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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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ihrem ursprünglichen Zwecke längst entfremdet sind, aber die geforderte Um¬
wandlung in Staatsanstalten sie zur Erfüllung der seit geraumer Zeit von
ihnen übernommenen Aufgabe nur um so geschickter machen soll.

Zweckmäßigkeitsgründe der dringendsten Art fordern diese Um¬
wandlung.

Die Mittel der fraglichen Stiftungen -- so wurde schon oben gezeigt --
stehen außer allem Verhältniß zu dem, was dadurch erreicht wird. Die
Fortdauer dieser Stiftungen in ihrer bisherigen Gestalt würde die Decentra-
lisation der Armenpflege verewigen, und wegen der gänzlich kritiklosen, vom
Zufall, von Gunst, von Vorurtheilen beherrschten Uebung das Gemeinwesen
fort und fort durch künstliche Steigerung der Begehrlichkeit, durch Ertödtung
des Selbstverantwortlichkeitsgefühles bei einer großen Zahl von Personen,
empfindlich schädigen.

Vor zwei Jahren wurde zwar in Hamburg eine Oberaufsichtsbehörde
für die milden Privatstiftungen geschaffen. Aber diese Behörde kann an der
Verwendungsart der Stiftungsmittel nicht eben viel ändern; sie kann höchstens
verhüten, daß einzelne Personen von verschiedenen Seiten und überreich unter¬
stützt werden. Die Ueberweisung des Vermögens der im Antrage genannten
sieben Stiftungen aber an die Staatskasse würde dazu führen, daß mit den
gleichen Mitteln ungleich mehr geleistet, ungleich weniger gesündigt und erheb¬
lich mehr Nord verhütet werden würde, als jetzt geschieht.

Eine der für Hamburg beantragten ähnliche, in Lübeck durchgeführte
Maßregel hat einen nach allen Seiten hin im Vergleich mit früher günstigen
Zustand geschaffen.

Der Bericht weist nach, daß mit den vereinigten Erträgen jener Stif¬
tungen beinahe der ganze Aufwand Hamburgs für das öffentliche Armen¬
wesen gedeckt werden könnte. Also würde man mit einem Male Mittel in
Fülle erhalten zu einem Zwecke, für den man bisher die Mittel nur mühsam
beschaffen konnte. Diese auf den ersten Blick äußerst günstige Vermögenslage
wird allerdings sehr sorgfältig zu Rathe gehalten werden müssen, damit sie
nicht auf's Neue Unheil erzeuge. Man wird die ganze Verwaltung des Armen¬
wesens an Haupt und Gliedern ändern müssen. Man wird den Nachtheil,
der darin besteht, daß man weniger als früher auf freiwillige Gaben der Bürger
für das Armenwesen angewiesen ist, neutralisiren müssen durch Einrichtungen,
welche möglichst großen bürgerlichen Kreisen Gelegenheit zu anderen, als
Geldleistungen zu Gunsten der Armenpflege bieten. Aber wie auch immer
auf der Grundlage der neugewonnenen Mittel das Hamburgische Armenwesen
geregelt werde -- es wird schon darin ein großer Gewinn zu erblicken sein,
daß nicht fernerhin von sieben verschiedenen Punkten aus mit vollen Händen
und ohne Wahl Almosen in der einen oder anderen Form gespendet werden


ihrem ursprünglichen Zwecke längst entfremdet sind, aber die geforderte Um¬
wandlung in Staatsanstalten sie zur Erfüllung der seit geraumer Zeit von
ihnen übernommenen Aufgabe nur um so geschickter machen soll.

Zweckmäßigkeitsgründe der dringendsten Art fordern diese Um¬
wandlung.

Die Mittel der fraglichen Stiftungen — so wurde schon oben gezeigt —
stehen außer allem Verhältniß zu dem, was dadurch erreicht wird. Die
Fortdauer dieser Stiftungen in ihrer bisherigen Gestalt würde die Decentra-
lisation der Armenpflege verewigen, und wegen der gänzlich kritiklosen, vom
Zufall, von Gunst, von Vorurtheilen beherrschten Uebung das Gemeinwesen
fort und fort durch künstliche Steigerung der Begehrlichkeit, durch Ertödtung
des Selbstverantwortlichkeitsgefühles bei einer großen Zahl von Personen,
empfindlich schädigen.

Vor zwei Jahren wurde zwar in Hamburg eine Oberaufsichtsbehörde
für die milden Privatstiftungen geschaffen. Aber diese Behörde kann an der
Verwendungsart der Stiftungsmittel nicht eben viel ändern; sie kann höchstens
verhüten, daß einzelne Personen von verschiedenen Seiten und überreich unter¬
stützt werden. Die Ueberweisung des Vermögens der im Antrage genannten
sieben Stiftungen aber an die Staatskasse würde dazu führen, daß mit den
gleichen Mitteln ungleich mehr geleistet, ungleich weniger gesündigt und erheb¬
lich mehr Nord verhütet werden würde, als jetzt geschieht.

Eine der für Hamburg beantragten ähnliche, in Lübeck durchgeführte
Maßregel hat einen nach allen Seiten hin im Vergleich mit früher günstigen
Zustand geschaffen.

Der Bericht weist nach, daß mit den vereinigten Erträgen jener Stif¬
tungen beinahe der ganze Aufwand Hamburgs für das öffentliche Armen¬
wesen gedeckt werden könnte. Also würde man mit einem Male Mittel in
Fülle erhalten zu einem Zwecke, für den man bisher die Mittel nur mühsam
beschaffen konnte. Diese auf den ersten Blick äußerst günstige Vermögenslage
wird allerdings sehr sorgfältig zu Rathe gehalten werden müssen, damit sie
nicht auf's Neue Unheil erzeuge. Man wird die ganze Verwaltung des Armen¬
wesens an Haupt und Gliedern ändern müssen. Man wird den Nachtheil,
der darin besteht, daß man weniger als früher auf freiwillige Gaben der Bürger
für das Armenwesen angewiesen ist, neutralisiren müssen durch Einrichtungen,
welche möglichst großen bürgerlichen Kreisen Gelegenheit zu anderen, als
Geldleistungen zu Gunsten der Armenpflege bieten. Aber wie auch immer
auf der Grundlage der neugewonnenen Mittel das Hamburgische Armenwesen
geregelt werde — es wird schon darin ein großer Gewinn zu erblicken sein,
daß nicht fernerhin von sieben verschiedenen Punkten aus mit vollen Händen
und ohne Wahl Almosen in der einen oder anderen Form gespendet werden


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[0076] ihrem ursprünglichen Zwecke längst entfremdet sind, aber die geforderte Um¬ wandlung in Staatsanstalten sie zur Erfüllung der seit geraumer Zeit von ihnen übernommenen Aufgabe nur um so geschickter machen soll. Zweckmäßigkeitsgründe der dringendsten Art fordern diese Um¬ wandlung. Die Mittel der fraglichen Stiftungen — so wurde schon oben gezeigt — stehen außer allem Verhältniß zu dem, was dadurch erreicht wird. Die Fortdauer dieser Stiftungen in ihrer bisherigen Gestalt würde die Decentra- lisation der Armenpflege verewigen, und wegen der gänzlich kritiklosen, vom Zufall, von Gunst, von Vorurtheilen beherrschten Uebung das Gemeinwesen fort und fort durch künstliche Steigerung der Begehrlichkeit, durch Ertödtung des Selbstverantwortlichkeitsgefühles bei einer großen Zahl von Personen, empfindlich schädigen. Vor zwei Jahren wurde zwar in Hamburg eine Oberaufsichtsbehörde für die milden Privatstiftungen geschaffen. Aber diese Behörde kann an der Verwendungsart der Stiftungsmittel nicht eben viel ändern; sie kann höchstens verhüten, daß einzelne Personen von verschiedenen Seiten und überreich unter¬ stützt werden. Die Ueberweisung des Vermögens der im Antrage genannten sieben Stiftungen aber an die Staatskasse würde dazu führen, daß mit den gleichen Mitteln ungleich mehr geleistet, ungleich weniger gesündigt und erheb¬ lich mehr Nord verhütet werden würde, als jetzt geschieht. Eine der für Hamburg beantragten ähnliche, in Lübeck durchgeführte Maßregel hat einen nach allen Seiten hin im Vergleich mit früher günstigen Zustand geschaffen. Der Bericht weist nach, daß mit den vereinigten Erträgen jener Stif¬ tungen beinahe der ganze Aufwand Hamburgs für das öffentliche Armen¬ wesen gedeckt werden könnte. Also würde man mit einem Male Mittel in Fülle erhalten zu einem Zwecke, für den man bisher die Mittel nur mühsam beschaffen konnte. Diese auf den ersten Blick äußerst günstige Vermögenslage wird allerdings sehr sorgfältig zu Rathe gehalten werden müssen, damit sie nicht auf's Neue Unheil erzeuge. Man wird die ganze Verwaltung des Armen¬ wesens an Haupt und Gliedern ändern müssen. Man wird den Nachtheil, der darin besteht, daß man weniger als früher auf freiwillige Gaben der Bürger für das Armenwesen angewiesen ist, neutralisiren müssen durch Einrichtungen, welche möglichst großen bürgerlichen Kreisen Gelegenheit zu anderen, als Geldleistungen zu Gunsten der Armenpflege bieten. Aber wie auch immer auf der Grundlage der neugewonnenen Mittel das Hamburgische Armenwesen geregelt werde — es wird schon darin ein großer Gewinn zu erblicken sein, daß nicht fernerhin von sieben verschiedenen Punkten aus mit vollen Händen und ohne Wahl Almosen in der einen oder anderen Form gespendet werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/76>, abgerufen am 28.12.2024.