Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.und Sammlung gefunden hat, uns über den großen Krieg gegen Frankreich Frische und unvergängliche "Gedenkblätter zur Geschichte dieser Tage," und Sammlung gefunden hat, uns über den großen Krieg gegen Frankreich Frische und unvergängliche „Gedenkblätter zur Geschichte dieser Tage," <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0086" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125868"/> <p xml:id="ID_250" prev="#ID_249"> und Sammlung gefunden hat, uns über den großen Krieg gegen Frankreich<lb/> gleich Bedeutendes zu leisten. Die Ausstattung des Werkes ist die glänzendste.<lb/> Darüber genügt eigentlich zu sagen, daß das Werk im Verlage der Königl.<lb/> Geh. Oberhofbuchdruckerei von R. v. Decker in Berlin erschienen ist. Indessen<lb/> verdient die unglaubliche Zartheit und Vollendung der Holzschnitte des Wer¬<lb/> kes doch ganz besonders freudige Erwähnung. Von demselben Verfasser sTH.<lb/> Font ane) und aus demselben Verlag liegt uns ein kleines, vorzüglich ge¬<lb/> schriebenes Buch aus den Herbst- und Wintertagen des gegenwärtigen Kriegs<lb/> vor. das seinen Inhalt in dem einen Wort seines Titels verräth: '., Krieg's -<lb/> gefangen." „Erlebtes 1870." Aber die liebenswürdige Poesie, der Humor,<lb/> die vielseitige scharfe Beobachtungsgabe des Verfassers verräth sich aus dem<lb/> Titel nicht. Sie fesseln dagegen den Leser in der freundlichsten Weise. Wir<lb/> folgen dem Verfasser gern von dem Moment an. wo ihn, den eifrigen Forscher,<lb/> die Thorheit der Bewohner von Domremy, an der Geburtsstätte' der Jeanne<lb/> dÄrc gefangen nimmt, durch alle Freud und alles Leid seiner Gefangenschaft<lb/> in Neufchateau. Langres. Besanyon, Lyon, Moulins. Gueret, Poitiers.<lb/> Varennes und dann wochenlang auf der Insel Ole'ron, bis er endlich über<lb/> Bordeaux. Toulouse, Lyon und Genf heimwärts reist. Auch die stunden¬<lb/> lange Qual über das eigene Schicksal, über Leben und Tod. dann der Auf¬<lb/> enthalt unter Strafgefangenen ist dem Verfasser nicht erspart geblieben. Aber<lb/> sein Schicksal gestaltet sich erfreulicher Weise stets freundlicher. Auf Oleron<lb/> entspinnt sich sogar ein sehr zartes Verhältniß mit der kleinen weißen Manche.<lb/> Wir werden uns hüten, die zahlreiche achtbare Familie dieses weiblichen We¬<lb/> sens durch nähere Details zu compromittiren. Das muß man bei Fontane<lb/> nachlesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_251" next="#ID_252"> Frische und unvergängliche „Gedenkblätter zur Geschichte dieser Tage,"<lb/> früher im Gegensatz zu den besprochenen ausführlichen und strengen Arbeiten.<lb/> Kinder des Augenblicks, auf Reisen und in Mußestunden hingeworfene Merk¬<lb/> zeichen in feuilletonistischer fragmentarischer Form bietet uns Berthold<lb/> Auerbach in seinem .Wieder Unser" (Stuttgart. Cotta 1871). An<lb/> jeder Zeile merken wir, daß der König der „Schlachtenbummler" zu uns spricht.<lb/> Schlachtenbummler in demselben Sinne erhaben über den gemeinen Unglimpf<lb/> des Wortes, wie der treue Krankenpfleger und Johanniter. Und vielleicht<lb/> mit noch edleren Sinnen und Trachten als diese Diener der Humanität schreibt<lb/> Auerbach aus dem Kriegseifer der Tage des Aufmarsches, dann vor dem be¬<lb/> lagerten und beschossenen Straßburg, und als seine Natur den Schmerz nicht<lb/> mehr erträgt. die deutsche Stadt in Asche sinken zu sehen und er abreist, aus<lb/> dem uns wiedergewonnenen Land. Denn überall tritt uns die tiefe Tragik<lb/> des Krieges, als der absoluten Verneinung menschlicher Cultur, Gesittung,<lb/> Ordnung und Kunst, in tausend fein empfundenen Bildern, und mit der<lb/> poetischen Meisterschaft Auerbacks dargestellt, entgegen. Am höchsten unter<lb/> diesen kleinen losen Blättern schätzen wir die ersten, „Kriegskunde im Dorfe",<lb/> „Was will der Franzos und was will der Deutsche", „Reise in's Elsaß" u. s, w.<lb/> Minder befriedigend sind die bereits in der A. A. Z. abgedruckten Stra߬<lb/> burger Brandberichte Auerbach's, in denen an jede Bombencurve gewaltige<lb/> culturhistorische Betrachtungen geknüpft werden.' Mit Auerbach's Herz im<lb/> Busen hätte unser Werber Straßburg noch lange nickt genommen, und der<lb/> Entscheidungskampf gegen Bourbaki wäre vielleicht an der Kintzig geschlagen<lb/> worden, statt an der"Lisaine. Es ist doch gut, daß die Generale keine Poeten<lb/> sind, und die Poeten keine Generale. Aus einem ähnlichen Grunde wollen<lb/> uns die letzten Capitel, die von der „moralischen Eroberung" der wiederge¬<lb/> wonnenen Provinzen handeln, nicht ganz genügen. Die nüchternen Aufgaben</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0086]
und Sammlung gefunden hat, uns über den großen Krieg gegen Frankreich
gleich Bedeutendes zu leisten. Die Ausstattung des Werkes ist die glänzendste.
Darüber genügt eigentlich zu sagen, daß das Werk im Verlage der Königl.
Geh. Oberhofbuchdruckerei von R. v. Decker in Berlin erschienen ist. Indessen
verdient die unglaubliche Zartheit und Vollendung der Holzschnitte des Wer¬
kes doch ganz besonders freudige Erwähnung. Von demselben Verfasser sTH.
Font ane) und aus demselben Verlag liegt uns ein kleines, vorzüglich ge¬
schriebenes Buch aus den Herbst- und Wintertagen des gegenwärtigen Kriegs
vor. das seinen Inhalt in dem einen Wort seines Titels verräth: '., Krieg's -
gefangen." „Erlebtes 1870." Aber die liebenswürdige Poesie, der Humor,
die vielseitige scharfe Beobachtungsgabe des Verfassers verräth sich aus dem
Titel nicht. Sie fesseln dagegen den Leser in der freundlichsten Weise. Wir
folgen dem Verfasser gern von dem Moment an. wo ihn, den eifrigen Forscher,
die Thorheit der Bewohner von Domremy, an der Geburtsstätte' der Jeanne
dÄrc gefangen nimmt, durch alle Freud und alles Leid seiner Gefangenschaft
in Neufchateau. Langres. Besanyon, Lyon, Moulins. Gueret, Poitiers.
Varennes und dann wochenlang auf der Insel Ole'ron, bis er endlich über
Bordeaux. Toulouse, Lyon und Genf heimwärts reist. Auch die stunden¬
lange Qual über das eigene Schicksal, über Leben und Tod. dann der Auf¬
enthalt unter Strafgefangenen ist dem Verfasser nicht erspart geblieben. Aber
sein Schicksal gestaltet sich erfreulicher Weise stets freundlicher. Auf Oleron
entspinnt sich sogar ein sehr zartes Verhältniß mit der kleinen weißen Manche.
Wir werden uns hüten, die zahlreiche achtbare Familie dieses weiblichen We¬
sens durch nähere Details zu compromittiren. Das muß man bei Fontane
nachlesen.
Frische und unvergängliche „Gedenkblätter zur Geschichte dieser Tage,"
früher im Gegensatz zu den besprochenen ausführlichen und strengen Arbeiten.
Kinder des Augenblicks, auf Reisen und in Mußestunden hingeworfene Merk¬
zeichen in feuilletonistischer fragmentarischer Form bietet uns Berthold
Auerbach in seinem .Wieder Unser" (Stuttgart. Cotta 1871). An
jeder Zeile merken wir, daß der König der „Schlachtenbummler" zu uns spricht.
Schlachtenbummler in demselben Sinne erhaben über den gemeinen Unglimpf
des Wortes, wie der treue Krankenpfleger und Johanniter. Und vielleicht
mit noch edleren Sinnen und Trachten als diese Diener der Humanität schreibt
Auerbach aus dem Kriegseifer der Tage des Aufmarsches, dann vor dem be¬
lagerten und beschossenen Straßburg, und als seine Natur den Schmerz nicht
mehr erträgt. die deutsche Stadt in Asche sinken zu sehen und er abreist, aus
dem uns wiedergewonnenen Land. Denn überall tritt uns die tiefe Tragik
des Krieges, als der absoluten Verneinung menschlicher Cultur, Gesittung,
Ordnung und Kunst, in tausend fein empfundenen Bildern, und mit der
poetischen Meisterschaft Auerbacks dargestellt, entgegen. Am höchsten unter
diesen kleinen losen Blättern schätzen wir die ersten, „Kriegskunde im Dorfe",
„Was will der Franzos und was will der Deutsche", „Reise in's Elsaß" u. s, w.
Minder befriedigend sind die bereits in der A. A. Z. abgedruckten Stra߬
burger Brandberichte Auerbach's, in denen an jede Bombencurve gewaltige
culturhistorische Betrachtungen geknüpft werden.' Mit Auerbach's Herz im
Busen hätte unser Werber Straßburg noch lange nickt genommen, und der
Entscheidungskampf gegen Bourbaki wäre vielleicht an der Kintzig geschlagen
worden, statt an der"Lisaine. Es ist doch gut, daß die Generale keine Poeten
sind, und die Poeten keine Generale. Aus einem ähnlichen Grunde wollen
uns die letzten Capitel, die von der „moralischen Eroberung" der wiederge¬
wonnenen Provinzen handeln, nicht ganz genügen. Die nüchternen Aufgaben
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