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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Ale ßommune und die Internationale.
ii.

Gewiß ist der Einfluß, den der internationale Arbeiterbund auf die Vor¬
gänge in Paris geübt hat, hier und da übertrieben aufgefaßt, mythisch um¬
gedichtet, in das Gebiet des Wunderbaren erhoben worden. Zu den so eben
bezeichneten Thatsachen trat die erschreckte Einbildungskraft der Franzosen,
die überhaupt Neigung haben, überall geheimnißvolle mächtige Verschwörun¬
gen als Hauptursachen politischer Vorgänge vorauszusetzen. Man übersah
dabei, daß sehr wesentliche andere Dinge zu der Revolution vom März und
zu der furchtbaren Gestalt, die sie zuletzt annahm, beigetragen haben, und so
sollte die Internationale Alles allein verbrochen haben. Man übersah jene
Dinge um so lieber, als sie für das französische Selbstgefühl eben nicht schmei¬
chelhaft und erbaulich waren.

Zum guten Theil war der Pariser Aufstand, wie uns ein geistvoller
Artikel der Weserzeitung auseinander gesetzt hat, das natürliche Erzeugniß
der socialen Zustände in der großen Stadt, der Verwilderung der Massen
während der Belagerung und der Auflösung des Staates, die in Frankreich
schon längst begonnen hat. Eine von Neid und Verachtung gegen die Be¬
sitzenden erfüllte Arbeiterbevölkerung sah sich plötzlich durch den Gang der
Ereignisse, durch den Unverstand der Regierenden, durch die Feigheit und
Gleichgültigkeit der Ordnungspartei zur Herrin der Lage geworden, wohl be¬
waffnet und gedrillt, endlich durch monatelange Kämpfe an Brand und Blut
gewöhnt. "Alle Elemente der Ordnung, der Pietät, des Ansehens der Re¬
gierung waren im Wanken oder schon zusammengefallen. Die Reichen galten
für Blutsauger, die Priester für Schurken, die Staatsmänner für Börsen¬
spieler, die Generale für käufliche Verräther. Das Proletariat allein war
tugendhaft, patriotisch, heroisch. Jetzt war die Zeit gekommen, die alte ver¬
rottete Welt über den Hausen zu werfen und auf ihren Trümmern das gol¬
dene Zeitalter zu begründen, welches seit Jahrzehnten dem Blousenmanne
verheißen worden war, das Zeitalter, wo jeder Mann und jede Frau ohne


GrmjlwKn II. 1871. l(z
Ale ßommune und die Internationale.
ii.

Gewiß ist der Einfluß, den der internationale Arbeiterbund auf die Vor¬
gänge in Paris geübt hat, hier und da übertrieben aufgefaßt, mythisch um¬
gedichtet, in das Gebiet des Wunderbaren erhoben worden. Zu den so eben
bezeichneten Thatsachen trat die erschreckte Einbildungskraft der Franzosen,
die überhaupt Neigung haben, überall geheimnißvolle mächtige Verschwörun¬
gen als Hauptursachen politischer Vorgänge vorauszusetzen. Man übersah
dabei, daß sehr wesentliche andere Dinge zu der Revolution vom März und
zu der furchtbaren Gestalt, die sie zuletzt annahm, beigetragen haben, und so
sollte die Internationale Alles allein verbrochen haben. Man übersah jene
Dinge um so lieber, als sie für das französische Selbstgefühl eben nicht schmei¬
chelhaft und erbaulich waren.

Zum guten Theil war der Pariser Aufstand, wie uns ein geistvoller
Artikel der Weserzeitung auseinander gesetzt hat, das natürliche Erzeugniß
der socialen Zustände in der großen Stadt, der Verwilderung der Massen
während der Belagerung und der Auflösung des Staates, die in Frankreich
schon längst begonnen hat. Eine von Neid und Verachtung gegen die Be¬
sitzenden erfüllte Arbeiterbevölkerung sah sich plötzlich durch den Gang der
Ereignisse, durch den Unverstand der Regierenden, durch die Feigheit und
Gleichgültigkeit der Ordnungspartei zur Herrin der Lage geworden, wohl be¬
waffnet und gedrillt, endlich durch monatelange Kämpfe an Brand und Blut
gewöhnt. „Alle Elemente der Ordnung, der Pietät, des Ansehens der Re¬
gierung waren im Wanken oder schon zusammengefallen. Die Reichen galten
für Blutsauger, die Priester für Schurken, die Staatsmänner für Börsen¬
spieler, die Generale für käufliche Verräther. Das Proletariat allein war
tugendhaft, patriotisch, heroisch. Jetzt war die Zeit gekommen, die alte ver¬
rottete Welt über den Hausen zu werfen und auf ihren Trümmern das gol¬
dene Zeitalter zu begründen, welches seit Jahrzehnten dem Blousenmanne
verheißen worden war, das Zeitalter, wo jeder Mann und jede Frau ohne


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[0129] Ale ßommune und die Internationale. ii. Gewiß ist der Einfluß, den der internationale Arbeiterbund auf die Vor¬ gänge in Paris geübt hat, hier und da übertrieben aufgefaßt, mythisch um¬ gedichtet, in das Gebiet des Wunderbaren erhoben worden. Zu den so eben bezeichneten Thatsachen trat die erschreckte Einbildungskraft der Franzosen, die überhaupt Neigung haben, überall geheimnißvolle mächtige Verschwörun¬ gen als Hauptursachen politischer Vorgänge vorauszusetzen. Man übersah dabei, daß sehr wesentliche andere Dinge zu der Revolution vom März und zu der furchtbaren Gestalt, die sie zuletzt annahm, beigetragen haben, und so sollte die Internationale Alles allein verbrochen haben. Man übersah jene Dinge um so lieber, als sie für das französische Selbstgefühl eben nicht schmei¬ chelhaft und erbaulich waren. Zum guten Theil war der Pariser Aufstand, wie uns ein geistvoller Artikel der Weserzeitung auseinander gesetzt hat, das natürliche Erzeugniß der socialen Zustände in der großen Stadt, der Verwilderung der Massen während der Belagerung und der Auflösung des Staates, die in Frankreich schon längst begonnen hat. Eine von Neid und Verachtung gegen die Be¬ sitzenden erfüllte Arbeiterbevölkerung sah sich plötzlich durch den Gang der Ereignisse, durch den Unverstand der Regierenden, durch die Feigheit und Gleichgültigkeit der Ordnungspartei zur Herrin der Lage geworden, wohl be¬ waffnet und gedrillt, endlich durch monatelange Kämpfe an Brand und Blut gewöhnt. „Alle Elemente der Ordnung, der Pietät, des Ansehens der Re¬ gierung waren im Wanken oder schon zusammengefallen. Die Reichen galten für Blutsauger, die Priester für Schurken, die Staatsmänner für Börsen¬ spieler, die Generale für käufliche Verräther. Das Proletariat allein war tugendhaft, patriotisch, heroisch. Jetzt war die Zeit gekommen, die alte ver¬ rottete Welt über den Hausen zu werfen und auf ihren Trümmern das gol¬ dene Zeitalter zu begründen, welches seit Jahrzehnten dem Blousenmanne verheißen worden war, das Zeitalter, wo jeder Mann und jede Frau ohne GrmjlwKn II. 1871. l(z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/129>, abgerufen am 24.07.2024.