durch das in-ma^t lap6i'g,til, die formale Weisung seiner Wähler, gebunden gewesen wäre. Die wenigen, aber wichtigen Func- tionen, die noch für eine Centralregierung übrig geblieben wären, hätten nicht, wie absichtlich falsch angegeben worden ist, abgeschafft, sondern von commu- nalen und deßhalb streng verantwortlichen Agenten besorgt werden sollen. Die Einheit des Volkes sollte durch die Einrichtung von Communen nicht zerbrochen, sondern organisch gegliedert und durch die Zerstörung der Staats« gewalt verwirklicht werden, welche den Anspruch erhob, die Verkörperung jener Einheit unabhängig von und über der Nation zu sein, von der sie nur ein parasitischer Auswuchs war. Während die rein repressiven Glieder der alten Regierungsgewalt abgeschnitten werden sollten, sollten ihre nützlichen Functio- nen einer Behörde, die sich anmaßte, über der Gesellschaft selbst zu stehen, entrissen und den verantwortlichen Agenten der Gesellschaft zurückerstattet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/139>, abgerufen am 24.07.2024.